Sie sind hier

Abo

Betrugsmasche

«Ich dachte immer, mir passiert das nie»

Eine 76-jährige Bernerin ging einem rumänischen Betrügerpaar auf den Leim. Um Mitleid bei der Rentnerin zu erregen, täuschten die beiden eine Familientragödie vor.

Symbolbild: Keystone

Michael Bucher

Margrit K. (Name geändert) öffnet die Haustür. In der Hand hält sie ihr Tablet. Der Bildschirm zeigt ein Foto des Redaktors, der sich telefonisch angekündigt hat und nun vor ihr steht. «Sie sind tatsächlich Journalist», sagt sie mit einem schalkhaften Lächeln, «ich habe Sie gegoogelt.»

Das Misstrauen der 76-jährigen Bernerin kommt nicht von ungefähr. Wurde sie doch kürzlich Opfer einer dreisten Betrugsmasche. Sie fiel auf Schauergeschichten herein und setzte dadurch 800 Franken in den Sand. «Ich war naiv», sagt die ehemalige Primarlehrerin, die lieber anonym bleiben möchte. «Ich dachte immer, mir passiert das nie.»

 

Die Kontaktaufnahme

Ihre Geschichte geht so: Margrit K. macht mit ihrem Mischling einen Spaziergang durchs Breitenrainquartier. In der Nähe des Breitenrainplatzes wird sie von einem jungen Paar angesprochen, das angibt, aus Italien zu sein. Die beiden zeigen sich entzückt von dem Hund. Bald jedoch kommen sie auf ihre angebliche Notlage zu sprechen. Der Vater seiner im dritten Monat schwangeren Frau sei in Genua verstorben, erzählt der Mann. Sie müssten dringend an die Beerdigung, hätten aber zu wenig Geld für den Flixbus nach Italien. Je 200 Franken würden die Tickets kosten. Das Paar versichert, das Geld zurückzuzahlen. «Ich war schon etwas skeptisch, aber es klang irgendwie auch glaubwürdig.»

Die Rentnerin ist hilfsbereit und holt bei sich zu Hause ihre Reserven in bar von 250 Franken. Mehr habe sie nicht, sagt sie, als sie das Geld übergibt. Der Mann findet jedoch, das reiche nicht – vor allem wegen der speziellen Bedürfnisse seiner schwangeren Frau. Sie könne ja noch Bargeld an einem Automaten beziehen, schlägt er vor. Auch dazu lässt sich Margrit K. überreden. Sie gibt dem Paar nochmals 200 Franken und ihre Telefonnummer, woraufhin sich dieses Richtung Bahnhof aufmacht.

 

Die Anrufe

Eine Stunde später klingelt das Telefon von Margrit K. Eine unbekannte Nummer. Am Draht ist der Mann. Sie hätten den Bus verpasst, nun müssten sie nach Genua fliegen. Sie bräuchten für die Flugtickets nochmals Geld. Margrit K. ringt sich durch, den beiden nochmals 350 Franken zu übergeben. Sie treffen sich erneut beim Breitenrainplatz. «Ich bekam langsam ein komisches Gefühl», erzählt die Rentnerin.

Bei der erneuten Geldübergabe beharrt Margrit K. auf einer schriftlichen Schuldanerkennung. Der Mann willigt schliesslich ein und unterzeichnet das Papier mit Name und Adresse.

Zwei Tage später erhält Margrit K. erneut einen Anruf des Mannes. Seine Frau sei am Grab ihres Vaters zusammengebrochen und habe dadurch ihr Baby verloren. Gleichzeitig bittet er um 1400 Euro, um an das Erbe des verstorbenen Vaters in der Höhe von 25 000 Franken zu kommen. Der Notar verlange eine Vorauszahlung. Er lande in zwei Tagen in Belp und könne das Geld abholen kommen.

«Die Frau tat mir leid, ich selbst habe in jungen Jahren mal ein Kind verloren», erzählt Margit K. Trotzdem habe sie erklärt, dass sie nicht so viel Geld geben könne. Doch das Paar lässt nicht locker. Rund 60-mal rufen die beiden mit unterdrückter Nummer am Folgetag an. Margrit K. nimmt nicht ab. Skepsis macht sich bei ihr breit. In Gewissheit, betrogen worden zu sein, schlägt diese um, als sie sich beim Flughafen Belp nach einem allfälligen Flug aus Italien erkundigt, der gar nicht existiert.

Beschämt erzählt die Witwe die Geschichte ihren vier erwachsenen Kindern. Ihr Sohn rät ihr, in ein Treffen einzuwilligen und gleichzeitig die Polizei zu informieren. Genau das tut sie dann auch. Und so ist es nicht Margrit K., welche das Paar am vereinbarten Treffpunkt im Breitenrain in Empfang nimmt, sondern Zivilpolizisten.

Es stellt sich heraus: Das Paar kommt nicht aus Italien, sondern aus Rumänien. Auch der Rest der Schauergeschichte war erfunden. Dass die beiden ein Paar sind, ist offenbar das Einzige, das der Wahrheit entspricht. Bemerkenswert an der Geschichte ist: Das Paar konnte strafrechtlich nur belangt werden, weil die beiden auf dem von Margrit K. handgeschriebenen Schuldschein einen fiktiven Namen und Wohnort in Italien angegeben hatten.

«Offenbar war ich das perfekte Opfer», sagt Margrit K. Ob die Masche mit dem Enkeltrick oder mit falschen Polizisten – Kriminalexperten weisen stets darauf hin, dass es Betrügerbanden vorwiegend auf ältere Frauen abgesehen haben, weil sie diese für besonders gutgläubig halten.

Laut Alexander Ott, Polizeiinspektor und Leiter der Fremdenpolizei der Stadt Bern, macht nicht nur die hohe Kaufkraft die Schweiz zu einem beliebten Ziel für Betrügerbanden. «Es spricht sich schnell herum, dass in der Schweiz die Gesetze sehr human sind.» Das rumänische Paar kassierte gemäss Strafbefehl eine bedingte Geldstrafe im dreistelligen Bereich. Dazu je eine Busse von 450 bzw. 540 Franken. Daneben auferlegte die Fremdenpolizei dem 24-jährigen Rumänen und der 27-jährigen Rumänin eine Einreisesperre bis 2024.

 

Der Nachhall

Margrit K. hat ihre 800 Franken abgeschrieben. Mehr noch als die eigene Naivität ärgert sie jedoch etwas anderes. Sie erzählt von einem Erlebnis kurz nach dem Vorfall: Die Rentnerin war in der Stadt unterwegs. Als sie ihre offenen Schuhbändel binden wollte und dabei Mühe bekundete, eilte ihr ein junger, dunkelhäutiger Mann zu Hilfe. «Mein erster Gedanke war: Der will Geld», erzählt sie. Doch der freundliche Mann wünschte ihr einen schönen Tag und zog weiter. «Ich ärgerte mich, dass ich so dachte», sagt sie etwas beschämt. Das ist es, was sie an der Geschichte am meisten aufregt: «Man wird verdorben. Und das ist schade.»

Nachrichten zu Kanton Bern »