Sie sind hier

Sparpaket Berufsbildung

Kanton will bei der KV-Lehre sparen

Der Kanton Bern muss sparen. Der Regierungsrat will 130 Ausbildungsplätze pro Jahr an Handelsmittelschulen streichen. Die kaufmännische Lehre soll nur mehr im Lehrbetrieb möglich sein. Auch die Handelsmittelschule Biel ist betroffen.

Der geplante Abbau von KV-Lehren an Handelsmittelschulen im Kanton Bern stösst bei Pädagogen nicht auf Gegenliebe. Bild: Urs Baumann

Christoph Aebischer

Im Kanton Bern werden pro Jahr rund 10 000 Lehrverträge abgeschlossen. Ein Teil der Lehrlinge schliesst den Vertrag nicht mit einem Lehrbetrieb, sondern mit einer Schule ab, beispielsweise mit einer Handelsmittelschule. Die Lehrlinge gehen Vollzeit zur Schule. Praxiserfahrungen holen sie sich in einer Lernfirma oder in Praktika. Am Ende der Ausbildung erlangen sie aber den gleichen Berufsausweis wie die übrigen KV-Lehrlinge.

130 dieser Ausbildungsplätze an den Schulen in Bern, Thun und Biel sollen nun im Rahmen des Sparpakets, das der Berner Regierungsrat Ende Juni vorgestellt hat, aufgehoben werden (das BT berichtete). Die kaufmännische Ausbildung wäre künftig also ausschliesslich im Lehrbetrieb und nicht mehr an einer Schule möglich. Wie in sämtlichen anderen Deutschschweizer Kantonen soll dort bloss noch der KV-Abschluss mit Berufsmatur angeboten werden.

«Ab dem Schuljahr 2015/2016 könnten wir an der Wirtschaftsmittelschule Bern pro Jahr 70 Auszubildende weniger aufnehmen», erläutert Direktor Raymond Anliker die Folge der Massnahme. Insgesamt würde der Schülerbestand der Wirtschafts- mittelschule Bern um etwa ein Drittel abnehmen. Die Schule müsste bei den Lehrpersonen rund 600 Stellenprozente abbauen. Anliker räumt ein, dass die Massnahme grundsätzlich umsetzbar sei. Die Schule, die Teil des Bildungszentrums für Wirtschaft und Dienstleistung im Berner Wankdorf ist, gefährde es nicht. Doch gehe damit ein geschätztes Angebot verloren. Bis jetzt seien die geburtenschwachen Jahrgänge im kaufmännischen Bereich kaum spürbar. Auch die Chancen auf dem Stellenmarkt seien für die Absolventinnen und Absolventen intakt: «Über 90 Prozent haben nach einem Jahr eine Stelle», fügt Anliker an.

Berufseinstieg für Migranten
Im Unterschied zu den Handelsmittelschulen in der Deutschschweiz wären jene von La Neuveville und Tramelan vom Abbau nicht betroffen. Diese will die Regierung ausnehmen, weil im Berner Jura der Lehrstellenmarkt ausgetrocknet sei.

An dieser Ungleichbehandlung stösst sich Anliker. Mehr noch stört ihn aber, dass die gerade abgeschlossene Anpassung an die Bundesvorgaben zur beruflichen Grundbildung zum Teil vergeblich war. Er weist darauf hin, dass die schulische Berufsausbildung gerade für Jugendliche mit Migrationshintergrund wichtig sei. Sie hätten selbst mit guten Leistungen auf dem Lehrstellenmarkt oft keinen Erfolg, zum Beispiel wegen ihres Namens. Dabei sei der Berufseinstieg für die Integration entscheidend.

Abbau schon 2009 erwogen
Anliker sieht zwar auch, dass die Vollzeitausbildung den Staat mehr kostet, er zweifelt aber dar- an, dass diese Jugendlichen einfach auf den dualen Weg mit Lehrbetrieb ausweichen könnten, so wie dies die Regierung erwartet.

Er hofft darauf, dass der Rückhalt der Handelsmittelschulen nach wie vor hoch ist. Die Schule wird von Verbänden, darunter dem Verband Bernischer Gemeinden, getragen. 2009 verzichtete die Regierung bei der Anpassung an die Bundesvorgaben wegen erheblichen Widerstands auf die Abschaffung des Ausbildungsgangs ohne Berufsmatur. Und vor einem Jahr zog SVPGrossrat Alfred Bärtschi aus Lützelflüh einen Vorstoss noch vor der Beratung im Grossen Rat zurück, weil er zu wenig Unterstützung fand. Mit der Motion «Verzicht auf volkswirtschaftlich überflüssiger Vollzeitbildungsangebote im kaufmännischen Bereich» wollte er erreichen, dass der Ausbau der Vollzeitausbildungen rückgängig gemacht würde. Denn die Kosten rechtfertigten den Mehrwert nicht. «Die Regierung will nun im Wesentlichen das umsetzen, was ich vorschlug», sagt Bärtschi.


 

Diese Angebote stehen auf der Kippe

Nach der obligatorischen Schulzeit schliessen 95 von 100 Jugendlichen im Kanton Bern eine Berufsausbildung ab oder erreichen die Matur. Das ist ein guter Wert. Theo Ninck, Leiter des Mittelschul- und Berufsbildungsamts (MBA) stellt ihn an den Anfang seiner Ausführungen zu den geplanten Kürzungen in seinem Bereich. Trotz dieser Massnahmen sollte die hohe Erfolgsquote zu halten sein, ist er überzeugt. Im Berufsbildungsbereich gibt der Kanton heute pro Jahr rund 390 Millionen Franken aus. Ab 2017 sollen gemäss der Aufgaben- und Strukturüberprüfung (ASP) 31 Millionen weniger sein.

Bereits 20 Prozent reduziert
«Dort, wo wir sparen wollen, ist das Berner Angebot überdurchschnittlich», erläutert Ninck. Dies betrifft etwa die Brückenangebote und die Vollzeitausbildungen. Dank mehr Lehrstellen, sensibilisierten Lehrmeistern und einer intensiveren Berufsvorbereitung in der obligatorischen Schulzeit sind für Ninck Kürzungen vertretbar.

Brückenangebote: Zwar wurden die berufsvorbereitenden Schuljahre - einst Werkjahre genannt – in den vergangenen sieben Jahren bereits um 20 Prozent reduziert. Trotzdem kommt das MBA zum Schluss, ist deren aktuelle Zahl mit 2220 Schülern in 135 Klassen noch zu hoch. Die Reduktion ist dank der gegenwärtig geburtenschwachen Jahrgängen möglich. «Darum sind weitere Klassenschliessungen vorgesehen.» Ninck rechnet damit, dass die Standorte Huttwil, Konolfingen und Zollikofen unter Druck kommen werden.

Auch der Vorkurs an der Schule für Gestaltung muss Federn lassen. Er wird künftig nur noch als Vorbereitung auf ein Hochschulstudium angeboten, so der Plan. «Das bedeutet eine Halbierung der Ausbildungsplätze», erläutert Ninck.

Vollzeitausbildungen: In der Romandie ist der Anteil an Berufsausbildungen, die an einer Schule und nicht bei einem Lehrmeister absolviert werden, sehr hoch. In Bern ist er immer noch höher als weiter östlich in der Schweiz. Die kulturelle Nähe zur Romandie ist spürbar. «Ein Lehrling in einer Vollzeitausbildung kostet den Kanton aber zwei bis drei Mal so viel wie ein Lehrverhältnis mit Lehrmeister», sagt Ninck.

Mittlerweile befindet sich das Angebot an Lehrstellen in Lehr- betrieben nach der Krise im Jahr 2006 wieder auf einem guten Niveau. Darum hält es das MBA für vertretbar, das überdurchschnittliche Vollzeitangebot zu reduzieren. Die Handelsmittelschulen sollen auf den Lehrgang ohne Berufsmatur verzichten und bei der Grafikerausbildung an der Schule für Gestaltung soll der Praxisanteil auf 50 Prozent der Lehrzeit erhöht werden. «Indem wir die Wirtschaft stärker einbinden, wird der Kanton entlastet», sagt Ninck.

Er hält sogar die Frage für legitim, wieso der Kanton für eine Handvoll von 230 Berufen eine Ausbildung anbiete, für andere dagegen nicht. Die Wirtschaft könnte das Angebot im dualen System auch abdecken. Ein Verzicht auf handwerkliche Berufsausbildungen würde aber die Schliessung von traditionsreichen Ausbildungsstätten bedeuten. Betroffen wären die Gartenbauschulen Oeschberg und Hünibach sowie die Berufsausbildungen an der Lehrwerkstätte Bern. Diese Massnahmen sind darum nicht erste Wahl. Diese Institutionen, betont Ninck, ermöglichten auch einen Ausgleich von Schwankungen beim Lehrstellenangebot, könnten – im Fall des Elektronikerberufs etwa – den Fachkräftemangel mildern oder bei der Integration von Jugendlichen mit Migrationshintergrund helfen.

Unvollendete Reformen: Sparpotenzial ortete das MBA auch in Reformen, die nur unvollständig umgesetzt wurden: Einerseits sind davon die Gymnasien in Biel und Thun betroffen. Sie sollen nun wie alle anderen Gymnasien einige Jahre zuvor je unter einem Dach zusammengeführt werden. Andererseits soll der Standort des Bildungszentrums Pflege in Thun aufgegeben werden, der im Zug der Fusion der Pflegefachschulen dem Oberland zugestanden worden ist. «Die Infrastruktur im neuen Campus des Bildungszentrums in Bern muss ausgelastet werden», begründet Ninck.

Pflichtlektionen: Ihren Beitrag sollen zudem die Lehrer der höheren Berufsbildung leisten. Sie bilden beispielsweise Berufsleute zu Lehrmeistern aus. Die Pflichtlektionen dieser Lehrer soll von 21,5 Lektionen auf 22,5 erhöht werden. Gymnasiallehrer unterrichten 24 Lektionen in einem 100-Prozent-Pensum, Berufschullehrer 26 Lektionen. Von dieser Massnahme sind laut Ninck etwa 400 von insgesamt gegen 3000 Vollzeitstellen betroffen.

Nachrichten zu Kanton Bern »