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Spanien

Kein Joggen, kein Velo, 
nada – nichts

Es ist still geworden in Málaga. Seit am Samstag die Ausgangssperre verhängt wurde, kommt nur noch abends Stimmung auf, wenn die Bewohner minutenlang aus ihren Fenstern klatschen. Einblick in eine Situation, auf die in Spanien niemand vorbereitet war.

Spielplätze, Parkanlagen und Strände sind seit dem Wochenende in Spanien nicht mehr zugänglich. Bild: Camilla Landbo
  • Dossier

Camilla Landbø, Málaga

Arbeiten geht nur noch, 
wer zwingend muss

So richtig war niemand darauf vorbereitet, als Sánchez letzten Samstag die Einzelheiten der 15-tägigen Ausgangssperre mitteilte. Er selber sagte denn auch: «Sie sind drastisch, die Massnahmen. Drastischer als in Italien.» Die meisten von den rund 47 Millionen Bewohner Spaniens glaubten im Vorfeld nämlich, dass der Notstand in etwa so sein würde, wie er zurzeit in der Schweiz ist. Zwei Meter Abstand, keine Gruppenansammlungen, keine Freunde besuchen, das ja! Aber an die frische Luft, davon waren viele überzeugt, das könne man in Spanien weiterhin.

Falsch gedacht! Seit bald einer Woche ist fast alles tabu. Die Strände sind abgesperrt, so auch die Parkanlagen, die Spielplätze. Alles wurde mit einem rot-weissen Absperrband versehen. Man darf nicht spazieren, nicht Velo fahren, nicht joggen gehen. Raus darf nur noch, wer etwas Lebensnotwendiges einkaufen oder zwingend arbeiten gehen muss. Arbeiten gehen etwa noch Krankenschwestern, Pfleger, Ärztinnen und Kassierer in Supermärkten. Glück haben die Hundebesitzer: Ihnen ist es erlaubt, ihr Haustier auszuführen. Jedoch nur alleine. Nur kurz. Und nicht weit weg von zuhause.

Spanien ist nach Italien das Land in Europa, das am stärksten von der Krise betroffen ist. Die Zahlen nehmen täglich schwindelerregend zu. Gestern waren es rund 18 000 vom Coronavirus Angesteckte und 800 Verstorbene. Fast die Hälfte der Infizierten befindet sich in Madrid. Die spanische Hauptstadt gilt gemäss dem deutschen Robert-Koch-Institut für Infektionskrankheiten als Coronavirus-Risikogebiet.

Als Frosch verkleidet 
durch die Strassen gejoggt

In den ersten Tagen der Ausgangssperre verstanden viele nicht genau, was sie bedeutet. Ebenso ihren Ernst begriffen nicht alle. In Sozialen Medien kursierten humoristische Videos, die allerdings in dieser Lage tatsächlich für ein wenig Auflockerung sorgten. So wackelte in Madrid ein Mann in einem riesigen Dinosaurierkostüm durch die Strassen. Ein anderer joggte verkleidet als Frosch. Für Tiere gilt die Ausgangssperre nicht. Was diese sehr ausserordentliche Zeit offensichtlich mit sich bringt, sind neue kreative Kräfte. Hundebesitzer bieten ihre Vierbeiner an, damit jemand kurz an die frische Luft gehen kann. Geht natürlich nicht: Man muss die Papiere des Hundes dabei haben.

Aber im Netz werden auch andere Videos geteilt. In den Strassen von Spanien sind seit einer Woche Polizisten und Militärs zu sehen. Sie patrouillieren oder stehen mit ihren Fahrzeugen Wache auf Plätzen. Sie kontrollieren, ob die Menschen einen triftigen Grund haben, unterwegs zu sein. Wenn nicht, gibt es einen Verweis – im besten Fall. Es kann aber auch zu Bussen ab 100 Euro oder zu einer Strafe von bis zu einem Jahr Gefängnis kommen.

Die Sicherheitsleute sind streng, oft schroff. Es kommt teils zu richtigen Auseinandersetzungen. Polizisten etwa, die rauchende Jugendliche jagen und auf den Boden drücken, Verfolgungen, wie man sie aus US-Nachrichtensendungen kennt. In einem Video schreit ein Polizist einen Mann auf dem Trottoir an, was er hier mache: «Sie gefährden Menschenleben.» Andere Freiläufer werden bis vor die Haustür zurückbegleitet. Die Zahl der Bussen und Verhaftungen steigt täglich.

Mein Sohn und ich, wir leben ganz im Süden Spaniens. In Málaga, einem ehemaligen Fischerdorf. Hier unten ist praktisch schon Sommer. Zumindest war es bis vor Kurzem. Seit wir unter Quarantäne stehen, hat komischerweise auch das Klima gewechselt. Die Temperaturen sind gesunken. Der Himmel ist meist grau und bewölkt. Gestern fragte mich mein Sohn, ob das Coronavirus auch in Bern lebt. Und seit ein paar Tagen zeichnet er farbige Corona-Bilder.

Sich in den vier Wänden sportlich betätigen

Am Morgen, wenn man erwacht, ist es sehr still. Ungewöhnlich still, da niemand mehr auf der Strasse ist. Auch wir schlafen nun länger als üblich. Und dann? Was macht man so? Nun, physisch gesehen ist es einfach erklärt: Wir sitzen zuhause rum. Wenn sich die Sonne doch noch zeigt, gehen wir auf den Balkon und strecken die Gesichter gen Himmel. Mein Sohn hüpft oft auf dem Sofa herum. Er liebt es, sich zu bewegen. Er rennt auch über längere Zeitphasen in der Wohnung hin und her, und nochmals: hin und her. Der Tag ist trotz Einschränkungen irgendwie voll. Jedoch nicht mehr überladen. Langweilig ist es bislang nicht. Leute rufen an, berichten, nehmen sich Zeit.

So geht es vielen Menschen in Málaga. Sie haben zwar Angst vor dieser Krise und dem Ungewissen, aber die Ausgangssperre wird auch als eine Chance angesehen, mal runterzufahren. Die 48-jährige Schauspielerin Carmen Román lebt mitten in der Stadt. Die Spanierin sagt, ihr würden diese Entschleunigung und das asketische Leben gut tun. «Ich habe endlich Zeit, Dinge zu tun, die schon lange anstanden.» Seit Montag miste sie Zimmer um Zimmer in ihrer Wohnung aus, ordne, putze. «Ich rede auch viel mit Freunden am Telefon.» Oder mit Nachbarn von Fenster zu Fenster. Carmen ist alleine in Quarantäne, wie ist das? «Ich denke viel über mich nach und rede manchmal mit einer meinen Puppen», sagt sie und lacht. Abends macht sie Übungen, unter anderem Strecken und Dehnen.

Mehr und mehr Länder verhängen Ausgangssperren. Peru, Frankreich, Belgien, Österreich. Hilft das Ausgehverbot? Wahrscheinlich schon. In Spanien haben die Menschen kaum noch physischen Kontakt zueinander. Das bremst die Übertragung des Virus ab. In der Schweiz dagegen scheinen sich viele Menschen weiterhin zu treffen, auch in Gruppen. Der besorgte Ruf nach einem Ausgehverbot wird lauter und lauter, zumindest in den Sozialen Medien, einzelne Kantone haben bereits einschneidendere Massnahmen ergriffen. Wird auch hier die nationale Ausgangssperre kommen?

In Spanien hat es geheissen: 15 Tage. Aber es verging kaum einen Tag der Ausgangssperre und die Regierung gab zu verstehen, dass sie mit höchster Wahrscheinlichkeit verlängert werde. Nächste Woche wird es Regierungschef Sánchez verkünden. Ob es am Ende drei, vier oder sechs Wochen «Leben in der Kapsel» sein werden? Auf unserem kleinen Balkon?

Anstossen mit den Nachbarn auf dem Balkon

Jeweils um 20 Uhr gehen die Bewohner Spaniens auf die Balkone und Terrassen oder öffnen ihre Fenster und fangen an zu klatschen, zu johlen und zu pfeifen. Jeden Abend. Damit danken sie den Krankenschwestern, Pflegern und Ärzten für ihren Einsatz. Es fällt auf, dass es von Tag zu Tag länger dauert. Die Menschen scheinen sehr froh zu sein, ein paar Minuten in Kontakt mit anderen Menschen kommen zu können. Heute wartet sogar eine besondere Überraschung auf uns alle: Um 22 Uhr wird in Spanien gemeinsam angestossen, mit Bier, Wein oder sonst was. Von Balkon zu Balkon.

Sechs Tage, totaler Lockdown. Ja, wir sind in der Tat von einem Moment auf den anderen aus dem Leben gerissen worden. Täglich erinnert man sich an geplante Treffen und Projekte, die vorerst nicht stattfinden werden. Und langsam begreift man, dass das Ganze länger dauern wird, als einem lieb ist. Die spanische Sonne wird hoffentlich zurückkehren und helfen. Die Frage bleibt: Wie wird das Leben nach dieser Zeit sein?

Info: Die Bernerin Camilla Landbø lebt seit Januar mit ihrem Sohn in Málaga, wo sie als freie Journalistin und Musikerin arbeitet.

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