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Kritik am laschen Zertifikatsregime

Die Uni Bern kontrolliert die Zertifikate ihrer Studierenden nur stichprobenweise. Sie hat kein System, um Neuinfektionen zu erkennen. Kann das gut kommen?

Die Vorlesungssäle der Uni sind entgegen den Vorgaben des BAG wieder ganz dicht und nicht nur zu zwei Dritteln gefüllt. Bild: Raphael Moser

Pia Scheidegger

Im Kanton Bern steigen die Fallzahlen. Gleichzeitig besuchen an der Universität Bern 19 000 Studierende regelmässig Lehrveranstaltungen vor Ort. Denn seit die Zertifikatspflicht auch an der Universität gilt, werden die Vorlesungssäle wieder gefüllt. Die Folge: Bei grossen Vorlesungen mit über 200 Personen ist Social Distancing kaum noch möglich. Ein Dozent, der anonym bleiben möchte, fürchtet sich nun vor einem Superspreader-Event.

Er kritisiert die Coronastrategie der Uni harsch: «Es wird momentan bei uns angenommen, dass alles wieder normal ist, weil wir die Zertifikatspflicht eingeführt haben und weiterhin Masken tragen.» Aber es gebe kein System zur Erkennung neuer Infektionen, und die stichprobenhaften Überprüfungen, von denen die Universität Bern in ihrem Schutzkonzept spreche, existierten nur auf dem Papier. In Realität würden die Zertifikate kaum kontrolliert.

 

Uni will pragmatisch bleiben

Das bestätigen Nachfragen bei mehreren Studierenden. Zwei Personen sagen, sie hätten das Zertifikat seit Semesterbeginn am 20. September einmal gezeigt, zwei weitere Personen haben es sogar noch gar nie vorweisen müssen – obwohl sie jede Woche Vorlesungen besuchen.

Christoph Pappa, Generalsekretär der Uni Bern, kann die Sorgen des Dozenten ein Stück weit verstehen. «Es ist schwierig, ein System zu finden, das mit verhältnismässigem Aufwand umsetzbar und gleichzeitig absolut sicher ist.» Die Zertifikatspflicht mit den stichprobenmässigen Überprüfungen sei momentan die beste Lösung, die den Studierenden ermögliche, wieder vor Ort zu sein. Die Stichproben führen externe Teams im Auftrag der Uni Bern durch, sie haben täglich eine vorgegebene Kontrollroute. Ihr Ziel: Jeden Tag mindestens
2 Prozent der rund 19 000 Studierenden zu prüfen. Das sind um die 380 Personen.

Zusätzlich sind Dozierende der Uni Bern befugt, die Zertifikate in ihren Lehrveranstaltungen einzusehen. «Wir wollten einfach nicht, dass die Dozierenden plötzlich jeden Tag 300 Personen kontrollieren müssen», sagt Pappa. Bis jetzt habe das System gut funktioniert, seit dem Semesterbeginn hätten erst zwischen 10 und 20 Personen bei der stichprobenmässigen Überprüfung kein Zertifikat gehabt. «Der allergrösste Teil hält sich an die Regeln.»

Tatsächlich hat die Uni Bern aber kein System, um Neuinfektionen zu erkennen. Es gibt auch keine Regeln, die festlegen, ab wie vielen Fällen die Studierenden zu Hause bleiben sollen. «Wir arbeiten in dieser Hinsicht situativ und folgen den Empfehlungen des Kantonsarztamts», sagt Pappa.

 

Problemlos für Studierende

Auch die Epidemiologen der Uni Bern finden die Massnahmen angesichts des komplexen Umfelds angemessen. Oscar Franco, Direktor des Instituts für Sozial- und Präventivmedizin, sagt stellvertretend für sein Departement, gezielte Stichproben könnten ausreichend sein, solange daraus ersichtlich sei, dass nur sehr wenige bis keine Studentinnen und Studenten ohne gültiges Zertifikat an Vorlesungen teilnehmen würden. «Wir verstehen natürlich auch die Sorgen der Dozentinnen und Dozenten, die in gefüllten Vorlesungssälen unterrichten müssen», sagt der Epidemiologe. Die Zertifikatspflicht in Kombination mit Masken reduziere die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung beträchtlich.

Obwohl die Studierenden selten nach ihren Zertifikaten gefragt werden, scheinen sie sich an der Uni Bern nicht unwohl zu fühlen. Auf Anfrage schreibt die Studierendenschaft der Universität Bern jedenfalls, dass sich bezüglich dieser Thematik noch niemand gemeldet habe.

 

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Das gilt momentan an der Uni Bern

Anders als in Restaurants, Bars, Kinos und Fitnesscentern werden die Zertifikate an der Uni nur stichprobenmässig überprüft. Laut den Vorschriften des Bundesamts für Gesundheit (BAG) ist das erlaubt, solange eine Maskenpflicht gilt und die Räume nur zu zwei Dritteln besetzt sind. Die Universität Bern verzichtet jedoch auf letztere Einschränkung, da sie die Vorlesungssäle füllen will. Bereits im September berichteten Medien über diesen Widerspruch. Seither hat sich aber nichts verändert. Warum geht das BAG nicht gegen die Uni Bern vor? Mediensprecher Jonas Montani: «Die Kantone sind für die Umsetzung der Vorgaben des BAG in ihren Institutionen auf ihrem Gebiet zuständig.» Doch: Sowohl die kantonale Bildungsdirektion als auch die Gesundheitsdirektion stehen hinter der Uni Bern.

Die Uni Bern bietet kostenlose PCR-Tests an. Dieser ist für ein Uni-Zertifikat gültig, das nur im Unibereich verwendet werden kann. «Es handelt sich um Tests im Rahmen von Betriebstestungen, die Hochschulen durchführen können», sagt Uni Generalsekretär Christoph Pappa. ps

 

So handhabt die BFH die Zertifikatspflicht

Auch an der Berner Fachhochschule (BFH) wird das Covid-Zertifikat stichprobenmässig überprüft und ist auf Nachfrage vorzuweisen.

An den Standorten der BFH im ganzen Kanton Bern wird dies unterschiedlich gehandhabt. Mediensprecherin Franziska Liniger sagt, die Umsetzung der Stichproben sei unter anderem von der Anzahl Studierenden und der Anzahl Ausgänge eines Gebäudes abhängig.

Am Departement Wirtschaft im Marzili in der Stadt Bern beispielsweise werden alle Studierenden wöchentlich mindestens viermal konsequent überprüft. Die BFH zählt nur knapp 7500 Studierende, also rund zweieinhalb Mal weniger als die Uni Bern. ps

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