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Stadt Bern

Kurzarbeit in der Reitschule

Die geschlossene Reitschule kämpft in der Coronakrise mit finanziellen Problemen. 
«Ein Konkurs droht aber nicht unmittelbar», heisst es aus dem Kulturzentrum.

Auch in der Reitschule läuft derzeit gar nichts. Bild: Adrian Moser

Jürg Steiner

Die Reitschule hat in Bern den Status der Unantastbarkeit. Das seit 1987 besetzte alternative Kulturzentrum überstand sechs Volksabstimmungen sowie Dutzende heftiger Ausschreitungen und politischer Debatten ohne ernsthafte Kratzer. Doch das Coronavirus macht jetzt auch der umstrittensten Berner Institution schwer zu schaffen.

Die Reitschule ist derzeit für die Öffentlichkeit nicht zugänglich, die Tore sind verschlossen, alle Gastro- und Kulturbetriebe stehen still. Einzig die Bewohner der reitschuleigenen Wohngemeinschaft und die Mitarbeiter der Werkstatt sowie der Druckerei verkehren – unter Einhaltung der Richtlinien des Bundesamts für Gesundheit, wie betont wird – in den Reitschule-Gemäuern.

Die Einnahmen fehlen,
die Liquidität ist knapp

Der Lockdown bringe die Reitschule in existenzielle Schwierigkeiten, legt die Mediengruppe des alternativen Kulturzentrums auf Anfrage in einer ausführlichen schriftlichen Stellungnahme dar. Die finanzielle Situation sei in der komplexen Organisation der Reitschule zurzeit «enorm unübersichtlich». Klar ist aber: Weil die Einnahmen der grossen Kollektive – namentlich des Konzertlokals im Dachstock und des Restaurants Sous le pont – derzeit fehlten, stehe man einem Liquiditätsengpass gegenüber. Die Reitschule sei deshalb dringend auf Spenden angewiesen.

Im Unterschied zur Konkurrenz im Gastro- und Unterhaltungsbusiness hat die Reitschule einen grossen Vorteil: Den Mietzins, bei vielen Veranstaltern das finanzielle Hauptproblem während des Lockdowns, übernimmt im Fall der Reitschule die Stadt. Sie erleichtert damit den Aufwand der Reitschüler um rund 380 000 Franken jährlich. Auch wenn man bezüglich Miete «in einer unproblematischen Situation» sei, wie die Mediengruppe festhält, liefen indessen diverse Kosten weiter. Unter anderem Löhne.

Die Kollektiven habenKurzarbeit beantragt

Die Reitschule pflegt zwar eine antikapitalistische Rhetorik, ihre Organisation kommt einem herkömmlichen KMU aber recht nahe: Der frühere Basler Stadtentwickler Thomas Kessler, der den Berner Gemeinderat bis 2019 in Reitschule-Fragen beriet, bezeichnete die Reitschule als «höchst erfolgreichen Grossbetrieb, dem in Bezug auf Kreativität und Kommerz in Bern niemand etwas vormacht». Die Unternehmensteile nennen sich in der Reitschule Kollektive. Die grossen, erfolgreichen (wie etwa der Dachstock) subventionieren die kleineren Kollektive quer. Sie bezahlen dem Gesamtbetrieb umsatzabhängige Mieten für die Raumbenutzung sowie eine Alkoholsteuer. Dieser interne Finanzkreislauf steht derzeit praktisch still.

Rund 500 Personen engagieren sich laut der Mediengruppe in der Reitschule, die meisten unentgeltlich, aber eine nicht genauer präzisierte Zahl – schätzungsweise ein paar Dutzend – ist mit Arbeitsverträgen ausgestattet. «Alle Kollektive haben dort, wo es möglich ist, Kurzarbeit beantragt», hält die Mediengruppe fest. Entschädigungen seien indessen noch keine geflossen, die Kollektive hätten die fällig gewordenen Löhne vorgeschossen.

Weil die Angestellten der Reitschule ohnehin zu bescheidenen Löhnen arbeiteten, führe die Pensen- und Lohnreduktion um 20 Prozent «zu schwierigen Situationen». Man versuche einander, so gut es gehe, unter die Arme zu greifen.

Ist die Reitschule
«too big to fail»?

Besonders komplex dürfte sich für die Reitschule der Ausstieg aus dem Lockdown gestalten, weil Betriebe mit unterschiedlichen Benutzergruppen auf einem kleinen Areal konzentriert sind. «Wir führen Diskussionen über verschiedene Szenarien, aber es erscheint uns unsinnig, uns auf eine bestimmte Form der Wiedereröffnung festzulegen, solange keine Vorgaben feststehen», schreibt die Reitschule-Mediengruppe.

Was allerdings für die Reitschüler jetzt schon klar ist: «Wir werden das finanzielle Minus, das durch die ausgefallenen Veranstaltungen entstanden ist, auch bei einer allfälligen Wiederaufnahme des Betriebs nicht aufholen können.» Obschon die Reitschülerinnen und Reitschüler «sehr viel Gratisarbeit leisten», werde sich das alternative Kulturzentrum finanziell nur über Wasser halten können, wenn die vor wenigen Tagen angelaufene Spendenaktion einträglich sei. Glücklicherweise, so die Mediengruppe, seien erste Zuwendungen bereits geleistet worden.

«Ein Konkurs droht nicht unmittelbar», schreibt die Reitschule-Mediengruppe. Und fügt an: «Ein Bern ohne Reitschule wollen wir uns lieber nicht vorstellen.» Ein bisschen tönt es wie die Berner Version des «Too big to fail»-Ansatzes der internationalen Bankenwelt.

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