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Mit Berner Velos Europa erobern

Der Verkauf von Elektrovelos boomt: Der Firmenchef des Berner Veloherstellers Stromer sucht deshalb einen grösseren Standort. Der Tempo-30-Trend soll das Unternehmen nicht bremsen.

Symbolbild: Keystone

Julian Witschi

Elektrovelos sind gefragt wie nie. Der Berner Hersteller Stromer hat definitiv aus der Krise herausgefunden. Nachdem Anfang 2018 die Pleite gedroht hat, schreibt das Unternehmen seither schwarze Zahlen. Von den 45 km/h schnellen E-Bikes aus Oberwangen wurden letztes Jahr rund 12 400 Stück gekauft. Das sind zwar nur ähnlich viele wie im Vorjahr.

«Doch der Boom wird auch bei uns kommen», sagt Stromer-Chef Jakob Luksch (49) auf einem Rundgang durch die modernen Montage- und Lagerhallen des Unternehmens. Corona habe Stromer gebremst. Denn die Zielgruppe für die schnellen Velos mit elektrischer Tretunterstützung sind Pendlerinnen und Pendler. Diese durften aber wegen der Pandemie monatelang nicht zur Arbeit fahren, was den Verkauf der Pendlerflitzer hemmte.

Die Homeoffice-Pflicht wird nun aber in vielen Ländern gelockert. Und die Nachfrage nach den schnellen Elektrovelos mit den gelben Nummernschildern, den sogenannten Speed-Pedelecs, zieht an: «Der Juni ist der zweite positive Monat in Folge», sagt Luksch. Umweltfreundliche und trotzdem schnelle Mobilität liege im Trend. Luksch selber pendelt täglich mit einem Stromer 37 Kilometer von seinem Wohnort in Biel nach Oberwangen und zurück.

Keine Lieferengpässe

In der Schweiz sind Speed-Pedelecs ziemlich beliebt. Der Marktanteil an den gesamten Elektroveloverkäufen beträgt bereits rund 20 Prozent. Luksch sieht daher auch sehr grosses Potenzial in anderen europäischen Ländern. Schliesslich wurden in Europa letztes Jahr rund 5 Millionen Elektrovelos verkauft.

Dieses grosse Potenzial habe auch die neuen Besitzer überzeugt: Im Mai hatten die bisherigen Stromer-Eigentümer um den Velounternehmer Thomas Binggeli bekannt gegeben, dass sie ihre Anteile an Naxicap Partners verkauft haben.

Die französische Investmentgesellschaft unterstützt die Expansion in EU-Länder. Sie drängt Stromer aber nicht dazu, auch die Produktion ins Ausland zu verlagern. Luksch will das erfahrene Personal nicht verlieren: «Unser wichtigstes Gut sind unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter», sagt er. Denn sie entwickelten die wichtigsten Komponenten wie die elektronische Steuerung oder ein Antiblockiersystem für die Bremsen. Und damit sei man der Konkurrenz voraus.

Luksch ergänzt, dass die Fertigung mittlerweile bloss 10 Prozent der Herstellungskosten ausmache. Mit seinen Erfahrungen aus der Autoindustrie war der Deutsche 2018 zu Stromer gekommen, um die Serienfertigung zu verbessern.

Für die einzelnen Montageschritte gibt es nun auf zwei Produktionslinien nacheinander aufgereihte Stationen. Insgesamt dauert es nur noch 3,5 Stunden, um ein Stromer-Velo zu montieren. Die Verkaufserlöse konnten so in den ersten zwei Jahren von Luksch verdoppelt werden. Die Auftragsfertigung in Taiwan wurde beendet und stattdessen in Oberwangen ausgebaut. Die Zahl der Mitarbeitenden von Stromer stieg so seit 2018 von 50 auf 140.

Zudem wurde der Materialeinkauf neu organisiert und in Oberwangen ein Lager mit inzwischen 1,5 Millionen Komponenten aufgebaut. Das Lager ist nun ein grosser Vorteil, während sich wegen Corona die Material- und Transportkosten deutlich erhöht haben.

Beim japanischen Veloteile-hersteller Shimano bestehen momentan offenbar Lieferfristen von teilweise drei Jahren. Stromer hingegen kann seine 5000 bis 12 000 Franken kostenden Flitzer weiterhin innerhalb von drei Wochen an die Kunden ausliefern.

Die Produktion soll für die Expansion ins Ausland weiter vergrössert werden. «Wir suchen ein neues, grösseres Gebäude», sagt Luksch. Und er betont: «Wir werden auf jeden Fall in der Region Bern bleiben.» Bislang ist Stromer in Oberwangen bei einer Schreinerei eingemietet. Der Vertrag läuft Anfang 2023 aus.

Unterschiedliche Regeln

Als Absatzmarkt im Visier ist vorab Deutschland. Dieser Markt wachse stark. Zudem gebe es hier immer mehr Firmen, die Veloflotten leasten. Ein Hindernis ist allerdings, dass in Deutschland Speed-Pedelecs nicht auf den Radwegen zugelassen sind. In Tübingen läuft jetzt aber ein Versuch für eine Ausnahmeregelung.

Länderspezifische Regelungen sind Segen und Fluch zugleich. In Belgien läuft das Geschäft gut, weil schnelle Elektrovelos steuerlich gefördert werden. In Frankreich und Italien werden die Verkäufe der Stromer-Flitzer hingegen von der Pflicht zum Tragen eines Motorradhelmes belastet.

In der Schweiz könnte der Trend zu Tempo 30 die 45 km/h schnellen E-Bikes bremsen. So soll mit Zürich die grösste Stadt des Landes mit Ausnahme einiger Hauptachsen zur Tempo-30-Zone werden.

Luksch stellt sich dagegen: «Tempo 30 generell macht keinen Sinn, wenn das Zweirad die Mobilitätswende unterstützen soll.» Viel wichtiger sei es, dort Tempobegrenzungen einzusetzen, wo es Gefahrenquellen gebe. Ansonsten sei er für Tempo 50/30, «da dann im Autoverkehr mitgeschwommen werden kann, ohne dass der E-Biker ein Hindernis ist». Weil E-Biker keinen geeichten Tacho haben, können sie gemäss aktueller Gesetzesgrundlage für leichte Geschwindigkeitsübertretungen nicht gebüsst werden. Ist das Tempo aber offensichtlich überhöht, ist eine Anzeige möglich.

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