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Moutiers nicht ganz Corona-konformer Siegestaumel

54,9 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner Moutiers entscheiden sich für den Wechsel des Jurastädtchens zum Kanton Jura. Der Vorsprung sollte auch letzte Betrugsvorwürfe ausräumen.

Der Festumzug der Feiernden erreicht Moutiers Hauptgasse vor dem Rathaus. Bild: Adrian Moser

Stefan von Bergen

Der Ort der historischen Verkündung ist eher trostlos. Auf einen Parkplatz vor der Wellblechfassade von Moutiers «Sociét’halle» wird am Sonntag um 18 Uhr ein Rednerpult auf Rädern rausgeholpert. Das Mikrofon funktioniert nicht. Und so hört man fast nicht, dass Claude Mottaz, der Leiter des Abstimmungsbüros, Epochales kundtut: 2114 Ja gegen 1740 Nein. Eine ziemlich klare Mehrheit von 54,9 Prozent oder 374 Stimmen. Moutier verlässt den Kanton Bern und schliesst sich dem Kanton Jura an.

Ein paar Hundert Meter entfernt aber, auf Moutiers Bahnhofplatz, löst das hingemurmelte Resultat eine Explosion der Freude aus. Im wörtlichen Sinn, Böller krachen lautstark. Vom frühen Nachmittag an bringen sich die Projurassier vor dem Hôtel de la Gare, dem Hauptquartier der Separatisten, in Festlaune. «On va partir» – «wir gehen zum Jura», gibt sich einer kurz nach dem Mittag beim Aufbau eines Bratwurststandes überzeugt. Immer mehr Menschen strömen auf den Platz.

 

Die Maske bleibt nicht nur fürs Bier unten

Hätte man nicht gewusst, dass es um die Jurafrage geht, hätte man sich an einer Demonstration von Coronaskeptikern wähnen können. Nicht nur zum Biertrinken, auch danach bleibt die Maske bei vielen unten. Die in sicherer Distanz wartende Berner Kantonspolizei versucht schon gar nicht, 15er-Gruppen durchzusetzen. Alkohol-, Freuden- und Lärmpegel steigen synchron.

Über 2000 feiernde Projurassier sind um 18 Uhr auf dem Platz, als ihr Sieg verkündet wird. In einem langen Umzug ziehen sie darauf durchs Städtchen zum Hôtel de Ville – zum Rathaus. Es ist eine Prozession von Fahnenträgern. Viele tragen die Jurafahne lässig über die Schulter. Die allergrösste Fahne aber wird am Rathaus aufgezogen, sie deckt die halbe Fassade ab.

Vor dem Café de l’Ours neben dem Rathaus spielt eine Musikanlage Lambada. Eine ausgelassene Gruppe, eingehüllt in Jurafahnen, stösst mit Champagner im Plastikbecher an. «Wir waren nie Berner, wir sind eine andere Kultur und eine eigene grosse Familie», erklären sie. Seit 18 Uhr fühlen sie sich an diesem Sonntag in Moutier zu Hause.

Sprechchöre erheben sich, als Stadtpräsident Marcel Winistoerfer (Die Mitte) die Stufen hinauf ins Rathaus eilt. Vor vier Jahren wurde die erste Abstimmung über Moutiers Kantonszugehörigkeit von der Berner Justiz unter anderem deshalb annulliert, weil sich der Stadtpräsident parteiisch in den Wahlkampf eingemischt haben soll. Vor der Abstimmungswiederholung verpasste man ihm einen Maulkorb. Nun, nach dem Sieg, trägt er nur noch eine Corona-Schutzmaske und darf reden. Er feiert erst den separatistischen Sieg, dankt der separatistischen Bewegung und dem Kanton Jura. Und fordert den Kanton Bern auf, nun zügig Moutiers Auszug an die Hand zu nehmen.

Vor allem aber betont Winistoerfer, dass der Gemeinderat von Moutier das Abstimmungsresultat diesmal als gültig betrachte. 2017 war der mit 137 Stimmen knappere Sieg der Separatisten wegen Unregelmässigkeiten und unsauberen Einträgen in Moutiers Stimmregister aberkannt worden. Diesmal aber haben der Kanton Bern und die Gemeinde Moutier sich einigermassen zusammengerauft und das Register durchgekämmt.

 

Berner Störmanöver sät Zweifel

An der von Winistoerfer postulierten Gültigkeit kommen allerdings am Samstag vor der Abstimmung Zweifel auf. Zuerst der «Blick» und dann ein Communiqué der Berner Kantonsregierung erwähnen etwas wolkig eine immer noch nicht geklärte Häufung von Personen, die im Stimmregister aufgeführt sind, ihren Lebensmittelpunkt aber nicht in Moutier haben.

Jean-Christophe Geiser, Leiter der Wahlkontrollbehörde des Bundesamts für Justiz, bedauert draussen vor dem Stimmlokal von Moutier am Nachmittag das bernische Störmanöver. Er bestätigt, dass die Berner Kantonsregierung Justizministerin Karin Keller-Sutter einen sorgenvollen Brief geschrieben habe. Offenbar lag diesem Brief gar eine bisher unbekannte, wohl vom berntreuen Lager erstellte Liste mit angeblich falschen Einträgen im Stimmregister bei. Geiser bestätigt deren Existenz nicht. Er gibt aber seiner Hoffnung Ausdruck, dass die wohl bestkontrollierte Abstimmung der Schweiz nun nicht infrage gestellt werde durch neue Gerüchte.

Geisers Hoffnung ist nicht unbegründet. Denn der Sieg des separatistischen Lagers ist diesmal deutlicher ausgefallen als 2017. Allein mit Mauscheleien dürfte sich der Stimmenvorsprung diesmal nicht erklären lassen. Man wird nun sehen, ob es Beschwerden gegen das Abstimmungsresultat gibt. In Sinne eines gültigen Resultats würdigt auch Karin Keller-Sutter in einem Communiqué Moutiers demokratischen Entscheid. Die jurassische Kantonsregierung lässt verlauten, sie nehme Moutier mit Enthusiasmus in ihren Kanton auf. Und auch der bernische Regierungspräsident Pierre Alain Schnegg erklärt am Abend den Jurakonflikt für beendet.

 

Traurige Verlierer am Stadtrand

Und die Verlierer? Die Berntreuen haben sich am anderen Ende des Städtchens auf ein Fabrikgelände zurückgezogen. Sicherheitspersonal kontrolliert den Eingang. Was für ein Kontrast zur Feststimmung vor dem Bahnhof. «Ich bin offen für die Niederlage wie auch den Sieg», sagt Steve Léchot, Lampendesigner und Sprecher des berntreuen Komitees «Moutier plus», schon vor der Resultatverkündung. Unternehmer Patrick Röthlisberger wird privat und mit seiner Firma aus Moutier wegziehen in den Berner Jura. Marcelle Forster, Grande Dame der Berntreuen von der SP, wird bleiben. «Die Heilung des gespaltenen Moutier wird aber noch dauern», sagt sie. Von der ominösen Liste im Brief an Justizministerin Keller-Sutter wollen die Berntreuen nichts gewusst haben.

Auf der Rückkehr vom traurigen Quartier der Berntreuen kommen einem Feiernde entgegen. Sie geniessen den Auslauf an diesem Abend – an der grössten Party seit mehreren 
Coronamonaten. Es ist ein wenig wie Fussball. Fanumzüge, flatternde Fahnen, Pyros und Sprechgesänge. Einfach noch mit einem Schuss Politik und hoffentlich einer Schutzmaske.

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