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Krankenkassen

Prämien waren viel zu hoch

Der Kanton Bern liegt an dritter Stelle bei den zu viel bezahlten Krankenkassenprämien. Wie dieses Geld den Versicherten zugutekommt, darüber wird gestritten.

Symbolbild: Keystone

Marius Aschwanden

846 Franken. So viel Geld haben die Bernerinnen und Berner den Krankenkassen in den Jahren 2014 bis 2019 im Durchschnitt zu viel eingezahlt. Geschehen ist dies, weil die Versicherungen die Prämien zu hoch angesetzt haben.

Mit den 846 Franken liegt der Kanton Bern auf einem der Spitzenplätze in der Schweiz. Nur in Uri und Basel-Stadt haben die Bewohner den Krankenkassen noch mehr Geld zu viel überwiesen. Der schweizerische Durchschnitt beträgt 528 Franken. Dies zeigen erstmals Berechnungen aus der Branche auf Basis von Zahlen des Bundesamts für Gesundheit.

Nun die gute Nachricht zuerst: Das zu viel eingezahlte Geld gehört keineswegs einfach den Versicherungen. Es floss in deren Reserven, die insbesondere seit 2017 enorm zugenommen haben – von 7,1 auf 11,3 Milliarden Franken. Diese Reserven gehören uns allen, also den Versicherungsnehmern.

Und jetzt zur schlechten Nachricht: Ob wir dieses Geld zurückerhalten und, wenn ja, in welcher Form, ist unklar. Zwar ist auch der Bund der Meinung, dass die Reserven mittlerweile viel zu hoch sind. Trotzdem will er die Versicherungen nicht dazu verpflichten, diese bis zu einer gewissen Grenze an die Bevölkerung zurückzubezahlen. Er setzt weiterhin auf Freiwilligkeit.

Dagegen regt sich aber Widerstand – sowohl im Parlament als auch bei manchen Krankenkassen.

 

Obligatorische Rückzahlung gefordert

Um was geht es konkret? Heute müssen die Krankenkassen anderthalbmal so hohe Reserven anlegen, wie gesetzlich vorgeschrieben ist. Der Bundesrat hat nun per 1. Juni aber beschlossen, diesen Wert zu senken. Die sogenannte Solvenzquote darf neu bei 100 statt wie heute bei 150 Prozent liegen. Momentan beträgt diese über alle Versicherungen gesehen 203 Prozent.

Das Ziel des Bundesrats: Die Krankenkassen sollen dank der Änderung mehr Anreize haben, die künftigen Prämien knapper zu berechnen. Wären dann die tatsächlichen Kosten höher als erwartet, würde die Differenz durch die Reserven bezahlt und diese so abgebaut.

Möglich ist weiterhin auch eine direkte Rückerstattung der zu viel bezahlten Prämien an die Versicherungsnehmer in den jeweiligen Kantonen. Die Vergangenheit und das starke Anwachsen der Reserven haben aber gezeigt, dass die Kassen dieses Mittel nur spärlich einsetzen.

Deshalb verlangen verschiedene Kantone nun eine obligatorische Rückzahlung. Auch die Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren stellt sich in einer Stellungnahme hinter diese Forderung. Die Änderung des Bundes könne nicht garantieren, dass die Versicherungen die Reserven «innert nützlicher Frist abbauen beziehungsweise zu viel eingenommene Prämien konsequent an die Versicherten zurückerstatten werden», heisst es.

 

Überraschende Unterstützung 
von rechts

In eine ähnliche Richtung zielt eine parlamentarische Initiative von FDP-Nationalrat Philippe Nantermod, die im August in der eidgenössischen Gesundheitskommission behandelt wird. Er verlangt, dass die Krankenkassen die Überschüsse als Anzahlung an die Prämien anrechnen müssen, sofern die Reserven im Vorjahr mehr als 150 Prozent der gesetzlich verlangten Mindesthöhe betragen. Der Betrag soll dabei pro Kanton und pro Versichertenkategorie im Verhältnis zu den bezahlten Prämien verteilt werden.

Für den Kanton Bern würde dies bedeuten, dass die Einwohnerinnen und Einwohner für die Jahre 2014 bis 2019 durchschnittlich 561 Franken zugute hätten. Schweizweit gesehen, ginge es um rund 3 Milliarden Franken, die zurückbezahlt werden müssten.

Dass dieses Anliegen aus bürgerlichen Kreisen kommt, ist einigermassen überraschend. Die Auszahlung der Krankenkassenreserven ist seit Jahren ein politischer Wunschtraum von Gewerkschaftspräsident und Nationalrat Pierre-Yves Maillard (SP). Entsprechend viel Sympathie hat die Forderung nach einem Rückzahl-Obligatorium bei den Linken.

Die Berner SP-Nationalrätin und Gesundheitspolitikerin Flavia Wasserfallen sagt etwa: «Die Reserven haben ein Ausmass angenommen, das nicht mehr akzeptierbar ist. Sogar in der Pandemie sind diese noch angewachsen.» Dieses Geld gehöre den Versicherten. «Jetzt braucht es einen verbindlichen Abbau.»

Sie plädiert der Einfachheit halber allerdings für ein weniger differenziertes System als Nantermod. Versicherungskategorien sollen nicht berücksichtigt werden. «Sämtliche Reserven, die über einer Quote von 150 Prozent liegen, sollen in einen Fonds fliessen. Anschliessend soll das Geld pro Kanton und pro Kopf pauschal zurückbezahlt werden», so Wasserfallen.

 

Die SVP setzt 
auf Freiwilligkeit

Dieser Fonds soll zeitlich befristet sein. Längerfristig müsse das System so angepasst werden, dass die Reserven gar nicht mehr derart stark anwachsen können. «Der Bund soll knapper kalkulierte Prämien genehmigen.»

Anderer Meinung ist der frühere Berner SVP-Präsident Albert Rösti. Zwar sagt auch er, dass die Kassen nicht unnötig Reserven äufnen sollen. «Dies sollte aber bereits heute sichergestellt sein, indem nämlich die Aufsichtsbehörde die Genehmigung des Prämientarifs verweigern kann, wenn die Prämien unangemessen hoch über den Kosten liegen oder zu übermässigen Reserven führen», so der Nationalrat.

Der Bundesrat habe nun zudem den freiwilligen Abbau vereinfacht. Deshalb erachtet Rösti eine obligatorische Rückzahlung «aktuell als nicht opportun». Sollten die Versicherungen die Reserven in den kommenden Jahren nicht abbauen, müsse die Politik aber zusätzlichen Druck ausüben, so Rösti.

Der Kassenverband Santésuisse wehrt sich ebenfalls gegen ein Obligatorium. Er hält einen Reserveabbau in der aktuellen Corona-Krise für fahrlässig. Zudem habe sich die frühere Regelung bewährt, so dessen Position. Allerdings sind innerhalb des Verbandes nicht alle Krankenversicherer dieser Meinung.

So gibt es Stimmen, die sagen, dass die Kassen nun mehrere Jahre Zeit gehabt hätten, um zu beweisen, dass der freiwillige Reserveabbau funktioniere. Leider habe man diese Chance nicht genutzt. Deshalb komme man nicht um ein Obligatorium herum, heisst es.

Wenig überraschend vertreten diese Position Kassen, bei welchen die Solvenzquote um die 150 Prozent liegt. Sie befürchten mit dem vom Bundesrat beschlossenen Vorgehen einen Wettbewerbsnachteil. Konkret rechnen sie damit, dass jene Kassen mit hohen Reserven in manchen Kantonen «Dumpingprämien» anbieten werden und so gezielt auf Kundenfang gehen werden.

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