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Pflege

Private Spitex kämpft um mehr Patientinnen und Patienten

Der Markt der ambulanten Betreuung wächst weiter. Neuerdings buhlen private und öffentliche Spitex im Kanton Bern auch um die versorgungspflichtige Grundpflege.

Bild: Samuel Schalch

Marius Aschwanden

Die Vorstellung, irgendwann in ein klassisches Altersheim umzuziehen, macht vielen Menschen Mühe. Lieber bleiben sie so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden – und setzen dort auf die Unterstützung der Spitex.

Diese Entwicklung ist seit Jahren im Gang. Corona hat sie aber noch einmal verstärkt. So ging die Anzahl Eintritte in Alters- und Pflegeheime 2020 gemäss Zahlen des Bundes im Vergleich zu 2019 um rund zehn Prozent zurück. Gleichzeitig nahm die Spitex-Versorgung um 6,7 Prozent markant zu.

Kurz: Bei der Pflege zu Hause handelt es sich um einen grossen Wachstumsmarkt, in dem es auch um viel Geld geht. Jedes Jahr bezahlt allein der Kanton Bern über 100 Millionen Franken an die Spitex-Anbieter – Tendenz steigend.

Seit einigen Jahren sind neben den gemeinnützigen denn auch private Organisationen auf dem Vormarsch. Waren in Bern 2011 noch 54 gewinnorientierte Spitex tätig, so sind es 2020 bereits über 100 gewesen. Entsprechend findet zwischen den Betrieben zunehmend ein Gerangel um Patienten statt.

Recherchen zeigen nun, dass die privaten Organisationen im Kanton Bern kürzlich einen Sieg verbuchen konnten. Sie wollten ein Stück des Kuchens bei der versorgungspflichtigen Grundpflege. Bisher war diese den öffentlichen Spitex-Diensten vorbehalten. Trotz eines neuen Finanzierungsmodells sollte dies in Bern auch die nächsten vier Jahre so bleiben. Doch das nahmen die Privaten nicht kampflos hin – und erhielten nun recht.

Was ist passiert?

 

Private wehren sich

Der Kanton Bern ist in 47 Spitex-Regionen aufgeteilt. Dort waren bisher gemeinnützige Organisationen verpflichtet, alle Aufträge entgegenzunehmen. Egal wie weit weg der Patient wohnt oder wie kurz die Pflege auch dauern mag. Für diesen Mehraufwand wurden sie zusätzlich vom Kanton entschädigt.

Die Privaten konnten hingegen unrentable Aufträge ablehnen. Verschiedentlich forderten diese aber, dass auch sie sich an der versorgungspflichtigen Grundpflege beteiligen können.

Beim Berner Gesundheitsdirektor Pierre Alain Schnegg (SVP) stiessen sie damit grundsätzlich auf offene Ohren. Im Rahmen des neuen Finanzierungsmodells schrieb der Kanton deshalb die Versorgungspflicht in jeder Region Mitte Jahr erstmals aus.

Neu konnten sich sowohl die gemeinnützigen wie auch die privaten Spitex bewerben. Allerdings hat die Gesundheitsdirektion (GSI) in sämtlichen Regionen der öffentlichen Spitex den Zuschlag erteilt. Status quo also.

Das liessen die Privaten nicht auf sich sitzen und reichten Beschwerde ein. Für sie war klar: Die Niederlagen kamen nicht deshalb zustande, weil sie die geforderten Leistungen weniger gut erbringen könnten. Stattdessen machten sie Verfahrensfehler geltend und kritisierten etwa, dass der Kanton keine öffentliche Ausschreibung durchgeführt hatte. Es sei auch nicht ersichtlich gewesen, wie die Zuschlagskriterien gewichtet würden.

 

Es geht um Millionen

Die Gesundheitsdirektion verteidigte ihr Vorgehen unter anderem mit Zeitdruck. Das der Neuordnung zugrunde liegende Gesetz sei erst im März verabschiedet worden. «Bei der Vergabe hatte die Versorgungssicherheit immer Priorität. Es war die Absicht, eine mögliche Versorgungslücke zu verhindern», sagt Mediensprecher Gundekar Giebel. Schliesslich soll die neue Finanzierung bereits ab dem 1. Januar gelten.

Das Rechtsamt der GSI, welches über die Beschwerden entscheiden musste, stellte sich jedoch auf die Seite der privaten Spitex. In einem der Urteile, das dieser Zeitung vorliegt, steht, dass eine Ausschreibung nach öffentlichem Beschaffungsrecht hätte durchgeführt werden müssen. Schliesslich gehe es um rund 11 Millionen Franken, die an die Organisationen verteilt würden. Die Vergabeentscheide wurden deshalb für ungültig erklärt.

Marcel Durst, Geschäftsführer der Association Spitex privée Suisse, ist hocherfreut über diese Entscheide. «Während Jahren wurden Millionenaufträge unter der Hand vergeben. Jetzt soll es ein freier Markt werden, deshalb haben wir uns gewehrt», sagt er. Er ist klar der Meinung, dass auch private Organisationen die Versorgungspflicht erfüllen können.

Gemäss Durst lohnt es sich finanziell, diese wahrzunehmen. «Nur rund 5 Prozent der Einsätze sind unrentabel. Die restlichen 95 Prozent möchte jede Spitex.» Und da jene Organisationen mit einem Vertrag mit dem Kanton höhere Kosten abrechnen könnten, sei es interessant, einen solchen Zuschlag zu erhalten.

 

Neue Ausschreibung 2022

Das sehen naturgemäss auch die Non-Profit-Organisationen so. Trotzdem ist es für Ursula Zybach, SP-Grossrätin und Präsidentin des Spitex-Verbands Kanton Bern, nachvollziehbar, dass neu eine Wettbewerbssituation geschaffen wurde. Sie zeigt sich optimistisch, dass auch nach einer erneuten Ausschreibung die gemeinnützigen Organisationen die Versorgungspflicht wahrnehmen werden. «Wir haben die langjährige Erfahrung, die umfassende Pflegekompetenz in allen Bereichen, die dafür nötigen Strukturen und sind dafür am besten geeignet. Aber auch wir wollen eine faire und korrekte Ausschreibung», sagt Zybach.

Eine solche sollte es nun nächstes Jahr geben. Damit keine Versorgungslücke entsteht, hat die Gesundheitsdirektion im Sinne einer Übergangslösung in den 29 umstrittenen Regionen den Auftrag zwar trotzdem den gemeinnützigen Spitex-Organisationen übertragen. Allerdings nur für ein statt vier Jahre. 2022 erfolgt eine neue öffentliche Ausschreibung.

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