Sie sind hier

Abo

Kriminalität

Sabrina, 14-jährig, Polizist

Gibt es ein Ja zum Polizeigesetz, dürfte die Polizei künftig verdeckt etwa gegen Pädophile ermitteln. Und zwar, bevor eine Straftat verübt wird.

Die Kriminalität verschiebt sich immer mehr ins Internet. Deshalb fordert die Polizei mehr Ermittlungskompetenzen. 
Valerie Chatelat, Montage: bz

Philippe Müller

«Hey Sabrina, dörf ich es bits zu dir in Chat cho? Wie alt und vo wo bisch denn du?» Zehn Minuten später: «Ich sueche eigentlich Sex.»

Sabrina ist 14-jährig. Der oben stehende Dialog fand tatsächlich statt und würde so manchen Vater oder so manche Mutter vor Schreck und Sorge erstarren lassen, wenn sie so einen Chat auf dem Mobiltelefon ihrer minderjährigen Tochter entdecken würde. Nach heute geltendem Polizeigesetz könnte die Kantonspolizei Bern jedoch nicht viel ausrichten, wenn man ihr diesen Chatverlauf vorlegt. Denn in solchen Fällen hilft oft nur eines, um dem Täter auf die Schliche zu kommen und seine Identität herauszufinden: eine verdeckte Fahndung, bei der ein Polizist unter einem Pseudonym Kontakt zum vermeintlichen Pädophilen aufnimmt. Eine verdeckte Fahndung ist heute im Kanton Bern aber nur dann erlaubt, wenn bereits ein Strafverfahren läuft und eine Straftat begangen worden ist. Weil aber im obigen Chat der Mann noch keine Straftat verübt, also etwa kein Foto seiner Genitalien an Sabrina verschickt oder sie zu sexuellen Handlungen aufgefordert hat, ist eine verdeckte Fahndung nicht möglich.

Das könnte sich am Sonntag ändern, wenn die Berner Bevölkerung über das revidierte Polizeigesetz abstimmt.

Nur bei konkretem Verdacht
Das neue Polizeigesetz baut die Möglichkeiten für die verdeckte Fahndung aus. Neu dürfte die Polizei nicht erst aktiv werden, wenn bereits etwas strafrechtlich Relevantes geschehen ist. Sie könnte sich bereits dann inkognito in einen Chatroom oder ins Darknet begeben und Kontakt zu potenziellen Straftätern aufnehmen, wenn lediglich der Verdacht auf eine bevorstehende Straftat im Raum steht. «Allerdings muss dieser Verdacht ernsthaft und begründet sein», sagt Cédric Meyrat. Er arbeitet als Chef Spezialfahndung in der Kriminalabteilung der Kantonspolizei Bern. Mit dem Instrument der präventiven verdeckten Fahndung würde eine Lücke im bestehenden kantonalen Gesetz geschlossen. «Wir könnten breiter ermitteln. Das würde die Chancen erhöhen, dass wir gewisse Täter bereits vor der Ausführung einer Straftat anhalten könnten.»

Wie oft künftig die präventive verdeckte Fahndung zum Einsatz käme, kann Meyrat nicht abschätzen. Klar ist, dass auch das neue Polizeigesetz diesbezüglich klare Vorgaben macht. Eine Carte blanche bekommt die Polizei nicht. Solche Operationen dürfen höchstens einen Monat dauern. Ab diesem Zeitpunkt ist eine Bewilligung des Zwangsmassnahmengerichts nötig. «Zudem steht die verdeckte Fahndung nie am Anfang einer Ermittlung», sagt Meyrat. Die Polizei greife erst darauf zurück, wenn sie mit den herkömmlichen Ermittlungsmethoden nicht mehr weiterkomme. Aufgrund dieser klaren gesetzlichen Einschränkungen kann Meyrat die Kritik der Gegner des Polizeigesetzes nicht nachvollziehen. Sie behaupten, die Polizei könne künftig ohne jeglichen Anfangsverdacht im Privatleben der Bürger «herumschnüffeln». «Das stimmt nicht. Die verdeckte Fahndung ist ein aufwendiges Ermittlungsinstrument, das wir nur sehr gezielt einsetzen dürfen.» So dürfe sich die Polizei nicht einfach aufs Geratewohl in einen Chatroom einklinken und schauen, wer sich dort so herumtreibt. Es braucht immer einen konkreten Hinweis zu einer verdächtigen Person. Entsprechende Hinweise bekomme die Polizei gerade bei pädokriminellen Delikten oft aus dem Umfeld potenzieller Opfer.

Polizist darf flunkern
Die präventive verdeckte Fahndung würde sich vermutlich hauptsächlich im Internet abspielen. Meyrat kann sich aber Situationen vorstellen, in denen der verdeckte Fahnder einen potenziellen Kriminellen auch in der realen Welt trifft. «Etwa dann, wenn ein potenzieller Waffen- oder Drogenkäufer zwecks Vertrauensbildung den vermeintlichen Händler sehen will.» Der verdeckte Fahnder werde im Unterschied zum verdeckten Ermittler jedoch nicht mit einer falschen Identität, einer erfundenen Vorgeschichte und gefälschten Dokumenten ausgestattet. «In der verdeckten Fahndung wird mit blossen Aussagen gearbeitet», sagt Meyrat. Die Polizisten würden etwa falsche Angaben über Geschlecht, Alter und Wohnort machen und allenfalls im Internet ein Pseudonym verwenden. «Verdeckte Fahnder werden speziell geschult und müssen je nach Situation etwa die Sprache von Kindern, Drogen- oder Waffenhändlern glaubhaft anwenden können», sagt Meyrat.

Eine Frage genügt schon
Apropos Waffenkauf: Heute darf die Polizei im Kanton Bern nur dann verdeckt fahnden, wenn beispielsweise im Dark-
net bereits jemand illegal eine Waffe gekauft hat oder schon strafrechtlich gegen die Zielperson ermittelt wird. Künftig dürfte die Polizei schon dann verdeckt aktiv werden, wenn etwa im Netz jemand nach einer verfügbaren Waffe fragt.

«In einem solchen Fall wäre es das Ziel der präventiven verdeckten Fahndung, herauszufinden, warum diese Person eine Waffe kaufen will, warum sie dies nicht auf dem legalen Weg tut und ob sie die Waffe auch einsetzen will.» Wichtig sei, so Meyrat, dass der Polizist in Chats und Gesprächen jeweils eine passive Rolle einnehme und den potenziellen Täter nie zu einer Straftat anstifte. Er darf beispielsweise nicht aktiv auf ein Treffen für den Waffenverkauf drängen.

Verhaftung beim Treffen
Das Endziel einer verdeckten Fahndung ist häufig ein Treffen mit dem vermeintlichen Straftäter. Bei diesen Begegnungen klicken dann nicht selten die Handschellen. So erging es auch dem 23-jährigen Mann, der 2013 in einem Chatroom mit der damals 14-jährigen Sabrina Kontakt aufnahm und sie am Hauptbahnhof Zürich für Sex treffen wollte. Sein Pech: Sabrina war kein minderjähriges Mädchen, sondern ein verdeckter Fahnder der Zürcher Polizei. Je nachdem, wie die Abstimmung zum Polizeigesetz ausgeht, kann künftig auch die Kantonspolizei Bern in einem frühen Stadium mit «Sabrinas» gegen Pädophile vorgehen.

Nachrichten zu Kanton Bern »