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Massentests

Schnegg wehrt sich gegen «verleumderische Vorwürfe»

Der Kanton Bern hält repetitives Testen in Schulen und Betrieben für ineffektiv – ganz im Gegensatz zum Bund. Der Konflikt schwelt seit Monaten und ist nun übers Wochenende eskaliert.

Bild: Adrian Moser

Quentin Schlapbach und Julian Witschi

Selten hat man ihn aufgebrachter erlebt. Kämpferisch ist Pierre Alain Schnegg (SVP) gestern vor die Medien getreten, bisweilen wurde der Berner Gesundheitsdirektor gar emotional. Energisch wies er die Vorwürfe des «Sonntagsblicks» zurück, wonach seine Direktion Coronafälle an Berner Schulen vertuscht habe, um die Massentests beenden zu können. Das seien verleumderische Falschinformationen. Er sei kein Lügner, sagte Schnegg. Auch gab er bekannt, dass er rechtliche Schritte gegen Ringier, die Verlagsgruppe des «Blicks», prüfen werde. Was genau ist passiert?

 

Zwist mit Bundesbern

Hintergrund der Geschichte ist ein Streit zwischen dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) und der Berner Gesundheitsdirektion, also zwischen SVP-Regierungsrat Schnegg und SP-Bundesrat Alain Berset. Schnegg erklärte, Bersets Departement habe am 20.August nachgehakt, ob der Kanton Bern die Massentests an den Schulen tatsächlich per Ende Monat beenden wolle. Dies trotz der losgebrochenen vierten Welle.

Für den Bund ist nämlich klar: Es braucht weiterhin Massentests, um das Ausmass der Pandemie richtig erfassen zu können. «Das Testen bleibt eine wichtige Massnahme, um die Pandemie zu kontrollieren, Übertragungsketten zu unterbrechen und eine Überbelastung der Spitalstrukturen zu verhindern», sagt Simone Buchmann, Sprecherin des BAG. «Der Bund empfiehlt deshalb, das repetitive Testen in Schulen und Betrieben weiterzuführen.» Er bezahle die Tests ja schliesslich auch.

 

Was bringen Massentests?

Ganz anders sieht dies Schneggs Gesundheitsdirektion. Die GSI hält Massentests aufgrund vergangener Erfahrungen schlicht für ineffektiv. Für die Betriebe stellte der Kanton Bern sein Programm bereits Ende August ein – offiziell wegen zu geringer Nachfrage.

Auch an den Berner Schulen bewegte sich die Positivitätsrate der Massentests über Wochen hinweg im Promillebereich. Im ersten wöchentlichen Massentest nach den Sommerferien waren nur gerade 63 positive Einzeltests gemeldet worden. Dies ergab bei über 72 000 getesteten Schülerinnen und Schülern eine Positivitätsrate von knapp 0,09 Prozent.

Auch in der zweiten Schulwoche blieben die Zahlen ähnlich tief. Für den Kanton Bern war somit klar: Auch die Massentests an den Schulen sollen nicht mehr weitergeführt werden. Dies hatte die Gesundheitsdirektion bereits vor den Sommerferien in Aussicht gestellt.

Schnegg stellte die Teststrategie des Bundes damit nicht nur infrage, sondern widersetzte sich offen den Empfehlungen. Beim BAG sorgte das für Verärgerung. Das Bundesamt zweifelte die tiefen Fallzahlen an den Berner Schulen an und gab eine Überprüfung in Auftrag.

 

Laborwechsel verordnet

Bei den Ergebnissen stützte sich der Kanton Bern auf ein einziges Labor in Münsingen. Von ihm wurden die sogenannten Pooling-Tests ausgewertet. Nachdem das BAG die Richtigkeit der Ergebnisse angezweifelt hatte, liess es die Spuckproben der Schüler gegen Ende der dritten Schulwoche durch zwei andere Labors auswerten.

Und tatsächlich: Die Fallzahlen stiegen deutlich an. Am vorletzten Donnerstag zeigten sich 70 positive Fälle bei 20 000 Tests. Das ergibt eine Positivitätsrate von 0,35 Prozent. Am Freitag waren es weitere 10 Fälle bei 2243 Tests, was eine nochmals höhere Rate von 0,45 Prozent ergibt.

Der «Sonntagsblick» erkannte darin den grossen Skandal: Schnegg und seine Direktion hätten extra tiefe Zahlen kommuniziert, um eine Grundlage für das Einstellen des Testprogramms zu schaffen.

Ein Vorwurf, welchen der Berner Gesundheitsdirektor an der Pressekonferenz klar von sich wies. Sein erster Einwand: Die Zahlen vom Freitag sind deshalb höher, weil dann wie jede Woche einzig die Berufsschulen ausgewertet wurden. Da ein Teil der Berufsschulen aber erst in dieser letzten Testwoche ins neue Schuljahr startete, wurden auch gut 50 Prozent mehr Tests gemacht. Und donnerstags wurden die Volks- und Sekundarschulen im Seeland und im Berner Jura ausgewertet. Schon das Labor Münsingen hatte hier höhere Werte als im Kantonsschnitt festgestellt, nämlich in der Vorwoche 47Fälle.

Schnegg gab weiter zu bedenken, dass in den beiden neuen Labors die sogenannt falsch-positiven Tests deutlich zugenommen hätten, nämlich von 42 auf 129. Damit bilanzierte er: «Heute ist – entgegen anders lautenden Aussagen in der Presse – niemand in der Lage, zu sagen, welches Labor richtig gearbeitet hat.» Dies dürfte sich auch nicht mehr feststellen lassen, denn die Proben können nicht mehr ausgewertet werden.

 

Bund müsse kontrollieren

Schnegg verteidigte auch seine Entscheidung, dass er den Unterschied zwischen den Labortests nicht öffentlich kommunizierte. Es sei am Bund und nicht an den Kantonen, die Arbeit der Labors zu kontrollieren. «Es gibt keinerlei Hinweise, dass die veröffentlichten Zahlen des Kantons Bern nicht korrekt wären», so Schnegg. «Deshalb gibt es auch keinerlei Grund, Zahlen zu korrigieren.»

Für ihn sei das Ganze ein Sturm im Wasserglas. Schnegg verhehlte dabei auch nicht, dass er und das BAG diametral unterschiedliche Ansichten haben, was die richtige Teststrategie betrifft.

 

Politische Abrechnung?

Dieser neuste Konflikt passt in ein Muster. Es ist nämlich nicht das erste Mal, dass Schneggs GSI und Bersets BAG aneinandergeraten. Im April forderte Schnegg, dass dem BAG die Verantwortung für das Impfdossier entzogen werden solle. Dies, weil Impfstofflieferungen an die Kantone wiederholt – und jeweils sehr kurzfristig – nicht eingehalten werden konnten.

Im Juni flammte der Konflikt neu auf, dieses Mal ging es um Pilotversuche von Kultur- und Sportevents. Hier setzte das BAG gegen Schneggs Widerstand durch, dass die Teilnehmenden Masken tragen mussten. Brisant war auch die Meldung vor knapp zwei Wochen, als das BAG bekannt gab, dass es mit der Berner Kantonsärztin Linda Nartey eine der wichtigsten Mitarbeiterinnen von Pierre Alain Schnegg abwerben konnte.

Schnegg tönte an der Pressekonferenz an, dass er hinter der Berichterstattung am Wochenende eine politische Abrechnung wittere. Ross und Reiter wollte er dabei aber nicht beim Namen nennen. Das könnten sich die anwesenden Journalistinnen und Journalisten selber ausdenken.

 

Mobile Testteams

Schnegg will am eingeschlagenen Weg festhalten – obwohl er sich damit weiterhin auf Konfrontationskurs mit dem BAG befindet. Er sehe weiterhin keinen Grund, trotz anhaltender Pandemie, die repetitiven Massentests wieder einzuführen.

Wie bereits Anfang Juli angekündigt, werde die Corona-Eindämmungsstrategie in den Schulen und Betrieben ab September wieder auf das Testen nach Ausbrüchen vor Ort verlagert. Ansteckungen würden so mit grösserer Sicherheit entdeckt.

Übertragungsketten könnten mit den mobilen Testteams eher unterbrochen werden. Das erfordere auch mehr Ressourcen und sei keine Sparübung. Zudem sei bei dieser Methode das Testen nicht freiwillig wie bei den Massentests.

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