Sie sind hier

Abo

Protest

Sicherheitsdirektor nervt sich über renitente Flüchtlinge

Abgewiesene Asylsuchende werden instrumentalisiert, sagt der Berner Sicherheitsdirektor Philippe Müller (FDP). 
Hinter Hungerstreik und illegalen Demos steckten Flüchtlingshelfer, meint er. Ist da etwas dran?

Shekib Onga und Nazary Abdulnazalorid protestieren vor dem Staatssekretariat gegen ihre Wegweisung. Bild: Franziska Rothenbühler

Carlo Senn und Andres Marti

Immerhin scheint die Sonne an diesem Mittwochmorgen in Wabern bei Bern. Ansonsten haben die beiden Geflüchteten aus Afghanistan vor dem Staatssekretariat für Migration (SEM) wenig zu lachen. Sie befinden sich seit dem 1. Februar im Hungerstreik und verbringen Tag und Nacht draussen: «Mir ist gerade etwas schwindelig», sagt Shekib Onga auf seinem Stuhl sitzend, eine Decke um die Beine gewickelt. Neben ihm Nazary Abdulnazarolid, er spricht Französisch, wohnt in der Nähe von Genf. Ihm falle der Streik leichter, er sei einst bei den afghanischen Streitkräften ausgebildet worden.

Vom SEM fordern sie ein Bleiberecht in der Schweiz und Nachzug der engsten Familienangehörigen. Das Zelt für ihre Aktion haben die beiden Afghanen vom Migrant Solidarity Network (MSN) erhalten. Ebenso die wärmende Decke. Flüchtlingsaktivisten haben auch die entsprechende Mitteilung an die Meiden verfasst – in einwandfreiem Deutsch.

 

Aktionen gegen das Asylregime

Immer wieder machen in Bern abgewiesene Asylsuchende mit Aktionen auf ihre Situation aufmerksam. So übernachteten etwa Familien mit ihren Kindern aus Protest gegen die Rückkehrzentren in der Grossen Halle der Reitschule. Auch an Demos protestieren die abgewiesenen Asylsuchenden gegen das Schweizer Asylwesen. Aufsehen erregte auch der Vorfall auf dem Bundesplatz, bei dem sich ein Kurde teilweise in Brand setzte.

Bei all diesen Aktionen werden die widerständigen Flüchtlinge von einheimischen Flüchtlingsaktivisten unterstützt und begleitet. Sehr zum Ärger von Sicherheitsdirektor Philippe Müller (FDP), im Kanton Bern zuständig für die rund 600 abgewiesene Asylsuchenden. Er ist überzeugt: «Viele der Abgewiesenen werden von Organisationen wie dem Migrant Solidarity Network instrumentalisiert.» Das sei schon bei der «Brandaktion auf dem Bundesplatz» der Fall gewesen, sagt der Sicherheitsdirektor.

 

«Dieser Aktionismus ist letztlich kontraproduktiv»

Dieser Aktivismus sei für die abgewiesenen Asylsuchenden letztlich kontraproduktiv, glaubt Müller: Personen, die hier keine Zukunft hätten, würden so dazu ermutigt, hierzubleiben, «statt Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen und zurückzukehren». Die Flüchtlingsorganisationen machten den abgewiesenen Asylsuchenden so «falsche Hoffnungen und versprechen ihnen Wohnungen und Jobs». So blieben diese Leute dann jahrelang in den Rückkehrzentren, wo sie keinerlei Perspektiven hätten. Wirklich neu sind diese Vorwürfe nicht. Ob an Müllers Instrumentalisierungsthese etwas dran ist, ist auch schwer überprüfbar. Wer sagt schon von sich aus, dass er instrumentalisiert werde? «Die Idee in den Hungerstreik zu gehen, war unsere eigene», sagen jedenfalls Onga und Abdulnazarolid vor ihrem Zelt in Wabern.

Beim MSN tönt es ähnlich: «Der Impuls, sich gegen Ungerechtigkeiten im Asylwesen zu wehren, kommt von den Geflüchteten selbst», sagt eine Aktivistin, die sich beim MSN engagiert. «Vom Hungerstreik vor dem SEM haben wir erst erfahren, als dieser schon in Gang war. Danach haben wir selbstverständlich unserer Hilfe angeboten, Zelte organisiert und eine Mitteilung an die Medien verfasst.»

 

Sprachrohr für die Ungehörten

Als Erstes sehen sich die Aktivistinnen und Aktivisten des MSN als Sprachrohr für die Ungehörten. So auch in Wabern: Man nehme die Forderungen der Streikenden ernst und schaffe «Öffentlichkeit für diejenigen Personen, die nicht gehört werden», schreibt das Netzwerk auf Anfrage. Mit einem «Vorschicken von Flüchtlingen» habe das überhaupt nichts zu tun. Auf die anderen Vorwürfe von Müller könne man aus Zeitgründen leider nicht in der «nötigen Ausführlichkeit» Stellung nehmen. Das MSN sei kein Verein mit hierarchischen Strukturen, einem Vorstand und einem Präsidenten, sagt die Aktivistin. Eher ein loses Netzwerk, wo sich migrantische und hier geborene Personen zusammenschliessen, um den Widerstand zu organisieren.

In Wabern wollen die beiden Afghanen ihren Hungerstreik bis Donnerstag fortsetzen. Sollte das SEM ihren Forderungen nicht nachkommen, wollen sie zurückkommen – «mit deutlich mehr Leuten», wie sie sagen.

Nachrichten zu Kanton Bern »