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Därstetten

Sie hoffte, dass das Baby gefunden würde

Ein Neugeborenes, das am Samstag im Werkhof entdeckt worden ist, hat das Simmentaler Dorf in Atem gehalten. Schon am Sonntag hatte die Polizei seine Mutter ausfindig gemacht.

Der Werkhof in Därstetten: Hinter der Tür zum Innenraum des Gemeindegebäudes wurde das Baby gefunden. Bild: Hans Urfer

Hans Urfer

Eine Frau hat am Freitagabend ihr neugeborenes Mädchen unweit des Werkhofes in Därstetten ohne fremde Hilfe zur Welt gebracht. Anschliessend wickelte sie es in eine Decke und legte es in einer Kartonschachtel in einem öffentlich zugänglichen Raum des Gemeindewerkhofs ab.

Diesen Sachverhalt bestätigte die regionale Staatsanwaltschaft Oberland gestern Mittag in einem Communiqué. Die «mutmassliche Mutter» habe ermittelt werden können und sei geständig. Sie habe angegeben, «bewusst einen frequentierten Ort ausgewählt zu haben, in der Hoffnung, dass das Kind dort rasch aufgefunden würde».

Rund um die Uhr zugänglich

Das Baby beschäftigte zu diesem Zeitpunkt die Öffentlichkeit schon seit fast einem Tag. Der Säugling war nämlich bereits am Samstagmorgen von einer Privatperson auf einem Plastikbehälter gefunden worden. Der Alarm ging bei der Polizei kurz nach 7.35 Uhr ein.

In der Folge wurde eine Ambulanz aufgeboten, und das Rettungsteam konnte das unterkühlte Neugeborene unverzüglich behandeln. Anschliessend wurde es in kritischem Zustand mit einem Helikopter der Schweizerischen Rettungsflugwacht ins Spital geflogen.

Der Fundort in der gemeindeeigenen Entsorgungsstelle ist rund um die Uhr zugänglich. Därstettens Gemeindepräsident Thomas Knutti mutmasste am Samstag, die Mutter habe wissen müssen, dass der Fundort allen offen stehe.

«Ich kann mir zwar nicht vorstellen, dass die Person aus Där-stetten selber stammt und auch hier wohnt», sagte der Gemeindepräsident des 850-Seelen-Dorfes, «ansonsten wäre dies bekannt.» Der Mutter müssten die Gegebenheiten vor Ort aber bekannt sein.

Ein Thema im Gottesdienst

«Ich war sehr schockiert, als ich vom Fund des Neugeborenen erfahren habe, und es beschäftigt mich auch jetzt noch überaus stark», sagte am Sonntag Ortspfarrer Daniel Guggisberg auf Anfrage. «Die Mutter muss wohl in äusserster Not gehandelt haben.»

Als ihm zu Ohren gekommen sei, dass das Neugeborene am Leben sei, habe ihn dies «sehr gefreut». Der Pfarrer will dieses Ereignis bei seinem nächsten Gottesdienst thematisieren. «In welcher Form, weiss ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht», sagt der Pfarrer.

Das neugeborene Kind befindet sich weiterhin im Spital, wo es medizinisch betreut wird, teilte die Kantonspolizei Bern mit. Die regionale Staatsanwaltschaft Oberland hat ein Verfahren eröffnet. Im Rahmen der nun folgenden Ermittlungen gelte es insbesondere zu klären, inwiefern Straftatbestände vorliegen. Nach wie vor gelte die Unschuldsvermutung.

«Zum Schutz aller Beteiligten» macht die regionale Staatsanwaltschaft Oberland «keine näheren Angaben zu einzelnen Personen».

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Babyfunde beschäftigen die Schweiz immer wieder

Fälle wie jener vom Wochenende in Därstetten beschäftigen die Schweiz immer wieder. Vor acht Jahren sorgte ein solcher Fund nur wenige Kilometer talabwärts für Schlagzeilen: Im Februar 2012 wurde auf der Abfalldeponie Steinigand in Wimmis ein totes Baby entdeckt. Wochenlang tappte die Polizei im Dunkeln, im Sommer fand sie die 23-jährige Mutter des Kindes. Nach den Befragungen gingen die Beamten davon aus, dass das Mädchen lebend zur Welt gekommen war.

Nach seinem Tod bewahrte die junge Frau den leblosen Körper längere Zeit bei sich auf, bevor sie ihn zur Abfalldeponie brachte.

Trotzdem wurde die Mutter später vom Vorwurf der Kindstötung freigesprochen. Der Richter verurteilte sie aber wegen der Störung des Totenfriedens, weil sie den kleinen Leichnam in eine Abfallmulde gelegt hatte. Vor Gericht sagte die Frau aus, dass sie erst einen Monat vor der Geburt realisiert habe, dass sie schwanger sei. Nachdem sie das Kind zu Hause geboren habe, habe sie gemerkt, dass das Baby nicht gut atme. Wenig später sei es gestorben. Sie habe das Baby im Garten begraben wollen, dies aber nicht gewagt. Deshalb habe sie es zur Abfalldeponie gebracht.

Ein Jahr vor dem Fund in Wimmis erschütterte ein ähnlicher Fall aus dem Raum Solothurn die Öffentlichkeit. Ein Arbeiter der Kompostieranlage Bellach entdeckte im Sommer 2011 mitten im Schwemmholz aus dem Aare-Kraftwerk Flumenthal die Leiche eines Neugeborenen. Die Suche nach der Mutter führte die Polizei flussaufwärts in den Kanton Bern: Zwei Wochen später war klar, dass die Frau aus Eggiwil im Oberemmental stammte und 20 Jahre alt war.

Die junge Frau gab an, sie sei zum Gebären an die Emme gegangen. Als sie sich gewaschen habe, habe der Fluss den Kleinen erfasst und weggetragen. Von ihrer Schwangerschaft habe sie zuvor rein gar nichts bemerkt. Sie sei völlig überrascht gewesen, als plötzlich starke Bauchschmerzen – die Wehen – eingesetzt hätten.

Umso grösser war das Werweissen im dörflichen Umfeld der jungen Frau. Den Eggiwilerinnen und Eggiwilern war sehr wohl aufgefallen, wie sich ihr Bauch plötzlich zu wölben begann – und dass sie plötzlich wieder viel schlanker aussah, so, wie man sie immer gekannt hatte. Als die Nachricht vom toten Baby aus Flumenthal die Runde machte, zählten sie eins und eins zusammen und brachten so die Polizei auf die Spur.

Viele waren auch sehr betroffen, allen voran die Gemeinderätin, die im Ressort Soziales tätig war. Sie frage sich im Nachhinein schon, ob sie das Problem hätte erkennen und dann handeln müssen, sagte sie hörbar aufgewühlt am Telefon. Um gleich zu relativieren: Heutzutage sei es ja gang und gäbe, dass eine ledige Frau Mutter werde. Da könne man sich nicht gleich einmischen.

Juristisch ging die Sache für die junge Mutter glimpflich aus. Weil die Staatsanwaltschaft erhärten konnte, dass das Baby bereits tot zur Welt gekommen war, wurde das Verfahren eingestellt.

Nicht immer gehen die Fälle so tragisch aus. 2013 etwa fand eine Kundin auf einer Toilette im Coop Strättligen in Thun einen Säugling. Die Polizei brachte den wenige Tage alten Jungen ins Spital. Gesundheitlich ging es ihm gut, die Mutter war aber unauffindbar. In der Babytasche hatte sie jedoch einen Brief hinterlegt. Die Polizei ermittelte auf Hochtouren – und fand die Frau wenig später.

In der Folge erreichte das Thema Babyfenster die politische Diskussion auf regionaler und kantonaler Ebene – unter anderem wurde das Spital Thun beauftragt, die Möglichkeit eines Babyfensters zu prüfen. Aus ethischen und rechtlichen Gründen entschied man sich aber dagegen. Anders ist es in der Stadt Bern, wo das Lindenhofspital eines von derzeit acht Babyfenstern in der Schweiz betreibt.

Stefan Geissbühler, Stephan Künzi

Stichwörter: Därstetten, Baby, Neugeborenes

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