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Ständeratswahlen

Sie nimmt das Resultat vorweg

Marianne Streiff nimmt den dritten Anlauf, um ins Stöckli gewählt zu werden. Die EVP-Präsidentin über Wahlchancen, Wunder und die Schwierigkeit, sich in den Mittelpunkt zu stellen.

Gefragt nach einem Rezept für den Kanton Bern, schafft Marianne Streiff Tatsachen und präsentiert ihre selbst gebackenen Schoko-Kokos-Schnitten. Bild: Raphael Moser
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Chantal Desbiolles

Rezepte? Schön und gut, findet Marianne Streiff. Viel lieber aber seien ihr Resultate, sagt die 62-Jährige und deutet auf die Kuchenplatte. Da türmen sich die dunklen Stücke eines Blechkuchens, der einen klebrig-krümeligen Kontrast bildet in dieser blanken Küche. Die ausladende, offene Küche ist das erste, was Besucher sehen, wenn sie in der Attikawohnung von Marianne Streiff und ihrem Mann Jürg aus dem Lift steigen. Glatte Oberflächen, kühle Strukturen, durchdachtes Styling: Das Daheim im gepflegten Neubauquartier am Rand von Urtenen-Schönbühl macht einer Musterwohnung alle Ehre. Sachliche Nüchternheit und eine penible Ordnung herrschen vor. Und Weitblick: Über die Glasfront des Wohnzimmers und die grosse Terrasse hinweg geht der Blick über die Felder und den Wald. Er bleibt erst an der Jurakette hängen.

Ihre Familie nennt die kalorienreiche Köstlichkeit, die Marianne Streiff vorbereitet hat, Schoko-Kokos-Schnitten. Ein sicherer Wert für Kindergeburtstage und Familienfeste über Jahrzehnte: Der Blechkuchen ist schnell zubereitet und tagelang geniessbar. Und auch wenn die drei Kinder des Ehepaars längst erwachsen sind und ausgezogen sind, bäckt Streiff den Betty-Bossi-Klassiker manchmal noch. Fürs Backen bleibt der Nationalrätin und Präsidentin der EVP Schweiz heute deutlich weniger Zeit. Ihre politische Karriere nahm an Fahrt auf, als der Nachwuchs flügge war. «Ich bin froh darum», sagt Marianne Streiff. Den Spagat junger Frauen im Nationalrat möchte sie nicht machen wollen. «Dafür bin ich viel zu gern Mutter.»

Die Schule ist Vergangenheit

In die Politik stieg die Lehrerin 1982 ein, da war ihr ältester Sohn noch nicht geboren. Erst war Marianne Streiff Mitglied der Schulkommission Oberwangen, später der Gymnasiumskommission Köniz. Es folgten acht Jahre im Könizer Gemeindeparlament, dann wurde sie ins Kantonsparlament gewählt und wurde nebenamtliche Könizer Gemeinderätin. Vor acht Jahren, als sie erstmals in die grosse Kammer gewählt wurde, verabschiedete sich Streiff von ihrem Beruf. 32 Jahre lang hatte sie unterrichtet, 17 davon an der BFF Bern am berufsvorbereitenden Schuljahr für Integration. «Das ist ein Lebensabschnitt, der abgeschlossen ist», sagt sie heute. Im Jahr darauf kandidierte sie erstmals für den Ständerat. Er funktioniere mehr wie eine Exekutive, findet Streiff. Diese Arbeitsweise komme ihr entgegen. Und: «Die Atmosphäre im Saal ist eine andere, man hört sich besser zu.»

Inzwischen nimmt Marianne Streiff den dritten Anlauf ins Stöckli mit äusserst geringen Wahlchancen, wie sie freimütig eingesteht. «Ich bin lange genug in der Politik, um zu wissen, dass es ein Wunder wäre, wenn dieser Sitz an die EVP ginge. Aber ich sage mir dann immer: Wer hat in seinem Leben noch nie ein Wunder erlebt?»

Die Antwort ist typisch für Marianne Streiff. Sie fürchtet nicht, sich aus dem Fenster zu lehnen. Auch wenn sie sich dabei nicht beliebt macht, grade bei heiklen Themen wie Präimplantationsdiagnostik, Fristenlösung oder Adoptionen bei gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. Zu dieser Haltung steht sie. Dass sie und ihre Partei auf just diese sozialethischen Themen und konservativen Positionen reduziert wird, bedauert die Parlamentarierin. Sie wird nicht müde, zu betonen, dass es die EVP war, die vor 75 Jahren die Initialzündung für den Gewässerschutz in der Schweiz gab, ihre Partei aber nie als grüne Partei wahrgenommen worden sei. «Für die Umweltfragen hat man die Grünen. Doch für uns ist es diese Politik, die wir immer gemacht haben.» Dabei sei doch logisch: Der Umwelt Sorge zu tragen, heisse, die Schöpfung zu wahren, argumentiert die Christin.

Im Nationalrat politisiert sie an der Seite von Parteikollege Nik Gugger als Teil der CVP-Fraktion. Dass die Themen nachhaltiger sind als auf kantonaler oder kommunaler Ebene: Das gefalle ihr. Die EVP hat sowohl an Sichtbarkeit als auch an Einfluss eingebüsst, seit CVP-Präsident Gerhard Pfister die Minderheit aus dem Fraktionsnamen strich. Auch die letzte nationale Schlagzeile um Marianne Streiff geht darauf zurück, stellte sie doch der «SonntagsBlick» als grösste Abweichlerin an den Pranger. Die Nationalrätin hat gemäss einer Datenrecherche bei 1131 von insgesamt 4341 Beschlüssen gegen die Haltung der CVP-Fraktion gestimmt. Als EVP-Vertreterin mag sie in wirtschaftlichen Belangen die Mitte gut vertreten, geht es um die Umwelt- oder Sozialpolitik, politisiert sie tendenziell weiter links.

2 von 200 Nationalräten

Streiff fordert regelmässig Mitspracherecht ein, ungebremst von der bescheidenen Stärke ihrer Partei, die in keinem Kanton die Marke von 5 Prozent an Wähleranteilen erreicht. Doch die EVP kann auf eine stabile Wählerbasis bauen und stellt seit 1919 nahezu ständig mindestens einen Nationalrat oder eben eine Nationalrätin. Zum Ziel gesetzt hat sich die EVP auf nationaler Ebene, mindestens einen Sitz mehr in der grossen Kammer zu erreichen und wenigstens die 2-Prozent-Hürde zu überschreiten. Es ist ein ungleicher Wahlkampf, wie Streiff herausstreicht. Die grossen Parteien seien in jeder Hinsicht im Vorteil, vorab finanziell: Ihre Partei leistet sich bescheidene 360 Stellenprozente im Generalsekretariat. Die Beiträge aus den beiden Nationalratsmandaten belaufen sich auf 52 000 Franken pro Jahr, während die CVP für ihre 40 Sitze mehr als eine Million Franken erhalte. Und als Parteipräsidentin verdiene sie im Jahr etwa so viel wie andere Parteipräsidenten monatlich. Wäre sie noch Lehrerin, würde sie pro Stunde mehr verdienen.

Arbeitet sie denn nicht für «Gottes Lohn»? Marianne Streiff lacht. «Nicht nur.» Aber tatsächlich stehe der monetäre Gegenwert nicht an erster Stelle bei ihr. Lieber will sie – getreu der Nächstenliebe – als privilegierter Mensch etwas zurückgeben. «Mein Herz schlägt für Leute, die sich nicht selber verteidigen oder Gehör verschaffen können.» Ihre Engagements zeugen davon. Als Präsidentin steht sie dem grössten Branchenverband für Menschen mit Behinderung, Insos Schweiz, und dem Tear Fund Schweiz, einem christlichen Hilfswerk der Evangelischen Allianz, vor.

Es geht nicht um ihre Person

Zugpferd und Aushängeschild in einem zu sein: Das ist für Marianne Streiff logisch, als Parteipräsidentin. Und doch nicht immer ganz einfach, wie sie sagt. Sich selber in den Fokus stellen, das tue sie nicht gern. Es gehe um Inhalte, nicht um ihre Person. Streiff glaubt: «Ich bin kein anderer Mensch, ob ich politisiere, unterrichte oder ältere Menschen betreue.» Daran ändere auch der Ständerat nichts. Was sie dort bewegen würde, steht für sie fest. «Wir müssen mehr Kompromisse eingehen», ist Streiff überzeugt. Die Blockaden zwischen den Polparteien müssten aufgelöst werden. Das gehe nur, wenn die Mitte gestärkt werde, die an Lösungen arbeite. Da sieht sie sich. Zeit für die einen oder anderen Kokosschnitten wird sich finden lassen.

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Marianne Streiffs Rezept für den Kanton Bern

Ihr Blechkuchen sei exemplarisch für den ganzen Kanton, findet Marianne Streiff:

• Das Verhältnis müsse stimmen. Dominiere eine der Zutaten zu stark, stimme die Mischung nicht mehr. Unter einem ausgewogenen Mix versteht die 62-jährige Nationalrätin ein Zusammenleben, bei dem der Mensch im Zentrum stehe.

• Es müsse ein faires Miteinander sein, das auf die Umwelt als Lebensgrundlage Rücksicht nehme und Nachhaltigkeit verspreche. Streiff zieht die Möglichkeit in Betracht, den nationalen Steuerwettbewerb einzuschränken. «Wenn dieser nicht so stark wäre, würde es Bern besser gehen.» Die Stärken als Bildungslandschaft und Tourismuskanton müsse der Kanton besser verkaufen. Und gleichzeitig auch überdenken, wie viel wo investiert werde, just bei der Spitallandschaft. cd

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