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Znünibox-Aktion

Wenn die Milchlobby erklärt, was gesund ist

Kinder sollen ausgewogen essen. Für dieses Ziel geht die Stadt Bern eine Kooperation mit Swissmilk ein, 
die Fragen aufwirft. Man biete neutrale Information, sagt die Milchlobby – nichts als Marketing, sagen die Kritiker.

Bild: zvg

Michael Feller

Endlich Kindergarten! Endlich Schule! Heute ist für Tausende Berner Kinder ein grosser Tag. Neue Gspändli, neue Lehrerin, neuer Lehrer. Und am Tag eins des neuen Lebensgefühls gibt es auch noch ein Geschenk der Stadt Bern: eine Pausenbox von praktischer Grösse fürs Znüni – das die Kinder künftig jeden Tag mit in die Schule bringen sollen. Dazu ein buntes Heftchen mit kreativen Tipps für die ausgewogene Mahlzeit.

So weit, so gut. Nur: Box wie Broschüre sind von Swissmilk, also von den Schweizer Milchproduzenten. Und die haben unübersehbar ein waches Interesse, dass zum Znüni reichlich Milchprodukte konsumiert werden. Auf der Pausenbox steht: «3× am Tag Milch». Zu sehen sind ausserdem zwei Kinder und die Kuh Lovely, die, stark und schlau, seit Jahrzehnten durch die TV-Werbung von Swissmilk tigert.

Auf dem Heftchen sind wieder die beiden fröhlichen Kinder zu sehen, beide mit einem Glas Milch in der Hand. «Zmorge und Znüni – Annas und Michis Lieblingsrezepte» heisst es darauf. Kaum verwunderlich: Keines von Annas und Michis Lieblingsrezepten kommt ohne Milchprodukte aus. Zwei Poster mit Ernährungstipps ergänzen das Paket.

Prävention, nicht Werbung

Vielen Eltern stösst das Geschenk sauer auf. Weshalb darf die Milchlobby in der Schule Milchprodukte abfeiern? Auf Nachfrage bei der Stadt zeigt sich: Hier handelt es sich – eigentlich – nicht um Werbung, sondern um eine Präventionsaktion des Berner Gesundheitsdienstes, wie dessen Co-Leiter Richard Jakob erklärt. «Die Abgabe der Znünibox zielt auf eine gesunde Ernährung im Allgemeinen sowie gesunde Zwischenmahlzeiten im Speziellen.»

Die Ess- und Trinkgewohnheiten in der Gesellschaft hätten sich in den letzten Jahren stark verändert, immer mehr Kinder kommen laut Richard Jakob ohne oder mit einem ungeeigneten Frühstück im Bauch in die Schule. Die Folge: Sie sind unkonzentriert oder haben ein vermindertes Leistungsvermögen, «sodass sie den Anforderungen der Schule nicht mehr gerecht werden». Deshalb bietet der Berner Gesundheitsdienst den Schulen mehrere Aktionen zum Thema an.

«Kein dauerhaftes Produkt»

Zu den Eltern, die sich über die Pausenbox wundern, gehört auch EVP-Stadträtin Bettina Jans-Troxler, die mit ihrer Familie im Lorrainequartier wohnt. «Ich habe nichts gegen die Milchwirtschaft, und die Znüni-Aktionen des Gesundheitsdienstes finde ich wichtig. Aber es ist nicht in Ordnung, dass die Milchlobby beim Thema Ernährung einen so grossen Auftritt in den Schulen erhält.» Ausserdem stört sie die Qualität der gratis abgegebenen blauen Plastikbox. «Wenn man die täglich benutzt, ist sie nach drei Wochen kaputt. Das ist kein dauerhaftes Produkt.»

Die Stadt Bern erhält die Znüniboxen nicht etwa gratis von Swissmilk, sie kauft sie für einen Franken pro Stück. Es ist dieselbe Box, die man für vier Franken online bei den Merchandising-Artikeln der Milchproduzenten findet. «Der Gesundheitsdienst überprüft regelmässig, ob es Alternativen dazu gäbe. Bisher hat sich das Böxli am besten bewährt, und viele Familien sind dankbar dafür», sagt Richard Jakob. Die Aufschrift «3× am Tag Milch» werde mit den Lehrerinnen und Lehrern thematisiert. «Wir stellen ihnen frei, ob sie diese mit den Kindern übermalen oder sie so lassen.» Rund zwei Drittel der Stadtberner Kindergärten und Unterstufenklassen machen bei der Aktion Znünibox mit.

«Der Gesundheitsdienst weist darauf hin, dass Milch ein Bestandteil der ausgewogenen Ernährung sein kann, jedoch auch bedenkenlos weggelassen werden kann», sagt Richard Jakob. Nebst den Swissmilk-Tipps verteilt der Gesundheitsdienst ein eigenes Merkblatt in 14 Sprachen. Ob dieser Hinweis gegen den peppigen Auftritt von Anna, Michi und Lovely ankommt?

Findige Milchproduzenten

Seit 1999 treten die Schweizer Milchproduzenten unter dem Label Swissmilk auf, um ein positives Bild der Milch zu vermitteln. Bereits 1993 wurde die Werbekuh Lovely ins Leben gerufen, die unter anderem Fussball spielen konnte. Wenig später musste Swissmilk bei einer Werbebotschaft zurückkrebsen. In einer Kampagne war behauptet worden, Milch mache starke Knochen und helfe so, Knochenbrüchigkeit im Alter vorzubeugen. Dies verstiess gegen das Täuschungsverbot der Lebensmittelverordnung, wie das Bundesgericht festhielt.

Heute sind die Werbeversprechen der Milchproduzenten weit weniger offensiv. Lovely gibt es noch immer, doch Fussball spielen kann sie nicht mehr. Heute wird die starke Kuh in einem bäuerlichen Idyll gezeigt. Die Milch als Naturprodukt steht im Vordergrund. «Ja, unser Auftritt hat sich geändert», sagt Reto Burkhardt. Er ist Kommunikationschef der Schweizer Milchproduzenten mit Sitz in Bern. Er weist den Vorwurf zurück, die Milchproduzenten würden in den Schulen Werbung machen. «Unter dem Label Swissmilk bieten wir ja nicht ein Produkt an, wir vertreten eine ganze Produktegattung.» Es gehe also um mehr als um die Milch.

«Gesunde Ernährung ist ein Thema, das im Lehrplan 21 verankert ist und das wir vermitteln wollen», sagt Burkhardt. Dabei richte sich Swissmilk nach den offiziellen Empfehlungen der Schweizer Gesellschaft für Ernährung, in denen Milchprodukte als Teil einer ausgewogenen Ernährung empfohlen werden. Für Lehrpersonen sei gesundes Znüni ein wichtiges Thema. Darum seien sie froh um gutes Unterrichtsmaterial. «Unser Vorteil dabei ist, dass wir neutrale Basisinformation zu den Milchprodukten vermitteln können – und nicht, dass wir Produkte bewerben.»

Ist das eine neutrale Basisinformation? «Das ist nichts als Marketing», sagt Laura Lombardini von der Veganen Gesellschaft Schweiz. Die Vegane Gesellschaft hat bereits im Zusammenhang mit der Swissmilk-Aktion «Tag der Pausenmilch» an der traditionell gewachsenen und zu wenig hinterfragten Nähe von Swissmilk zu den Schulen Kritik geübt.

«Swissmilk versucht, einen alten Mythos aufrechtzuerhalten, dass Milchprodukte unerlässlich für eine gesunde Ernährung seien. Aber das stimmt nicht», sagt Geschäftsführerin Lombardini. Der Konsum von tierischen Produkten sei heute viel zu hoch, die damit verbundenen gesundheitlichen und ökologischen Folgen thematisiere Swissmilk bewusst nicht – «schon gar nicht das dadurch verursachte Tierleid», ergänzt Laura Lombardini. «Dass dann noch an Schulen die Werbetrommel gerührt wird, ist skandalös.»

Stichwörter: Milchlobby, Milch, Marketing

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