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Kiesentschädigung

Wenn Kiesgruben zu Goldgruben werden

Gehört eine gut laufende Kiesgrube der Standortgemeinde, ist diese oft eine Steueroase. Aber nur, wenn sie mit den Kiesfirmen eine gute Abgeltung aushandelt.

Bild: Beat Mathys

Stefan von Bergen

Steuerparadiese stellt man sich anders vor. Die drei steuergünstigsten Gemeinden im Kanton Bern sind klein, ländlich und eher abgelegen. Villenquartiere oder Firmensitze gibt es dort nicht. Und dennoch hat das Spitzentrio supertiefe Gemeindesteueranlagen. 0,89 beträgt sie in Deisswil bei Münchenbuchsee, in Walliswil bei Niederbipp 0,9 und in Rumendingen bei Wynigen 1,0. Erst dann folgt in der Rangliste das reiche Muri mit 1,14. Im Schnitt belasten Berner Gemeinden ihre Steuerzahler mit einem satten Satz von 1,65.

Wie machen das die drei Kommunen bloss? Ihr Wettbewerbsvorteil: Sie beherbergen alle eine Kiesgrube. Für den Abbau ihres Bodenschatzes erhalten die Grundbesitzer und Standortgemeinden von den Betreiberfirmen jährlich bis zu sechsstellige Abgeltungssummen. In einigen Gemeinden sind die Kiesgruben veritable Goldgruben. Die Steuerzahler müssen dort bei der Budgetierung für 2022 keine Steuererhöhung befürchten.

Kiesgemeinden kassieren gar doppelt: für den abgeführten Kies und ein zweites Mal für Deponiematerial, das in der ausgebeuteten Grube abgelagert wird. Und selbst wenn eine Gemeinde nicht Besitzerin des Kieswerkareals ist, kann sie eine sogenannte Inkonvenienzentschädigung für Unannehmlichkeiten wie Staub, Lärm und Schmutz der Transporte aushandeln.

 

Steuergünstig dank Kiesgeld

In der steuergünstigsten Berner Gemeinde Deisswil ist die Kiesgrube laut Gemeindeschreiberin Susanne Stettler fast ausgeschöpft und die Entschädigung deshalb geschrumpft. In der Nummer zwei im Steuerranking aber, in der 200-Seelen-Gemeinde Walliswil bei Niederbipp, wirkt sich das Kiesgeld aus wie ein Lottosechser. Von 2018 bis 2020 erhielt die Gemeinde von der Baufirma Marti AG jährlich zwischen 540 000 und 580 000 Franken Entschädigung für den Kiesabbau. Das ist mehr als das Doppelte der gesamten Steuereinnahmen. Die Kommune ohne eigene Schule und ohne ÖV-Anbindung hat ein schlankes Jahresbudget von 1,2 bis 1,4 Millionen Franken.

«Ohne Kiesgeld würde die Steueranlage wie bei den meisten Oberaargauer Gemeinden bei etwa 1,70 liegen», sagt Finanzverwalter Kilian Leuthold aus Wangen an der Aare, von wo aus das kleine Walliswil verwaltet wird. Bei 1,70 würde eine Familie mit zwei Kindern und einem steuerbaren Einkommen von 50 000 Franken gut 2800 Franken Gemeindesteuern bezahlen. In Walliswil aber liefert sie bloss 1480 Franken ab – fast 1300 Franken weniger.

Eigentlich wäre Walliswil eine attraktive Braut für eine Gemeindefusion. Eine solche aber muss sie paradoxerweise vermeiden, wenn ihre Steuerbelastung so tief bleiben soll.

Die Kiesgrube in Rumendingen, der Nummer drei im Steuerranking, liegt zwar auf dem Privatgrund mehrerer Bauern. Dennoch erhält die Emmentaler Kleingemeinde mit 81 Einwohnern von der Betreiberin, der Fr. Blaser AG aus Hasle, eine ­jährliche Inkonvenienzentschädigung von 70 000 Franken. «Das entspricht fast dem jährlichen Gemeindesteuerertrag von 80 000 Franken», sagt Michelle Leu, Gemeindeschreiberin von Wynigen, von wo aus Rumendingen verwaltet wird.

Mehrere dieser kleinen Steueroasen sind finanzschwach. Walliswil bei Niederbipp, Rumendingen, Treiten im Seeland oder auch das oberaargauische Berken haben eine unterdurchschnittliche Steuerkraft. Sie erhalten deshalb sogar noch Zahlungen aus dem kantonalen Finanzausgleichstopf.

«Es gibt eigentlich eine Korrelation zwischen tiefer Steuerkraft und hoher Steuerbelastung», sagt Gerhard Engel, Generalsekretär der kantonalen Finanzdirektion. Die hohen Kiesentschädigungen aber vermögen diese Korrelation laut Engel zu brechen. Aus steuerschwachen werden so wie durch Zauberhand steuergünstige Gemeinden.

 

Undurchsichtige Branche

In allen Regionen des Kantons gibt es zahllose Kieswerke. Lange nicht alle Standortgemeinden aber können ihre Steuerbelastung dank des Geldsegens für den Kiesabbau optimieren. Wenn das Kieswerkgelände Privaten gehört, profitiert die Kommune nur indirekt über die Besteuerung der Abgeltung. Je grösser eine Gemeinde und ihr Budget, desto weniger fällt das Kiesgeld überdies ins Gewicht. Köniz erhielt zwar laut Finanzverwalter Pascal Meuwly für den Abbau im Kieswerk der Messerli AG in Oberwangen 2020 über 90 000 Franken Abgeltung. Das sei aber in der finanziell angeschlagenen Grossgemeinde, die um eine Steuererhöhung ringt, nur «ein Tropfen auf den heissen Stein», sagt Meuwly.

Hinzu kommt: Die Abgeltung für den Kiesabbau sprudelt höchst ungleichmässig. Die Inkonvenienzentschädigung schwankt pro Kubikmeter Kies nämlich zwischen 20 Rappen und etwa 8 Franken. Samuel Wittwer, Gemeindepräsident im emmentalischen Landiswil, kommen Abgeltungen von einer halben Million Franken vor «wie Science-Fiction». In Landiswil mache das Kiesgeld nur etwa ein Steuerzehntel oder rund 50 000 Franken aus.

Kies bedeute auch Ärger und Immissionen, sagt Wittwer. Er erzählt von zähen Verhandlungen mit dauernd wechselnden Ansprechpartnern in der «unübersichtlichen Kiesbranche» mit ihren Firmenkonglomeraten. Es gibt weder einheitliche noch transparente Tarife pro Kubikmeter Kies oder Deponieaushub. Seit 1985 können Berner Gemeinden aufgrund des Baugesetzes mit den Kiesfirmen Entschädigungen in einem öffentlich-rechtlichen Vertrag aushandeln. «Jede Gemeinde kämpft aber dabei für sich allein», sagt Samuel Wittwer.

 

Keine transparenten Tarife

In den 1990er-Jahren scheiterte der Versuch, ein kantonales Kiesregal mit fixen Konzessionsabgaben zu etablieren, am Widerstand der Kiesbranche und im Grossen Rat. Für die Nutzung mineralischer Stoffe aus dem Untergrund gilt im Kanton Bern ein Bergregal. Auch für die Nutzung des Wassers müssen Kraftwerkunternehmen den Standortgemeinden einen national fixierten Wasserzins zahlen. Beim oberirdischen Kiesabbau aber ist der Tarif Verhandlungssache.

Kiesgemeinden klopfen deshalb gern bei Urs Eymann an. Der Berner Fürsprecher war Geschäftsführer eines 2005 aufgelösten Verbands von Gemeinden mit Kiesgruben und Deponien. Heute berät er unter anderem Gemeinden bei den Vertragsverhandlungen. «Jede Kiesgrube hat ihre eigene Preisliste», bestätigt auch er die Unübersichtlichkeit der Branche. Es gebe kaum Vergleichsmöglichkeiten. Die grosse Preisspanne ergebe sich auch daraus, dass die Gemeindebehörden unterschiedlich gut verhandelten.

 

Mehrwertabgaben möglich

Seit dem April 2017 sieht das revidierte Baugesetz des Kantons Bern Mehrwertabgaben auch für neue Abbau- und Deponieplanungen vor, nicht nur für neu eingezontes Bauland. Im Gesetz ist allerdings bloss eine Kann-Formulierung festgehalten, keine Abgeltungspflicht. «Die meisten Gemeinden machen mittlerweile von der Möglichkeit Gebrauch, vertraglich eine Entschädigung auszuhandeln», weiss Eymann.

Auch wenn eine Gemeinde das Kiesgelände nicht besitzt, kann sie so 20 bis 40 Prozent der ­Abgeltung an die Grundbesitzer als Mehrwert einholen. Diese ­Abgabe ist allerdings zweckgebunden und muss in besondere Infrastrukturfonds eingezahlt werden. Sie kann nicht einfach zur Senkung der Steueranlage eingesetzt werden.

 

Kiesverband wehrt sich

Roger Lötscher, Geschäftsführer des kantonalen Verbands der Kies- und Betonunternehmen KSE Bern, verteidigt die Preisspanne bei den Abgeltungszahlungen. «In den Verträgen mit den Gemeinden müssen verschiedene Faktoren abgewogen werden», sagt er. Der Kies habe unterschiedliche Qualität, er sei je nach Lage unter einem Waldstück oder einer Grundmoräne mehr oder weniger gut zugänglich, und je nach Mächtigkeit und Lage des Vorkommens sei die Rentabilität eingeschränkt.

Sein Verband habe sich gegen die «zusätzliche Belastung» durch eine Mehrwertabgabe gewehrt, sagt Lötscher. Das sei «eine weitere Besteuerung». Die Mehrwertabgaben würden den Kies verteuern – dies in einem ohnehin schon harten Wettbewerb mit hohem Preisdruck. Lötscher verweist auch darauf, dass die Kiesunternehmen für die Gemeinden auch Fachleistungen erbringen: Sie reinigen Strassen, räumen im Winter Schnee.

Das neue Instrument der Mehrwertabgabe weckt in diversen Kiesgemeinden Begehrlichkeiten. Will ein Unternehmen eine Kiesgrube erweitern, ist dafür eine Überbauungsordnung nötig. Darüber entscheidet die Gemeindeversammlung. Die Verträge für die Entschädigung wurden so jüngst vermehrt zum Gegenstand der Lokalpolitik.

In Hasle-Rüegsau etwa entschied eine ausserordentliche Gemeindeversammlung im Februar 2020 über eine Kiesgrubenerweiterung im Grossacher. Kritische Gemeindebürger monierten, der Gemeinderat habe mit der Fr. Blaser AG einen zu tiefen Kubikmeterpreis ausgehandelt. Sie hatten recherchiert, dass dieselbe Firma in der Nachbargemeinde Landiswil höhere Deponiepreise zahle.

Monika Ulrich, Sprecherin der Juramaterial-Gruppe, verteidigt die Preispolitik des Unternehmens, dem auch die Fr. Blaser AG angehört: «Je nach Kiesgrube herrschen unterschiedliche lokale Begebenheiten, es gibt für die Entschädigung keine starren Vorgaben.» Der Druck der Gemeinden wachse stetig, sie führten die Verhandlungen hart und engagiert.

Vielleicht machen die Gemeinden auch Druck, weil sie wissen, dass das Kiesgeld nicht ewig sprudelt. Die Baukonjunktur ist Schwankungen unterworfen, und Kiesvorräte gehen zur Neige. Eine Grubenweiterung liegt vielleicht auf dem Territorium der Nachbargemeinde. «Allzu viele Erweiterungen von Berner Kiesgruben sind nicht geplant», weiss Branchenkenner Urs Eymann. Wegen des Recyclings von Beton brauche es heute generell weniger Kies. Was im Kanton Bern eher fehle, seien Deponieflächen.

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