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Gurtenfestival

Wie aus Berner Festivalprofis Fachleute
 für Coronatests wurden

Die Pandemie zwingt das Team das Openairs auf dem Berner Hausberg zum zweiten Mal in Folge zur Absage. 
Das Virus verschaffte ihm aber zugleich ein zweites Standbein.

Im Oktober kam die Anfrage, im November nahm die Gurtenfestival AG das Schnelltestzentrum in Betrieb. Bild: Raphael Moser

Quentin Schlapbach

Der Anblick tut weh, auch wenn er wunderschön ist. Es ist der Montagmorgen nach dem EM-Final, und die saftig-grüne Wiese auf dem Gurten ist menschenleer. Um diese Jahreszeit sollten hier oben eigentlich die Bühnen, Zelte und Anlagen des Gurtenfestivals stehen. Für viele Bernerinnen und Berner sind es jeweils die vier schönsten Tage im Jahr, an denen ausgelassen gesungen, getanzt und gefeiert wird.

Aber daraus wird bekanntlich nichts. Statt wummernder Bässe gibt es auch heuer auf dem Gurten nur das Summen und Brummen der Insekten zu hören. Der Berner Kultanlass fällt der Coronapandemie zum Opfer – zum zweiten Mal in Folge. «Wir haben die Planung lange Zeit hinausgeschoben und abgewartet. Aber Mitte März war dann klar, dass die Unsicherheiten einfach zu gross sind», sagt Lena Fischer.

Die 32-jährige Bernerin ist seit drei Jahren Teil des Gurtenfestival-Teams. Für die Ausgabe 2019 war sie noch fürs Booking mitverantwortlich. Im Jahr darauf übernahm sie die Leitung für den Bereich Marketing und Kommunikation. Aber statt über Bandverpflichtungen und neue Angebote zu informieren, musste Fischer den Gurten-Fans bisher vor allem Hiobsbotschaften überbringen.

Die Absage im Jahr 2020 sei für alle noch ein Schock gewesen, sagt Fischer. Dieses Jahr fällt es nun etwas leichter, weil sich die Absage über längere Zeit abzeichnete und der Entscheid Mitte März nicht mehr so plötzlich kam. Und vielleicht auch, weil die Hoffnung nun sehr gross sei, dass es nächstes Jahr tatsächlich wieder ein Festival geben wird.

Es soll eine Rückkehr zu den Wurzeln werden, «zurück zu unserer Kernkompetenz», wie Lena Fischer es nennt. Denn auch wenn die Coronapandemie den Gurten-Veranstaltern über eineinhalb Jahre lang ihre eigentliche «raison d’etre» raubte, blieben sie dabei nicht untätig.

Das hängt entscheidend mit einem Anruf Mitte Oktober zusammen. Die meisten der zwölf fest angestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gurtenfestival AG befanden sich
damals in Kurzarbeit. Als die Corona-Zahlen im September wieder explosionsartig anstiegen, war für sie bereits klar, dass an eine normale Planung für das Festival 2021 nicht zu denken war. In dieser Zeit kam der besagte Anruf aus der Gesundheitsdirektion des Kantons Bern. Könnt ihr für uns ein Corona-Schnelltestzentrum auf die Beine stellen? Das war die Frage, welche die Behörden der Gurten-Crew stellten.

Arbeit trotz
Kultur-Lockdown

Jene, die in den letzten Monaten in einem grösseren Testzentrum einen Corona-Abstrich machen mussten, hatten dabei wohl kaum das Gefühl, an einem «Event» teilgenommen zu haben. Umso mehr, weil man mit einem Event normalerweise etwas Positives verbindet.

Und doch braucht es für die Organisation eines Testzentrums ein ähnliches Know-how wie für das Durchführen eines Grossanlasses: der Bau von temporärer Infrastruktur, die Kommunikation über digitale Kanäle, das Kanalisieren von grossen Menschenmassen und – was die Gurtenfestival AG dem Kanton auch anbieten konnte – eine Softwarelösung für das Anmelden und das Übermitteln der Resultate an die Testteilnehmenden. Lena Fischer sagt, dass man sich die Anfrage des Kantons nur einen Nachmittag lang habe durch den Kopf gehen lassen. «Dann war für uns klar: Wir machen das.»

Von Anfang November bis Ende März managten die Mitarbeitenden des Gurtenfestivals also fortan das Schnelltestzentrum in Belp. Und sie konnten dabei auch vielen Leuten Arbeitseinsätze vermitteln, die durch den Kultur-Lockdown vor einer leeren Agenda sassen. Musikerinnen, Tontechniker oder Serviceangestellte – sie alle wurden innert weniger Tage darin geschult, wie man einen korrekten Testabstrich macht.

Lena Fischer koordinierte zusammen mit Gurtenfestival-Geschäftsführer Bobby Bähler die Testorganisation. Auch wenn es manchmal nass und ungemütlich kalt wurde, habe auf dem Areal neben dem Belper Giessenbad immer eine gute Stimmung geherrscht, sagt Fischer. «Bei uns liessen sich aber auch nur Leute testen, die zu keiner Risikogruppe gehören», sagt sie. Deshalb waren die meisten Testteilnehmenden gesundheitlich nicht allzu schwer angeschlagen.

«Wir leeren die Spucke zusammen»

Bei der Anfrage des Kantons war von Anfang an klar, dass das Testzentrum nur so lange in Betrieb sein wird, wie die Pandemie dies verlangt. Zusätzlich übernahm die Gurten-Crew aber auch weitere Aufgaben. Wann immer es fortan in einer Berner Gemeinde einen lokalen Ausbruch gab, war die Gurten-Crew mit einem mobilen Team – oft mit dem sogenannten Covid-Truck – vor Ort, und die Menschen konnten sich testen lassen.

Auch bei den Massentests an den Berner Schulen hätten sie eine Rolle übernommen, wie Lena Fischer – nicht ohne zu schmunzeln – erzählt. «Wir leeren die Spucke zusammen», sagt sie. Das heisst, sie füllen den Speichel von maximal zehn Schülerinnen und Schülern beim Labor in Münsingen in einen Behälter und leiten diesen zur Auswertung weiter.

Innerhalb von wenigen Monaten ist aus Spezialistinnen und Spezialisten für Grossanlässe so eine Gruppe von Viren-Sachverständigen geworden. Die Gurtenfestival AG ist auch ein schönes Beispiel, wie ein Unternehmen auf eine aussergewöhnliche Krise flexibel und unbürokratisch reagieren kann.

Noch bis Ende Juli laufen die Corona-Arbeiten für den Kanton Bern. Danach geht das Gurten-Team für einen Monat lang in die Ferien. Ab September soll dann wieder ganz normal die Planung für die Ausgabe 2022 beginnen. Ob die Behörden im Herbst erneut bei ihnen anklopfen, werde sich zeigen, sagt Lena Fischer. Sie geht aber derzeit davon aus, dass einzig die extra entwickelte Software weiterhin vom Kanton in Anspruch genommen wird.

Das Wetter kann 
nur besser werden

Finanziell hat sich der Ausflug in die Corona-Test-Branche insofern gelohnt, als das Gurtenfestival-Team aus der Kurzarbeit und zusammen arbeiten konnte. «Für uns war schön, dass wir etwas Sinnvolles zu der Situation beitragen konnten», sagt Fischer. Für die Ausgabe 2020, die nicht stattfinden konnte, gab es vom Kanton eine Ausfallsentschädigung, welche 60 Prozent der Aufwände deckte. Für das Jahr 2021 ist dies noch offen.

Vom Corona-Schutzschirm für abgesagte Veranstaltungen, welcher im Kanton Bern ab Juli in Kraft ist, kann das Gurtenfestival aber nicht profitieren. «Der gilt nur für bereits bewilligte Veranstaltungen», sagt Fischer. Die Coronakrise hinterlässt deshalb auch beim Gurtenfestival insgesamt ein Loch in der Kasse. «Wir waren aber nie in unserer Existenz bedroht», hält Lena Fischer fest.

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