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«Wir werden wohl vieles noch anpassen müssen»

Von jetzt auf nachher haben die Lehrerinnen und Lehrer in Bern ihre Schulstunden auf Fernunterricht umgestellt. Das Konzept steht. Ob der Plan aufgeht, ist eine andere Frage. Heikel könnte es werden, wenn aus den Wochen des Ausnahmezustands Monate würden.

Symbolbild Keystone
  • Dossier

Marius Aschwanden

Maximal vier Kinder pilgerten in den letzten Tagen gemeinsam in die Stadtberner Schulhäuser. Jede Gruppe hatte eine gewisse Zeitspanne zur Verfügung, die den Eltern vorgängig mitgeteilt wurde. Abstand halten, nicht zu viele Kids an einem Ort, so das Gebot der Stunde. In der Schule bekam der Nachwuchs von den Lehrpersonen Hefte, Arbeitsblätter und teilweise auch Tablets oder Laptops. Dann ging es sofort wieder nach Hause.

Es ist Tag 2 des schweizweiten Lockdowns. Die meisten Geschäfte, Restaurants oder Fitnesscenter sind seit Dienstag geschlossen. Bereits einen Tag vorher blieben die Türen der Schulen zu. Für eine Million Kinder und Jugendliche findet bis mindestens am 19. April vor Ort kein Unterricht mehr statt.

Nur noch in Notfällen werden sie in den Schulhäusern betreut. Etwa dann, wenn die Eltern in Gesundheitsberufen arbeiten und sich keine andere Lösung finden lässt. Ansonsten heisst es für die Kinder bis auf weiteres: «Distance Learning».

So auch im Schulkreis Kirchenfeld-Schosshalde. Insbesondere am Wochenende und am Montag sei es turbulent zu- und hergegangen, sagt der geschäftsführende Schulleiter Urs Schenk. Die Notbetreuung habe organisiert werden müssen, eine Absprachesitzung sei auf die nächste gefolgt. Jetzt aber steht das Konzept zum Fernunterricht. Ob der Plan, den die Lehrer gemacht haben, funktionieren wird oder nicht – das könne er noch nicht sagen. «Wir befinden uns erst am Anfang und werden vieles noch anpassen müssen.»

Mehr als Beschäftigung

Eine Herausforderung sei bereits absehbar: Da nun auch die meisten Lehrerinnen und Lehrer von zu Hause aus arbeiten, sei es nicht einfach, den Kontakt zu halten. «Schliesslich waren wir nicht darauf vorbereitet, von einem Tag auf den anderen auf Fernunterricht umzustellen», sagt der Leiter des Primarschulhauses Bitzius.

So wie Schenk ging es in den letzten Tagen allen Schulleitern und Lehrpersonen in der Schweiz und im Kanton Bern. Digitale Lernplattformen mussten aus dem Boden gestampft, Aufgaben auf Papier ausformuliert oder Anleitungen per Videobotschaft verbreitet werden. Es ist die grösste Fernunterrichtsoffensive, die die Schweiz je gesehen hat.

Mittlerweile hätten die meisten Schüler im Kanton Bern die notwendigen Unterlagen erhalten, teilt Kommunikationschef Christian Kräuchi mit. Wie genau der Fernunterricht abzulaufen hat, schreibt die Bildungsdirektion derweil nicht vor. Es solle aber klar mehr als nur eine Beschäftigung für die Kinder sein.

Die Aufgaben müssen zudem entweder mit elektronischen Mitteln, per Mail oder Post versandt werden. Wie lange die Kinder pro Tag hingegen daheim büffeln sollen, sei je nach Ausgestaltung des Fernunterrichts unterschiedlich. Klar ist dafür: Tests werden an der Volksschule vorerst bis zu den Frühlingsferien keine mehr stattfinden.

Vier Stunden lernen

Wie der Unterricht in den kommenden Wochen konkret aussehen kann, zeigt das Beispiel der Schule Lorraine/Wylergut. Ein Schreiben der Lehrer an die Eltern macht allerdings deutlich, dass es für alle eine noch nie da gewesene Situation ist: «Es muss nicht alles perfekt sein, es dürfen Fehler passieren, und es ist in Ordnung, wenn wir ab und zu überfordert sind», steht darin.

Die ersten Aufgaben wurden am Dienstag per Post verschickt. Für die dritte Klasse heisst das: Die Kinder arbeiten pro Tag 3,5 bis 4 Stunden meist mit ihren gewohnten Unterrichtsmaterialien. Aufträge werden in Mathe, Deutsch, Natur-Mensch-Gesellschaft und Französisch erteilt. Zudem werden Sportübungen empfohlen.

Nach dem Lernen sollen die Kinder ein Lerntagebuch führen, das die Eltern jede Woche fotografieren und an die Lehrperson senden. Die Lösungen der Aufgaben wurden den Eltern geschickt, die Kinder sollen ihre Arbeiten aber selber korrigieren. Jeweils am Morgen stehen die Lehrer per Mail oder Telefon für Unterstützung zur Verfügung.

Doch auch wenn verschiedene Schulen in ihren Informationsbriefen betonen, dass der Nachwuchs die Aufgaben möglichst selbstständig erledigen können soll, wird es unumgänglich sein, dass die Eltern in den kommenden Wochen massiv stärker eingebunden werden. Kombiniert mit der Aufforderung, im Homeoffice zu arbeiten, stellt das viele vor noch ungelöste Schwierigkeiten.

Das weiss man auch beim Kanton. Eine Patentlösung hat die Bildungsdirektion allerdings nicht parat. Es handle sich für alle um eine «neue und ganz sicher herausfordernde Situation», teilt Kräuchi lediglich mit.

Urs Schenk vom Bitzius-Schulhaus sagt, dass die Eltern nicht Hilfslehrpersonen sein müssen. Bei älteren Schülerinnen und Schülern, die bereits selbstständig arbeiten können, werde das sicherlich einfacher. «Kinder, die noch nicht lesen können, benötigen mehr Hilfe», sagt Schenk. Wichtig für ihn ist, dass sich Eltern bei den Lehrpersonen melden, wenn etwas nicht funktioniert. In schwierigen persönlichen und familiären Situationen könne zusätzlich der Schulsozialdienst Hilfe anbieten.

Laptop nicht so wichtig

Gemäss Regula Bircher, Geschäftsführerin des Berufsverbandes Bildung Bern, funktioniert der Fernunterricht an manchen Schulen schon sehr gut. Die Situation sei aber sehr unterschiedlich. So haben teilweise alle Kinder einen Computer zu Hause, andernorts lassen sie die Geräte im Klassenzimmer, oder es existieren gar nicht für alle Kinder Laptops oder Tablets.

Das sei aber auch nicht matchentscheidend, so Bircher. Der Unterricht werde sehr kreativ und auf unterschiedlichste Art und Weise aufgebaut. «Im Vordergrund steht die Bewältigung des Ausnahmezustandes. Die Schulen gewährleisten schon jetzt eine gewisse Kontinuität, was grossartig ist.»

Auch die Bildungsdirektion sieht kein Problem darin, wenn nicht überall elektronische Hilfsmittel zur Verfügung stehen. Es gebe unzählig viele andere gute Ideen: «Bücher lesen, Tagebuch schreiben, beim Backen helfen, Zutaten berechnen...»

Ungleichbehandlung droht

Weder Bircher noch Schulleiter Schenk können aber ausschliessen, dass die aktuelle Situation auch zu Ungleichbehandlungen führen kann. Der Digitalisierungsgrad der Schule, die Bildungsnähe der Eltern, die elektronischen Geräte in den eigenen vier Wänden: Das alles spielt eine Rolle in der Frage, wie der Unterricht in der kommenden Zeit bei den Kindern verfängt.

«Dauert die Situation nur einige Wochen, dann kann ein allfälliger Rückstand von Kindern gewiss aufgeholt werden», sagt Bircher. Sollten aus den Wochen Monate werden, sehe die Situation anders aus.

Der Schenk sieht aber auch Chancen im Ausnahmezustand: «Wenn wir das gemeistert haben, dann dürfte endgültig klar sein, dass wir auch in den Schulen nicht um die Digitalisierung herumkommen.»

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