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Munitionslager Mitholz

«Wir wissen nicht, wie es weitergehen soll»

Samuel und Ursula Künzi wohnen unmittelbar neben der Fluh, aus der 3500 Tonnen Munition entfernt werden sollen. Für das Landwirtepaar wird damit alles, was es während 20 Jahren in Mitholz aufgebaut hat, zerstört.

Samuel und Ursula Künzi wohnen direkt neben der markanten Fluh, in welcher sich das Munitionsdepot befindet. Ihr Landwirtschaftsbetrieb ist wegen des geplanten Abbaus infrage gestellt. Bild: Bruno Petroni

Bruno Petroni

Mittwochmorgen im Kandergrunder Weiler Mitholz: Die steilen Hänge von Elsighorn und Zallershorn sind nicht zu sehen – sie sind in dichten Nebel gehüllt. Es schneit, und ausser dem spärlichen Durchgangsverkehr hält sich kaum jemand draussen auf. Die düstere Szenerie passt zur Stimmung im Dorf – dem Dorf, das über kurz oder lang zum Aussterben verdammt sein wird. Am Küchentisch des Hofguts Meiermatte sitzt unter einigen Viehschau-Auszeichnungen Samuel Künzi. Ein kräftiger Landwirt, der gut und gern auch als Schwinger durchgehen würde. Sein glasiger Blick zeigt: Der Mann hat Kummer. Der 39-Jährige hat schlecht geschlafen, nachdem er wie alle anderen Mitholzer am Dienstagabend erfahren musste, dass seine Zeit hier an seinem Geburtsort ablaufen wird.

Rückkehr ist kein Thema

«Unser ganzes Hab und Gut – das sind der Hof mit einigen Parzellen Land, eine Scheune und zwei Weideställe – liegt neuerdings in der roten Gefahrenzone, seitdem das Vorhandensein der 3500 Tonnen Restmunition bekannt gegeben wurde.» Samuel Künzi, der sein ganzes Leben hier in Mitholz verbracht hat und ausschliesslich von der Landwirtschaft lebt, muss alles, was die Familie in den letzten 20 Jahren in Eigenarbeit aufgebaut hat, verlassen, mit seiner Familie wegziehen. Irgendwohin. Ab 2031 für zehn Jahre.

Eine Rückkehr nach diesen zehn Jahren ist für die Familie kein Thema: «Man kann sich ja vorstellen, wie die Häuser nach zehn Jahren des Leerstehens aussehen werden. Ein oder zwei Jahre wäre das machbar, aber sicher nicht zehn Jahre.» Jedenfalls verlangt Samuel Künzi vom Bund Unterstützung, wie sie von den Verantwortlichen versprochen worden ist. In den letzten fünf Jahren hat Künzi seinen Maschinenpark für viel Geld vergrössert und erneuert, den Stall auf der Fluh renoviert und mit seinen 80 Stück Vieh viel Arbeit in die Zucht investiert. «Und jetzt, wo für die langfristige Zukunft alles eingerichtet wäre, kommt dieser Hammerschlag.» Und während seine Augen wieder zu glänzen beginnen, schliesst er: «Wir wissen wirklich nicht, wie es weitergehen soll.»

Einige Schicksalsschläge

Ehefrau Ursula (39) «tut es am meisten weh, dass wir mit einem Wegzug von hier unsere Kinder im Alter von 5, 7 und 9 Jahren aus ihrem gewohnten Umfeld reissen müssen. Und alles, was uns mit diesem Ort, unserem Zuhause hier, verbindet und uns jetzt weggenommen wird, kann mit keinem Geld der Welt entschädigt werden.» Vor Schicksalsschlägen verschont wurde die Familie Künzi noch nie: Unter den neun Todesopfern wegen der Explosion vom Dezember 1947 befanden sich Samuels Onkel und Tante – beide starben im Inferno als Kleinkinder. Auch die Urgrossmutter fand damals den Tod. Die Grossmutter konnte in dieser Nacht in letzter Sekunde mit dem Baby im Arm – Samuels Tante Annelies – flüchten. «Trotz allem müssen wir uns eingestehen, dass wir sonst gesund sind und es untereinander gut haben», motiviert Ursula sich selber und ihre Familie.

Wie hoch wird die Einbusse?

Die Zukunft der Familie Künzi wird davon abhängen, ob sie innerhalb nützlicher Frist ein neues Zuhause finden wird. «Wir wollen jedenfalls nicht allzu lange abwarten, denn mit zunehmendem Alter unserer Kinder wird es bestimmt nicht einfacher.» Vieles hänge auch von der neuen Agrarpolitik des Bundes, der AP22+, ab, welche unter anderem regeln wird, welche Zonen wie viel Einbussen erleiden werden.

Auch der 100 Meter weiter südlich wohnende Albert Künzi – ein entfernter Verwandter von Samuel – ist mit der Tatsache konfrontiert, dass er sein Elternhaus wird verlassen müssen. Der 61-jährige Gemeinderat sagt: «Ich leide in letzter Zeit an massiven Schlafstörungen. Ich muss jetzt das Ganze erst mal verdauen und dann schauen, wie es weitergehen soll.»

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