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Musik

Das ganze Orchester auf einem Instrument

Der Bieler Gitarrist Tomas Sauter hat mit «Glances» sein allererstes Soloalbum veröffentlicht. Auf diesem wendet er sich der klassischen Gitarre zu – mit dem Instrument eines Meisters sucht er den perfekten Klang.

Tomas Sauter an der Baritongitarre. zvg
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"Glances"

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Tobias Graden

Eigentlich hätte Tomas Sauter in den letzten Wochen und Monaten richtig viele Konzerte gegeben. Er wäre mit Daniel Schläppi, seinem kongenialen Partner am Kontrabass, unterwegs gewesen und hätte mit ihm das neue Album des Duos vorgestellt. Er hätte eine Deutschland-Tournee gespielt und hatte manche Auftritte an Privatanlässen in Aussicht gehabt. Die CD-Veröffentlichung war für Frühling geplant gewesen, konnte allerdings nicht stattfinden – und jetzt im Herbst auch nicht. Denn ein Album zu publizieren, ohne Konzerte spielen zu können, macht für Sauter wenig Sinn – zumal seine Werke auf dem eigenen Label Catwalk erscheinen und er so selbständig darüber entscheiden kann.
Doch auch als Organisator wäre Sauter in diesen Tagen wieder in Erscheinung getreten. «Ich freue mich sehr, dass nach längerer Pause wieder Konzerte möglich sind», schrieb er noch mitte Oktober in seinem Newsletter. Wie in der Vergangenheit hätte er auch dieses Jahr wieder eine Reihe im Bieler «Cardinal» veranstaltet.
Aber eben.

Tüfteln in der Tiefe
Trotzdem: Der Gitarrist und Komponist hat die frei gewordene Zeit so genutzt, dass von ihr etwas für die Zukunft bleibt. So hat er beispielsweise viel komponiert – «damit kann ich auch künftig etwas machen». Und er ist, wie er sagt, «in verschiedenen Bereichen in die Tiefe gegangen»: Er hat getüftelt mit Instrumenten und Verstärkern, hat mit unterschiedlichen Saitenstärken experimentiert, dies im Hinblick auf eine Aufnahme, die er mit seinen früheren Mitstreitern Samuel Joss und Lukas Bitterlin. «Ich war bislang nie ganz zufrieden mit dem Sound meiner elektrischen Gitarren», sagt der Perfektionist, doch das hat sich nun geändert – auch dank der Instrumente selber:Eine Fender Telecaster aus dem Jahr 1956, eine Gibson Les Paul von 1952, dazu die passenden alten Verstärker, das lässt Gitarristenherzen höher schlagen. Schliesslich fand Sauter auch eine Jazzgitarre, die seine Ansprüche befriedigt – eine Gibson ES335 von 1961.
Es lässt sich denn eigentlich in einem Wort zusammenfassen, wofür Sauters Hauptohrenmerk der letzten Monate galt: dem Klang. Das gilt auch für sein neuestes Album, das er kürzlich veröffentlicht hat. Die eine Gitarre, die er auf «Glances» verwendet, ist noch älter als die oben genannten:Es ist eine Santos Hernandez aus dem Jahr 1923.

«Ein anderes Instrument»
Santos Hernandez gilt als einer der grossen spanischen Gitarrenbauer des 20. Jahrhunderts, seine Instrumente werden von den wichtigsten klassischen Gitarristen in den Konzerthäusern dieser Welt gespielt. «Glances» ist darum eine doppelte Premiere: Es ist Sauters allererstes Soloalbum nach mehr als 20 Jahren Musikschaffens, und es ist auch das erste, auf dem er zu einem guten Teil die klassische Konzertgitarre verwendet – und entsprechend «klassische» Stücke dafür geschrieben hat.
Einfach aus dem Finger geschüttelt hat er beides nicht, weder das Spiel noch die Kompositionen. «Die klassische Gitarre bedingt eine tief gehende Auseinandersetzung», sagt Sauter, «das ist quasi ein anderes Instrument.» Zwar mag die Musik, die Sauter mit dem Bassisten Schläppi spielt, in ihrer lyrischen Entspanntheit bisweilen der Klassik ähnlich wirken, doch hat sie eine durchaus andere Struktur, in der die Improvisation grossen Raum einnimmt.
Hinzu kommt: Als Solokünstler ist der Gitarrist nicht nur auch um den Bass besorgt – «ich muss ein ganzes Orchester auf eine Gitarre bringen», sagt Sauter. Anders als eine Pianistin hat er dafür aber nicht zwei Hände zur Verfügung, sondern er muss die Kompositionen so ausgestalten, dass eine Fülle an Lagen und Stimmen zur Geltung kommt. «Die orchestrale Dimension des Instruments zum Klingen zu bringen, das war eine Herausforderung für mich», sagt Sauter. Man müsse mit «Illusionen» arbeiten, zum Beispiel ein Muster halten und gleichzeitig die Melodie weiterzuführen, und nicht zuletzt bedeutete es: üben, üben, üben.

Brouwer und Messiaen
Das bedeutet nun nicht, dass Tomas Sauter Bachs Lautensuiten nachkomponiert. Doch hat er sich beispielsweise mit dem kubanischen Komponisten und Gitarristen Leo Brouwer beschäftigt. Frühere tadelte ihn der Lehrer jeweils, wenn Sauter dessen Stücke eigenhändig abänderte, nun sagt er über ihn: «Er ist eine wichtige Figur. Er ist nicht ein typischer ‹Klassiker›, sondern bringt beide Welten zusammen. Oder er hat Stücke in einem der sieben Messiaen-Modi geschrieben – der Komponist Olivier Messiaen erfand Tonleitern in ungewohnter Struktur, was Dissonanzen hervorbringt, aber gleichwohl nicht den Eindruck erweckt, es gerieten die Tonarten durcheinander.
Leicht hat es sich Tomas Sauter also nicht gemacht, auch wenn er immer schon komponiert hat. «Ich komme aus der Improvisation. Dabei verfestigen sich Ideen und werden niedergeschrieben», sagt er, «doch bei klassischen Kompositionen fängt da die Arbeit mit der klanglichen Gestaltung und Interpretation erst an.»

«Geflasht» von den Bässen
«Glances» hat in manchen Stücken noch eine weitere Besonderheit parat: die Baritongitarre. Diese hat eine andere Mensur und ist anders gestimmt als eine normale Gitarre, nämlich deutlich tiefer. Sauter kam darauf, als er für einen Brotjob mal eine zwölfsaitige Gitarre spielen musste. Was bei Jazzprofis gerne mal als Lagerfeuer-Instrument für Möchtegern-Countrysänger gilt, wurde für Sauter zur Spielwiese. Er montierte dickere Saiten, stimmte das Instrument tiefer, «und dann war ich geflasht für den Rest des Tages». Später liess er sich eigens eine Baritongitarre nach seinen Vorstellungen bauen. So, wie Sauter diese nun auf dem Album verwendet, hat sie denselben Tonumfang wie ein Cello: «Diese Bässe – das spürt man!»
Wird denn diese Musik, wenn dereinst wieder Konzerte möglich sind, auch live zu hören sein? Sauters Blick zeugt von leichter Entgeisterung:«Ich weiss noch nicht, ob ich das auf mich nehmen werde. Ein Soloprogramm auf der klassischen Gitarre zur Konzertreife zu bringen, ist sehr aufwändig; das ist vergleichbar mit Spitzensport.» Gut möglich, dass das Publikum durchaus sein Vergnügen hätte – doch für Tomas Sauter ist sein eigener Anspruch der Massstab.

Info: Tomas Sauter:«Glances» (Catwalk).

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