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Der Mann für das Zweideutige

Jerry Haenggli (48) stammt aus der bekannten Schweizer Maler-Dynastie Robert. Er selbst geht künstlerisch seinen eigenen Weg. Zurzeit stellt er eine Reihe von Porträts in der Berner Kunsthalle aus.

Jerry Haenggli vor dem Werk «Gimme Shelter». Bild: Peter Samuel Jaggi

Helen Lagger

Jerry Haenggli ist gerade aus Miami zurückgekommen, wo er im Rahmen der Art Basel seine Bilder ausstellen konnte. Ein wenig anders sei der Publikumsgeschmack dort schon. «Ich habe viel Kitsch gesehen», so der Künstler. Er selbst ist mehr für das Subtile, Uneindeutige bekannt.


Irgendwann fällt er 
auf die richtigen Bilder
Zurzeit präsentiert er in der Berner Kunsthalle im Rahmen der Cantonale eine Reihe von Familienporträts unter dem Titel «Not my family». Die Vorlagen zu den porträtierten Frauen und Männern unterschiedlichen Alters hat er im Internet gefunden. Er lasse sich beim Surfen treiben. «Irgendwann fällst du auf die richtigen Bilder», so Haenggli. Der Titel sei ein Spiel. Tatsächlich seien die Porträtierten ja nicht seine Familie; eigentlich gar keine, da zufällig von ihm vereint. Dem Betrachter seien die Gesichter fremd und gleichzeitig bekannt. Viele hätten doch einen Onkel oder Grossvater, der dem etwas merkwürdig grinsenden Mann mit der kurzen Frisur und dem bäuerischen Gesicht gleiche, so Haenggli.

Die Bilder regen zum Nachdenken über die eigenen Familienverhältnisse an. Was hat man eigentlich gemeinsam mit den Cousins und Tanten, die man nur an Feiertagen oder Beerdigungen trifft? Das Thema sei gerade an Weihnachten wieder aktuell, findet Haenggli. Dass er selbst mütterlicherseits aus einer Schweizer Malerdynastie kommt, ist ein offenes Geheimnis: der Familie Robert, die über zwei Jahrhunderte berühmte Maler wie Louis Léopold Robert (1794-1835) oder Paul-André Robert (1901-1977) hervorbrachte. Er habe das weder versteckt noch betont, so der jüngste Spross der Familie. «Bewusst war es mir schon.» Als Kind habe er die Bilder – berühmt sind unter anderem naturgetreue Illustrationen von Insekten und Vögeln – als stiller Beobachter aufgesogen. Auch Haengglis Mutter Marie-Françoise Robert ist eine in Biel und darüber hinaus bekannte Künstlerin. Klar tausche er sich mit ihr aus, aber künstlerisch mache jeder sein Ding.


Bis heute ist er
stets schwarz gekleidet
Es ist lange her, dass Haenggli, der in Biel lebt und arbeitet, in der Kunsthalle Bern ausgestellt hat. Doch er ist in die Geschichte der Institution als jüngster Künstler eingegangen, der je an einer Weihnachtsausstellung ausgestellt hat. 1984 bewarb sich der damals 14-Jährige mit Gouachen im expressiven Stil und wurde prompt berücksichtigt.

Von den Jungen Wilden, Künstlern wie Martin Disler oder Claudia Schifferle sei er damals inspiriert gewesen, so Haenggli 35 Jahre später. Persönlich habe er diese Künstlerinnen und Künstler allerdings nicht gekannt: «Ich war zu jung für diese Szene.» Überhaupt sei er lange Zeit künstlerisch eher ein Aussenseiter gewesen, so Haenggli: «Heute hingegen bin ich gut vernetzt.»

Mindestens einmal pro Jahr fährt
 Haenggli nach Los Angeles, wo er in einem Gartenhäuschen von Freunden sein Atelier eingerichtet hat. Die Grösse und Multikulturalität der Stadt gefalle ihm, sie sei ein guter Kontrast zu der überschaubaren und beschaulichen Schweiz.

Nach Amerika zog es Haenggli bereits zu Schulzeiten. Damals lebte er bei einer Gastfamilie und begann sich als Schlagzeuger zu etablieren. Doch zurück in der Schweiz konzentrierte er sich mehrheitlich auf die Malerei. Punk und Garagenrock sei immer schon sein Sound gewesen, so der bis heute stets schwarz gekleidete Künstler. «Musik spielt immer noch eine wichtige Rolle in meinem Leben», sagt Haenggli. Als DJ Kizmiaz (Ausgesprochen wie «Kiss my Ass») legt er Musik aus den 50er-, 60er- und 70er-Jahren auf. «Mein Fundus besteht dabei aus Raritäten, nicht aus Hits und Evergreens.»


Das Unbehagen kommt 
auf leisen Sohlen
Auch in seiner Malerei zieht Haenggli das Düstere dem Gefälligen vor. In jungen Jahren konnte man seinen Stil getrost als gotisch bezeichnen. Manche seiner Figuren schienen einem Horrorfilm entsprungen. Unheimlich, grotesk und manchmal blutig war seine Bilderwelt. «Wer sagt denn, dass es Blut ist?», sagte er einmal gegenüber dem BT über ein von ihm gemaltes Eichhörnchen, das an roten Pfoten nagt. Letztlich sei es ja nur rote Farbe auf Leinwand. Wie man etwas interpretiere, habe viel mit den Erwartungen des Betrachters zu tun, so der Künstler damals.

Blut beziehungsweise rote Farbe gibt es in Haengglis aktuellen Arbeiten kaum noch. Das Unbehagen kommt nun auf leisen Sohlen daher. Die von ihm porträtierten Familienbildnisse haben etwas leicht Irritierendes. Warum schaut der Junge so böse? Und warum grinst die Frau mit der braven Frisur leicht hämisch? Ein bisschen Zweideutigkeit muss sein.

Info: Ausstellung bis am 27. Januar in der Kunsthalle, Helvetiaplatz 1, Bern.

Ein bisschen irritierend sind sie schon: Porträts aus der Serie «Not my family», die Jerry Haenggli derzeit an der Cantonale in der Kunsthalle Bern zeigt. Bilder: zvg / Jerry Haenggli

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