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Ausstellung

Die Schweiz – eine vielfältige Spracheninsel

Das Bieler Forum für die Zweisprachigkeit und der Freiburger Künstler Olivier Suter zeigen in einer Installation unter der Bundeshauskuppel, dass die Schweiz weit mehr als vier Sprachen und Kulturen vorzuweisen hat.

Verschiedenste Sprachen hallen in den Schweizer Bergen wider. Gérald Poussin/zvg
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Annelise Alder

In der Schweiz leben mehr Personen mit Muttersprache Portugiesisch als Romanisch. Nicht nur das: Die Schweiz ist ein Land mit grösster Sprachenvielfalt. So sprechen gemäss Bundesamt für Statistik die rund acht Millionen Einwohnerinnen des Landes 190 verschiedene Sprachidiome. Eine Tatsache, die in der offiziell viersprachigen Schweiz oft vergessen geht.

Dies ist einer der Gründe, weshalb Virginie Borel vom Forum für die Zweisprachigkeit in Biel sofort in einen Projektvorschlag des Freiburger Künstlers Olivier Suter einwilligte, bei dem das vielsprachige und multikulturelle Land abgebildet werden sollte. Aufgrund der gesamtschweizerischen Dimension der Thematik suchte sie auch beim Bund Unterstützung. «Mehrsprachigkeit ist eine Realität in der Schweiz», sagt sie. Nicht nur in Biel, wo offiziell zwei Sprachen gesprochen werden. Die Stadt ist – wie die Gesamtschweiz – geprägt von zahlreiche Sprachen und Kulturen. Deshalb ist es wichtig, «auch die Migrationssprachen zu integrieren», sagt sie.

Sprachenknäuel entwirren

«Babel» heisst die Ausstellung zur Sprachen- und Kulturvielfalt in der Schweiz, die Suter dank des Forums für die Zweisprachigkeit und mit Bundeshilfe eingerichtet hat. Sie feiert heute unter der Bundeshauskuppel ihre Vernissage und geht später auf Schweizertournee. Den Grundstein für diese Installation legte Kulturminister Alain Berset höchst persönlich, nämlich mit einem Text über die Mehrsprachigkeit und Multikulturalität in der Schweiz. Der Text des Kulturministers, verfasst in seiner französischen Muttersprache, wurde anschliessend in die 25 meistgesprochenen Sprachen der Schweiz übertragen.

Die Übersetzungen machten allerdings nicht Profis, sondern in der Schweiz wohnhafte Personen, die die Vorlage in ihre Muttersprache übersetzten. Sie folgten dabei dem System des Buschtelefons. Dem Übersetzer stand demnach nur der Text zur Verfügung, der in der Sprachenfolge gerade davor war. So musste zum Beispiel ein Russe den Text einer Tamilin in seine Sprache übersetzen.

Für Projektleiter Olivier Suter ergaben sich dadurch zahlreiche Probleme: Allein Russen zu finden, die der tamilischen Sprache und Kalligrafie kundig sind, sei gemäss Virginie Borel schwierig gewesen. Das Ergebnis ist umso erstaunlicher: Der letzte Text in Rumänisch ist rund die Hälfte kürzer als der Ausgangstext von Bundesrat Alain Berset. Doch die Kernaussagen sind erhalten geblieben. Mit anderen Worten: Von einer babylonischen Sprachverwirrung kann in «Babel» keine Rede sein. Im Gegenteil: Die wichtigste Botschaft, dass die Schweiz ein «mehrsprachigen Land ist, bei dem Toleranz und offener Meinungsaustausch der Normalität entspricht» wurde von allen anerkannt.

Der Text von Bundesrat Alain Berset

«Die Schweiz ist ein mehrsprachiges Land im Zentrum Europas. Die Mehrsprachigkeit und kulturelle Vielfalt sind wohl die herausragenden Eigenschaften, welche die Schweiz von ihren Nachbarländern unterscheiden. Dies war nicht immer der Fall. Nur jahrhundertelanger Kampf und Engagement konnten das multikulturelle Überleben dieses Staates sichern und zur heutigen Situation verhelfen.

Die Anfänge der Eidgenossenschaft wurden durch die deutsche Sprache dominiert. Als sich im 15. Jahrhundert südlich und westlich gelegene Regionen bzw. Städte dem Bund anschlossen, gewannen auch die französische und italienische Sprache an Bedeutung. Erst 1848, mit der Gründung der modernen Schweiz, wurden Französisch und Italienisch zu offiziellen Nationalsprachen. 1938 erhielt auch das Rätoromanisch diesen Status. Diese Mehrsprachigkeit und Vielfalt der Kulturen sind somit in unserer Verfassung festgehalten und werden dementsprechend auch gefördert und bewahrt. Es ist festzuhalten, dass dieser Multilinguismus jedoch keine Selbstverständlichkeit ist, sondern regelmässigen Prüfungen untersetzt wird.

Die kulturelle Vielfalt wurde in den letzten Jahrzehnten durch die Migration, die Globalisierung, sowie Umwälzungen im Bereich der Kommunikation immer breiter, und verwischten die klaren Grenzen zwischen den nationalen Identitäten.

Gleichzeitig werden interkulturelle Spannungen verstärkt, mit der Gefahr dass die Sprachgemeinschaften sich abkapseln. An aktuellen Beispielen mangelt es nicht: Der Status der italienischen Sprache im Schulsystem, der Gebrauch der deutschen Dialekten in der Schule, die Forderung nach einem italienisch sprechenden Vertreter im Bundeshaus oder die Integration von Ausländern/innen in der Schweiz.

Solche Beispiele sollen uns zum Nachdenken über Respekt, Solidarität, und dem ihnen verliehenen Wert in der Gesellschaft, bringen. Die Schweiz gilt als ein gut funktionierendes Modell eines mehrsprachigen Landes, als ein Land in dem Toleranz und offener Meinungsaustausch der Normalität entsprechen. Die Schweiz kann aus diesen Gründen der Welt viel Wissen vermitteln, aber auch viel von anderen Kulturen lernen. Den Dialog mit anderen zu fördern ist eine alltägliche Herausforderung, doch ist er eine Quelle der Bereicherung, der die Schweiz genau zu dem macht, was sie ist.

Die aktuelle Situation ist nicht einfach: Die englische Sprache wird immer wichtiger, nicht nur in der Schweiz, sondern in der ganzen Welt. Die schweizerdeutschen Dialekte werden als Hindernis für die Verständigung zwischen den lateinischen Sprachen und dem Deutsch angesehen. Doch wie Johann Wolfgang von Goethe einst sagte: «Der Mensch wertet ab, was er nicht versteht.» Gerade deshalb muss dieser interkulturelle Dialog aufrechterhalten und fortgeführt werden, heute wie auch morgen. Er verhindert religiöse, ethnische, sprachliche und kulturelle Spannungen. Durch ihn kann man zusammen die Schweiz führen, welche gerade durch diesen multikulturellen Dialog eine Identität erhält. Er ermöglicht einen demokratischen Staat, in dem Toleranz und Respekt für den Einzelnen garantiert sind.»

Alle weiteren Texte finden Sie hier.

 

Die 25 meistgesprochenen Sprachen in der Schweiz (BFS 2010)

  1. Deutsch - 4276097
  2. Französisch - 1457311
  3. Italienisch - 548903
  4. Englisch - 292094
  5. Portugiesisch - 200336
  6. Albanisch - 164844
  7. Serbokroatisch - 160731
  8. Spanisch - 136692
  9. Türkisch - 75300
  10. Romanisch - 36472
  11. Arabisch - 28993
  12. Tamilisch - 22207
  13. Russisch - 21878
  14. Afrikanische Sprachen - 14608
  15. Polnisch - 14577
  16. Thai - 13738
  17. Holländisch - 12639
  18. Ungarisch - 12603
  19. Kurdisch - 11180
  20. Tschechisch - 10979
  21. Chinesisch - 10506
  22. Mazedonisch - 10223
  23. Schwedisch - 8203
  24. Griechisch - 8097
  25. Rumänisch - 7754

Info: «Babel» kann am 3. und 10. Junivon 16 bis 17 Uhr besichtigt werden. Anmeldung erforderlich unterforum@bilinguisme.ch.

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