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Debatte

Ein Kampf ohne Ende

Sexismus und Frauenrechte sind derzeit wieder im Gespräch. Grund dafür ist nicht nur Donald Trump, der bekennende Frauenbelästiger, sondern auch die aktuellen Berichte über sexuelle Nötigung und Gewalt, vor allem gegenüber Frauen.

Trotz Protesten, wie hier 1991 am Zytglogge, verhalten sich heute noch viele Männer Frauen gegenüber respektlos. Bild: Keystone
  • Dossier

Annelise Alder


Feminismus? «Das ist, wenn man sich elegant zeigt», erklärte eine junge Frau bei einer Umfrage, die kürzlich in der deutschen Stadt Tübingen durchgeführt wurde. Andere verstehen darunter «Weiblichkeit», wieder andere kamen der Bedeutung des Begriffs näher, wenn sie sagten, dass Feministinnen und Feministen sich für die Gleichstellung der Frau in der Gesellschaft einsetzen.


Von Männern dominiert
Der Feminismus, der sämtliche Strömungen und Bewegungen umfasst, die für Gleichberechtigung und Menschenwürde sowie gegen Sexismus aktiv eintreten, hat eine lange Geschichte. Die letzte Welle des Feminismus liegt gut 50 Jahre zurück. Sie setzte zunächst in den USA und in Frankreich ein, zuletzt gingen in Deutschland und in der Schweiz Frauen auf die Strasse, um unter anderem für gleiche Rechte für Mann und Frau zu protestieren.
Die gegenwärtige Ausstellung im Historischen Museum in Bern «1968 Schweiz» zeigt eindrücklich, wie allein die Schweiz in den 60er- und frühen 70er-Jahre eine von Männern dominierte Gesellschaft war. Frauen waren in Politik und Verwaltung, in den Hochschulen und in höheren Berufen kaum vertreten. Bis 1971 hatten Frauen kein Stimm- und Wahlrecht, Abtreibung war verboten, ebenso das Zusammenleben ohne Trauschein. Frauen durften kein eigenes Konto eröffnen und mussten Vergewaltigung in der Ehe als «eheliche Pflicht» hinnehmen.


Gleiche Rechte im Norden
Heute ist in Sachen Gleichberechtigung vieles besser geworden. Dennoch hinkt die Schweiz in dieser Hinsicht allein gegenüber den skandinavischen Ländern mehrere Jahrzehnte hinterher. In Dänemark können gleichgeschlechtliche Paare auf dem Standesamt oder in der Kirche heiraten. Flächendeckende Ganztagesschulen, welche die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gewähren, gibt es seit mehreren Jahrzehnten. In Verwaltung, Politik und an Hochschulen, selbst auf Führungsebene von privaten Konzernen ist in ganz Skandinavien Gleichberechtigung kein Lippenbekenntnis. Sie wird gelebt und vorgeführt. Die Frau in der skandinavischen Gesellschaft ist dem Mann weitgehend gleichgestellt. So zumindest präsentiert sich das nach aussen.


Nur scheinbares Gefälle
Und nun bricht folgende Meldung über uns herein: Jede zweite Frau in Schweden hat sexuelle Belästigung oder sexuelle Gewalt erlitten. In einem norwegischen Dorf sind Dutzende teils minderjährige Frauen Opfer sexueller Gewalt geworden. In Skandinavien, in den Vorzeigeländern hinsichtlich Gleichstellung von Mann und Frau, wundert man sich ungläubig.
Die erschreckend hohen Zahlen aus Schweden lassen sich mit der ausgeprägten gesellschaftlichen Sensibilität gegenüber jede Form von sexueller Diskriminierung und mit einer offenen Kommunikationspolitik erklären. In südlichen Ländern erfährt angeblich nur jede zehnte Frau sexuelle Belästigung oder Gewalt. Die Vermutung liegt nahe, dass die Rate deshalb so gering ist, weil das Thema nach wie vor tabuisiert ist und Vergehen deshalb nicht gemeldet werden, weil das Vertrauen in die Behörden und in die Rechtsprechung - wohl zurecht - gering ist.


Belästigung in der Schweiz
Frauenrechte und Menschwürde bedeuten offenbar nicht dasselbe. Die Emanzipation der Frau hat sich auf Gesetzesebene durchgesetzt und manifestiert sich etwa in der Schweiz in einer respektablen, wenn auch noch nicht angemessenen Teilhabe von Frauen am öffentlichen Leben.
Weshalb aber ist aggressive Anmache, Belästigung und Gewalt, letztere oft im Rahmen von Machtmissbrauch immer noch oder wieder weit verbreitet, wie derzeit fast täglich zu lesen ist? Wie kann es dazu kommen, dass in Filmproduktionsfirmen, wie jener von Harvey Weinstein Machtmissbrauch und sexuelle Nötigung jahrzehntelang unbehelligt praktiziert werden konnte?
Doch kehren wir vor der eigenen Tür: Wie kommt es, dass ein Mann wie Nationalrat Yannick Buttet sich anmasst, eine Frau nachts derart zu drangsalieren, dass diese die Polizei um Hilfe bitten muss? Weshalb gibt es nicht nur im Bundeshaus nach wie vor Männer, die Frauen in erster Linie als Sexualobjekte oder – noch schlimmer – als minderwertig betrachten und nicht als Menschen respektieren, wie jener Mann etwa, der in einem Kommentar im «Blick» befand, man solle Buttet schonen und dafür die Bundesrätinnen nachhause schicken?


Missbrauch von Macht
Die Beispiele zeugen von krasser Respektlosigkeit und fehlender Achtung vor der Menschenwürde, die auch Frauenwürde meint. Zu Respekt und Wertschätzung im normalen zwischenmenschlichen Umgang darf es keine Alternativen geben.
Es ist erstaunlich und unfassbar, dass diese grundlegenden Werte in unserer Gesellschaft offensichtlich nicht überall von Kindsbeinen an gelehrt und gelebt werden, dass Eltern, Schule und öffentlich Institutionen ihre Vorbildfunktion und ihre Rolle als Verfechter dieses Menschenrechts nicht genügend wahrnehmen.
Viele Beispiele von sexueller Gewalt und Nötigung, die dieser Tage publik geworden sind, sind indes auch Formen von Machtmissbrauch und geschehen in Abhängigkeitsverhältnissen. Sind sie institutionalisiert, dann besteht klar ein Straftatbestand, der geahndet werden kann. Doch es gibt Männer, und es sind meistens Männer, die ihre Machtposition missbrauchen, um auf unlautere, unverschämte oder gar nötigende Weise ihre Interessen (oder sind es ihre Triebe?) durchzusetzen und auszuleben. Das ist nur schwer zu ertragen.


Fragile Frauenrechte
Zum Glück regt sich an vielen Fronten Widerstand. Im Schweizer Parlament wurden eine Initiative und ein Vorstoss eingereicht. Die Medien decken Verfehlungen auf. Es werden Strassenaktionen durchgeführt und Kampagnen lanciert. Verwaltungen und Konzerne geben Verhaltenskodizes heraus. Schriftstellerinnen wie Margaret Atwood oder Philosophinnen wie Judith Butler, um nur zwei zu nennen, setzten sich für generelle Würde und Menschlichkeit ein.
Doch es gibt auf der anderen Seite immer noch junge Frauen, die sich das «Fräulein» zurückwünschen, die bei Heirat ihren eigenen Namen zugunsten dem des Mannes aufgeben, die aufgrund ungünstiger Rahmenbedingungen auf eine berufliche Karriere verzichten und sich in Bequemlichkeit wiegen. Sie nehmen die Frauenrechte, die in langem und zähem Kampf erstritten wurden, als etwas Gegebenes hin und sind sich ihrer Fragilität nicht bewusst.


Notwendige Aufklärung
So sind gleiche Rechte für Mann und Frau auch in der Schweiz immer noch nicht in allen Bereichen umgesetzt. Man denke nur an die Lohnungleichheit. Ein wichtiger Aspekt des Feminismus, nämlich die Ablehnung jeder Form von sexueller Diskriminierung hat es offensichtlich besonders schwer. Und zwar weltweit. Hier muss noch viel Aufklärungsarbeit geleistet werden. Sie beginnt früh, nämlich von Kindsbeinen an. Dabei geht es immer um das eine:  Die Sensibilisierung für Menschenwürde, unabhängig von Geschlecht und Herkunft. Denn es zeugt nicht nur von Machtarroganz, sondern schlicht von Dummheit, wenn sich gewählte Staatsoberhäupter öffentlich und unbehelligt mit Frauenbelästigung brüsten.
Gleichstellung und Menschenachtung werden deshalb auch in Zukunft ein brennendes gesellschaftliches Anliegen bleiben. Nicht nur im Hinblick auf die Migranten aus anderen Kulturen, die sich in der westlichen Welt niederlassen. Das Ziel ist erst erreicht, wenn jede Form von Ausgrenzung aufgehoben und die Unversehrtheit des Individuums garantiert ist. Eine Alt-Achtundsechzigerin, die in der Ausstellung im Historischen Museum in Bern interviewt wurde, hat es so formuliert: «Wir kämpfen weiter!».
 

Stichwörter: 16 Tage, Kampagne, Gewalt, Frauen

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