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Er wäre bereit gewesen

Übermorgen hätte Marc Fuhrer in seinem «Edu’s» den First Friday feiern wollen. Doch das Fest wurde erneut abgesagt. Was bleibt, sind Erinnerungen.

Marc Fuhrer ist seit dem ersten First Friday vor über fünf Jahren dabei. Das sei auch eine Ehrensache. Copyright: Matthias Käser / Bieler Tagblatt
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Hannah Frei
 
Beim ersten First Friday vor etwa fünf Jahren hat Marc Fuhrer völlig übertrieben: Besonderer Gin mit besonderem Tonic und besonders hübschem Rosmarin, am liebsten jeden einzelnen Stängel mit der Pinzette drapiert. Etwa 30 Leute, etwa 30 Gin-Tonics, dachte sich Fuhrer. Das sollte hinkommen. Doch es kamen hunderte. Die Schlange vor dem «Edu’s Coffee & Clothes» wuchs über die Strasse und weit darüber hinaus. Fuhrer musste seine Angestellten losschicken, um Eis und Getränke zu holen. Und wahrscheinlich auch Rosmarin. «Es war ein absolutes Chaos», sagt der Geschäftsführer.
 
Für Fuhrer ist schnell einmal alles Chaos. Er mag es strukturiert, weiss genau, wo in seinem Laden was steht. Fuhrer und sein Team verkaufen viel, viel Nachhaltiges, viel Veganes: Kleider, Seifen, Taschen und natürlich Bieler Kaffee mit Sojamilch – oder stinknormaler Bio-Milch.
 
Diesen Freitag hätte er nach eineinhalb Jahren First-Friday-Pause gerne Ingwerer mit heissem Apfelsaft angeboten. Aber daraus wird nichts: Die Organisatoren haben den Event vorgestern wieder abgesagt. Dies, nachdem sie erst letzten Donnerstag mitteilten, dass der First Friday im Dezember wieder zum Leben erweckt werde. Laut Mitorganisator Reto Bloesch wurde dafür sogar eine Extrabewilligung beim Regierungsstatthalteramt eingeholt. Doch seit vorgestern gilt im Kanton Bern neu: Zertifikatspflicht bei Verkauf und Konsumation von Getränken und Lebensmitteln sowie eine Maskenpflicht draussen. «Wir hätten also die gesamte Altstadt absperren und alle Besucher kontrollieren müssen, damit Shops wie das ‹Edu’s› etwas hätten anbieten können.» Dies sei für sie logistisch und finanziell nicht machbar. Und es wäre auch kein richtiger Frist Friday geworden, sagt Bloesch. «Aber es tut uns von Herzen weh.»
 
Doch was bis vor der Pandemie einmal pro Monat in der Bieler Altstadt geschah, wirkt im «Edu’s Coffee & Clothes» trotzdem noch heute – und wird es wohl auch noch morgen.
 
Unverbindlich und regional
Fuhrer ist seit der ersten Ausgabe beim First Friday dabei. «Das Konzept ist einfach genial.» Unverbindlich, regional, alle zusammen. Das habe in der Bieler Altstadt gefehlt. Manche der Läden hatten nur selten offen, spätabends ohnehin nicht. Das änderte der First Friday.
Mit Musikveranstaltungen hatte das «Edu’s» nichts am Hut – bis der First Friday kam. «Wir sind mit ihm gewachsen», sagt Fuhrer. Fürs Musikalische hat er sich Hilfe von einem Profi geholt. «Dadurch hatten wir auch schon Acts, die sonst im Bierhübeli in Bern auftreten.» Aber auch solche, die im «Edu’s» an einem First Friday einer ihrer ersten Auftritte hatten, vor 20 oder 30 Leuten. Grosse Gagen erhalten die Künstlerinnen und Künstler im «Edu’s» nicht. Dafür oft ein mit Noten gefülltes Hütchen von der Kollekte. Und natürlich die Ehre, Teil des First Fridays zu sein.
 
An den First Fridays versuchen Fuhrer und sein Team, jeweils etwas Besonderes anzubieten, auch beim Essen und den Getränken: Chili, Irish Stew, Schnaps mit Tee, Moscow Mule. «Wir leben die Idee, stellen nicht nur Bier hin.»
 
In den Anfängen sei der First Friday noch wilder gewesen: Vor manchen Läden wurde bis in die frühen Morgenstunden gefeiert, mit lauter Technomusik. «Es war sehr toll, einfach so von 0 auf 100», so Fuhrer. «Aber es war zu viel.» Unzufriedene Stimmen liessen nicht lange auf sich warten, auch aufgrund der Erinnerungen an die Altstadtchilbi: Müll, unangenehme Gerüche, Übriggebliebenes. Das wollte laut Fuhrer niemand einmal pro Monat haben, weder die Gewerbetreiber noch die Anwohnerinnen. Mittlerweile sei der First Friday anders, «kein Trinkfest». Um 22 Uhr ist in und vor den Geschäften Schluss. Bier gibt es nur noch in den Restaurants und Bars, die ohnehin an den Wochenenden länger offenbleiben. Wenn dann doch noch viel getrunken werde, könne der First Friday da nicht viel dafür, so Fuhrer.
 
Das lokale Gewerbe habe auf jeden Fall vom First Friday profitiert, sagt der Geschäftsführer. Die Altstadt sei bekannter geworden, belebter. Einen Kaffee kann man heute an vielen Ecken trinken. Das war vor ein paar Jahren noch nicht der Fall. «Heute gibt es in der Altstadt mehr Möglichkeiten, um zu verweilen», sagt er. Dazu habe aber auch der Wochenmarkt am Samstag beigetragen.
 
Einige First Fridays haben die «Edu’s»-Kasse bis oben gefüllt, aber längst nicht jeder, so Fuhrer. Es habe auch schon Abende gegeben, an denen nur etwa zehn Personen bei ihm im Laden gewesen seien, überwiegend in den Wintermonaten. Die bestellten Getränke landeten dann ungeöffnet wieder beim Lieferanten. «Längst nicht jeder First Friday ist eine Goldgrube.»
 
Dass am First Friday nicht immer viel Zeit fürs Drapieren von Rosmarinstängeln bleibt, habe manche Geschäfte bereits nach den ersten Durchführungen abgeschreckt: zu gross, zu viel, vielleicht auch zu kommerziell. Für Fuhrer ist er das nicht. «Die drei oder vier Mal, die es im Sommer abends etwas lauter ist, muss man in einer Stadt aushalten.» Im Winter ist es in den Gassen ohnehin ruhiger.
 
Distanz zum Dorf «Altstadt»
Gut: Fuhrer kann da auch leicht reden, wohnt er doch mit seiner Familie in Port. In der Bieler Altstadt will er nicht leben. Er brauche die Distanz. «Die Altstadt ist ein kleines Dorf. Und wie in jedem kleinen Dorf wird auch hier viel geredet.» Manchmal gebe es auch Missgunst, Reibereien, besonders dann, wenn nicht alle am selben Strick ziehen. Aber am First Friday gebe es keinen Platz dafür: Da helfe man einander, arbeite miteinander, bis spät. Auch im «Edu’s»-Team habe der Event den Zusammenhalt gefördert. «Die Solidarität und Bereitschaft hat mich sehr beeindruckt», so Fuhrer.
 
Kurz vor der Pandemie stand Fuhrer da mit einer Liste für die Konzerte im «Edu’s» mit etwa zweieinhalb Jahren Wartezeit. Als der erste Lockdown kam, sagte er für die kommenden Monate noch jedem einzeln ab. Dies liess er aber dann rasch sein. Genauso wie die Idee, auch ohne First Friday Konzerte zu organisieren. Der Aufwand sei zu gross gewesen, die Ausgangslage zu ungewiss. «Wir wussten ja nicht, ob die Menschen auch ohne den Anlass zu uns kommen würden.»
 
Fuhrer wäre für diesen Freitag bereit gewesen, sein Team habe sich gefreut. Gerne hätte er schon im Sommer wieder losgelegt, als die Temperaturen höher und die Fallzahlen tiefer waren. Das Zuwarten habe er nicht ganz nachvollziehen können. «Man hätte es durchaus früher wagen dürfen, draussen», sagt Fuhrer. Die erneute Absage kam für ihn trotzdem nicht überraschend. Je mehr sich die Coronasituation zuspitzte, umso mulmiger wurde sein Gefühl. Fuhrers Partnerin arbeitet in der Pflege, ein nahes Familienmitglied lag aufgrund von Corona im Koma. Das macht Fuhrer nachdenklich und vorsichtig.
 
Und auch wenn es diese Woche einen First Friday gegeben hätte, wäre es mit den aktuellen Einschränkungen kein richtiger First Friday geworden, sagt Fuhrer. «Vielleicht eher ein extended Abendverkauf.» Nun heisst es für Fuhrer und alle anderen, die sich nach dem First Friday verzehren: weiter abwarten.
 
Info: Der First Friday ist erneut bis auf Weiteres abgesagt. Infos folgen unterwww.firstfriday.ch
 

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