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Coronakrise

«Es braucht unbedingt mehr Kooperation»

Der Bieler Kulturdirektor Cédric Némitz (PSR) versteht nicht, warum derzeit im Kanton Bern die Museen zu sind. Und er fordert mehr Absprache und Transparenz seitens des Kantons bei der Krisenbewältigung.

Dem Kulturdirektor fehlen die Kulturanlässe - Cédric Némitz bei der Verleihung des Robert-Walser-Preises 2018

Interview: Tobias Graden

Cédric Némitz, wie sah Ihr persönlicher Kulturkonsum in den letzten Wochen aus?

Cédric Némitz: Arm, arm.

 

Gehen Sie bisweilen in andere Kantone, wo noch mehr Kulturanlässe möglich sind, etwa nach Neuenburg ins Museum?

Das habe ich bislang nicht getan. Doch ich bin auch ein Fernsehmensch – also hiess mein Kulturkonsum vor allem Arte. Und ich lese derzeit mehr. Aber Veranstaltungen … das ist ja alles zu. Leer.

 

Fehlt es Ihnen?

Natürlich. Wir brauchen gerade in Krisen mehr Kultur, mehr Kunst, um die Situation reflektieren zu können, um Sinn zu finden. Wir brauchen die Fantasie, neue Aussichten, andere Perspektiven. Kultur wird ja offenbar als nicht-systemrelevant betrachtet, im französischen sagt man gar «non essentielle». Ich sehe das ganz anders: Kultur ist wesentlich, existenziell.

 

Der Kanton Bern geht in seinen Corona-Massnahmen bekanntlich weiter als der Bund. Was halten Sie vom Kultur-Lockdown?

Ich halte den Kantönligeist wirklich für problematisch. Diese kantonalen Unterschiede, das ist unhaltbar. Dabei geht es ja nicht nur um die Kultur, sondern etwa auch um die Schulen. Die Situation ist chaotisch. Und man versteht ja auch nicht wirklich, warum es so viel gefährlicher sein soll, sich in einem Museum aufzuhalten, als in einem Migros oder einem Coop. Es gibt wohl kaum sicherere Orte als ein Museum – so viele Leute sind ja nun wirklich nicht dort. Ich will damit nicht sagen, dass die Massnahmen keinesfalls gerechtfertigt seien, aber manche sind tatsächlich schwierig zu verstehen.

 

Sie haben letzten Donnerstag eine Videokonferenz mit Bieler Kulturakteuren abgehalten. Wie nehmen Sie deren Lage wahr?

Die Leute sind mittlerweile ein bisschen entmutigt. Sie haben Schutzkonzepte erarbeitet, Massnahmen eingeführt, neue Programme aufgegleist – und ein paar Tage später muss alles wieder schliessen. Sie fühlen sich wirklich hilflos. Man sieht keine Perspektive, kennt keine Fristen, die Leute arbeiten teils für nichts. Es gibt natürlich die finanziellen und organisatorischen Herausforderungen, aber das Ganze wird auch zu einer Frage der Moral. Es ist, als ob man auftauchen würde, und zack!, wird einem wieder auf den Kopf geschlagen. Die Atmosphäre ist düster.

 

Braucht es mehr finanzielle Hilfe?

Es gibt ja die Massnahmen von Bund und Kanton. Doch man versteht schwer, wie das genau läuft, die Akteure wissen nicht, welche Beschlüsse gelten. Es scheint keinen wirklichen Ansprechpartner zu geben. Und wir als Stadt sind überhaupt nicht in das Ganze eingebunden. Und das ist wirklich schwierig, denn die Kultur ist in der Schweiz in erster Linie Sache der Gemeinden. Doch wir sind weder in die Entscheide auf Bundes- noch auf Kantonsebene eingebunden. Der Kanton sagt, er habe in den letzten Monaten drei Millionen Franken an Kulturakteure ausbezahlt. Das ist gut, doch wir wissen nicht, an wen wie viel Geld ging. Es fehlt an Information und Kooperation. Gerade im Hinblick auf mögliche weitere Wellen müssen wir uns zusammen verbessern.

 

Welche Anliegen werden von den Kulturschaffenden an die Stadt herangetragen?

Es sind verschiedene Vorschläge eingegangen. Gewünscht wird etwa eine Anlaufstelle. Es wird um einfache finanzielle Unterstützung gebeten. Das müssen wir uns gut überlegen, denn wir wollen ja nicht in der Stadt noch einmal dasselbe machen, was schon Bund und Kanton machen. Es gibt Anliegen für den Frühling, etwa was Bewilligungen für Anlässe im öffentlichen Raum betrifft.

 

Ist es für die Stadt denkbar, Mieten zu erlassen? Ich denke da beispielsweise an die Proberäume für Musiker in der Kulturfabrik.

Ja, solche Hilfen sind bereits beschlossen. Auch sind die Subventionen gesichert und die Leistungsverträge garantiert. Wir werden auch zusammen mit den Institutionen abklären, ob einzelne Mittel umverteilt werden können. Denn es gibt auch Institutionen, die Geld einsparen, wenn keine Aktivitäten möglich sind.

 

Zusätzliches Geld kann aber die Stadt kurzfristig kaum freimachen.

(lacht) Nein. Der Stadtrat hat uns ja die Mittel gekürzt, wir müssen zwei Millionen Franken einsparen, das macht für meine Direktion viel aus. Aber es gibt ja auch Mittel, die jetzt nicht gebraucht werden, weil es viel weniger Veranstaltungen gibt. Man kann also an einem Ort sparen und dafür an einem anderen Ort investieren, in Härtefälle und besondere Situationen. Wir werden das mit der AAOC diskutieren (Assemblée des Associations et Organismes Culturels in Biel, das kulturpolitische Organ der Kulturakteure in der Region, Anm. d. Red.). Denn die Situation der Kulturschaffenden ist sehr unterschiedlich.

 

Diese Woche trifft der Bieler Gemeinderat die Kantonsregierung. Werden Sie beim Kanton insistieren, dass dieser seine Massnahmen an die Bundesvorgaben angleicht?

Ja. Und wir brauchen Mittel. Es kann nicht sein, dass möglichst viel für die Wirtschaft ausgegeben wird und möglichst wenig für die Kultur, zumal letztere ja nicht nur aus Kunstschaffenden besteht, sondern auch aus einer ganzen Branche. Am wichtigsten aber scheint mir die gemeinsame Absprache. Es braucht unbedingt mehr Kooperation. Sehen Sie, es beginnt ja schon damit, dass ich manche Massnahmen nicht verstehe – das ist doch nicht gut. Es braucht auch mehr Koordination und Transparenz bei der Verteilung der Mittel.

 

Es scheint, als müssten neue Organe und Strukturen geschaffen werden – das könnte dauern.

Der Kanton ist üblicherweise nicht sehr begabt, was die Absprache mit den Städten betrifft … Aber in einer Krisensituation ist das unabdingbar. Wie gesagt, dabei geht es nicht nur um die Kultur, sondern beispielsweise auch um die Schulen. Wir haben mehr als 20 Schulen in Biel, und der Kanton kann Massnahmen beschliessen, ohne mit uns zu reden. Das geht nicht. Und in der Kultur haben wir Städte den Lead, der Kanton ist subsidiär. Also ist es problematisch, wenn nur er über das Geld entscheidet. Dies werde ich anbringen – auf konstruktive Weise, wohlverstanden.

 

Was ist Ihr Rat an Kulturschaffende?

Es braucht Widerstand! Die Kulturszene muss im Modus des Widerstands bleiben, sie darf den Kopf nicht hängen lassen. Wir auf der Kulturdirektion werden diesen Widerstand nach unseren Möglichkeiten unterstützen.

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