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Etwas Liebe kann man brauchen in diesen Zeiten

Die Bieler Band Dream Pilot tauft am Freitagabend ihr neues Album «Orange Blue». Es steht im Zeichen der Liebe – und ist ein Werk des Überschwangs.

Ein Quartett, aber das ist nur die halbe Wahrheit: Dream Pilot haben viele Gäste zum Fest eingeladen. zvg
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Tobias Graden
 
Was die Liebe nicht alles sein kann. Ein Versprechen. Ein Fluch. Zu wissen, dass es auch schlechter sein könnte. Ein Symbol, eine Flamme, für immer oder auch nur ein Test: Das alles und noch mehr kann Liebe sein, proklamiert die Bieler Band Dream Pilot im Song «Love», dem Eröffnungsstück ihres neuen Albums. Der Song ist ein programmatischer: Ursprünglich hätte das ganze Album so heissen sollen. Das Thema Liebe zieht sich denn auch durch das ganze Werk – immer, wenn der Hörer denkt, nun wohne er einem Lied bei, das ohne das Wort «Love» auskomme, taucht es doch noch in einem Nebensatz auf. 
 
«Afterglow», das letzte Album der Formation, sei eher von trauriger Grundstimmung gewesen, sagt Jachin Baumgartner, Gitarrist, Sänger und Songschreiber der Band, nun habe man ein positives Werk machen wollen: «Das kann man ja gebrauchen in diesen Zeiten, nicht?»
 
Die Realität ergibt kein eindeutiges Bild
Das Album dann auch tatsächlich nach der Liebe zu benennen, das war der Band dann doch etwas zu kitschig. Also betitelte sie es mit «Orange Blue», und sie wählte eine denkbar schlichte Gestaltung: Ein oranger Kreis (ein Herz stattdessen stand als Idee im Raum, aber selbst diese wurde wieder verworfen) vor blauem Hintergrund. Orange und blau sind Komplementärfarben, und das soll Ambivalenz signalisieren, die Tatsache, dass die Realität meist kein eindeutiges Bild ergibt und aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden kann. 
 
Das klingt erst mal eher kopflastig. Es wäre allerdings verfehlt, daraus auf unterkühlte Musik zu schliessen. Das Gegenteil ist der Fall: «Orange Blue» ist ein Werk des Überschwangs. Es beginnt schon im ersten Song: Die Liner Notes listen alleine ungefähr sieben Sängerinnen und Sänger auf, die darin mitwirken, darunter Julie Beriger und Johanna van der Wingen, die auch andere Songs verdeln. Die Liebe wird hier in ihrem ganzen Reichtum besungen, und der Band steht weniger der Sinn nach monogamer Zweierkiste, sondern nach polyamor-promiskuitiver Vielfalt. 
 
Beliebig ist diese aber nicht. Wer den Weg der Band in den letzten Jahren verfolgt hat, der sieht: Da sind immer ungefähr die gleichen Leute am Werk. Neben den erwähnten Gesangsfachkräften sind dies beispielsweise die Bläser Gregor Krtschek und Amin Mokdad (Mirakolo), Michael Rüegger und Tony Fischer (Toller Hecht), Raffael Brina (Eaglewow) oder Sebastian Schäfer (uñdicht). Die Kernband, sagt Baumgartner, sei sozusagen der innere Kreis, doch rundherum habe sich mit der Zeit ein weiterer Kreis gebildet, «und diese Leute gehören auch zur Familie».
 
Und auch der innere Kreis ist erweitert worden: Traten Dream Pilot bislang als Trio auf, versteht sich die Band nun als Quartett. Hinzugekommen ist Gitarrist Andy Hidber, der auch schon lange mitwirkt. Hidber pflegt einen anderen Spielstil als Baumgartner, er ist in dessen Worten eher der klassische Leadgitarrist. Die beiden ergänzen sich darum gut, zumal sich Hidber auch ins Songwriting einbringt. 
 
Sie machen es wie die Young Gods
Und da gehen der Band die Ideen nicht so rasch aus. «Orange Blue» ein vielfältiges Album zu nennen, wäre eher untertrieben. «Wir können machen, was wir wollen», sagt Baumgartner, «wir geniessen Narrenfreiheit.» So haben Dream Pilot keine Mühe, im ohnehin üppigen Titelsong von einem Moment auf den anderen von einer Kunstrock-Ballade samt Hackbrett zu gröbstem Schwermetall mit düsteren Riffs zu wechseln Beim letzten Song, «Restless and Young», könnte sich niemand beklagen, wären die musikalischen Motive auf drei Lieder aufgeteilt worden. Jachin Baumgartner bleibt auch seinem Spleen treu, einen Song pro Album dezidiert an ein Vorbild aus der Popgeschichte anzulehnen.
 
War es zuletzt Falco mit «Junge Römer», so sind es nun Depeche Mode, die als Inspirationsquelle für das Stück «Ocean» gedient haben – dessen Beginn allerdings auch als James-Bond-Titelsong eine gute Figur machen würde.
 
Mit diesem opernhaften Ideenreichtum könnte aus Dream Pilot leicht eine 80er-Jahre-Progrock-Band werden, die ihre Kunst mit heiligem Ernst darbringt. Doch davon ist das Quartett weit entfernt, da ist zu viel Rock’n’Roll im Spiel und eine Freude an nicht herausgeptutzter Ästhetik. «Ocean Blue» klingt doch eher nach einem spielfreudigen Haufen mit Röhrenverstärkern in einem Holzschuppen als nach Nerds, die im Hightech-Studio noch den hintersten Hall am Computer feinmodulieren. 
 
Denn so ist «Orange Blue» auch entstanden. An vier Tagen hat die Band im Homesick-Studio von Stef Allemann aufgenommen und das Material live eingespielt. Einzig der Gesang und die Beiträge der Gäste wurden nachträglich eingefügt. «Uns ist wichtig, dass man die Frische des Zusammenspielens hört», sagt Jachin Baumgartner. 
 
Das heisst aber nicht, dass dies auf Kosten der Sorgfalt oder des Klangs gehen würde. In physischer Form erscheint «Orange Blue» als Doppel-Vinyl-LP, gefärbt übrigens, eine Platte ist blau, die andere orange. Der Rhythmus des Werks als Ganzes erschliesst sich einem nur, wenn man es auch als Doppelalbum in vier Teilen begreift. Und: Beide Platten sind so geschnitten, dass sie nicht mit den üblichen 33 Touren abgespielt werden müssen, sondern mit 45. Der Grund? «Das klingt besser», sagt Jachin Baumgartner, «die Young Gods machen das auch so.»
 
Ein kleines bisschen Kitsch darf sein
Alleine auf die Lieferung aus dem Presswerk mussten Dream Pilot ein halbes Jahr warten, derart gross ist die Nachfrage nach Vinyl derzeit. Ein lukratives Geschäft ist so eine Doppel-LP für die Band nicht, aber dass man eine publizieren würde, stand ausser Frage: «In diesem Album stecken drei Jahre Arbeit drin», sagt Baumgartner, «da will man doch etwas Richtiges in den Händen halten können.»
 
Wenn es um die Liebe geht bei Dream Pilot, dann ist eben immer auch die Liebe zur Musik gemeint. Und die will auch mittels eines würdevollen Trägermediums ausgedrückt sein. Kitsch dagegen wollen Dream Pilot möglichst vermeiden, wobei Baumgartner mit einem Augenzwinkern zugibt: «Ein, zwei Songs sind vielleicht nah dran.»
 
Die Episode, die als Grundinspiration zum Album geführt hat, ist aber nicht kitschig, sondern herzanrührend. Baumgartner arbeitet als Lehrer an einem Gymnasium. Eines Tages kam ein Schüler zu ihm und sagte – was sonst nie vorkam –, er habe die Hausaufgaben nicht machen können. Der Grund dafür? «Ich bin verliebt.» 
 
Info: Dream Pilot: «Orange Blue» (Oh, Homesick Records). Erhältlich ab morgen auf den üblichen Plattformen und physisch über dreampilot.bandcamp.com. Plattentaufe Freitagabend um 21 Uhr, Le Singe, Biel. Schauen Sie das Video zum Song «Fortune Favours Fools»:
 

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