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Ausstellung

Graffiti und Plakatkunst im Zwiegespräch

Die beiden Bieler Künstler Sèyo und Philipp Boë machen in ihrem Atelier eine gemeinsame Ausstellung im Bereich Urban Street Art. In einer Auktion versteigern sie zudem ausgewählte Kunstwerke.

Comicfigur auf einer Berliner Plakatcollage. Bilder: zvg
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Annelise Alder

Äusserlich mögen sie eine gewisse Ähnlichkeit haben, die beiden fast kahlköpfigen Künstler Sèyo und Philipp Boë. Doch ihre Kunst ist grundsätzlich verschieden. Sèyo ist seit 30 Jahren als Graffitikünstler unterwegs. Unverwechselbar machen ihn nicht nur seine eleganten Tags. Seine Wandsprayarbeiten in der Schweiz und im Ausland zählen zu den Meilensteinen urbaner Strassenkunst. Der Bieler Künstler zeichnet auch und macht Skulpturen aus rezyklierten Farbspraydosen.

Ganz anders Philipp Boë. Seine Welt ist die des Theaters und der Artistik. Der Darsteller und Regisseur vermischt indes am liebsten verschiedene non-verbale Kunstformen zu spartenübergreifenden Projekten. Eines, das national grosses Aufsehen geweckt hat, ist etwa das Artistikspektakel «Cyclope», ein poetisch-verrücktes Spektakel frei nach Jean Tinguely, das in verschiedenen Städten der Schweiz aufgeführt wurde.

Benachbarte Ateliers

Nun haben sich Sèyo und Philipp Boë zusammengetan, um ein gemeinsames Projekt zu realisieren. Unmittelbaren Anlass dazu gibt es keinen. Doch die Ateliers der beiden Künstler in der ehemaligen Aloxyd-Fabrik an der Bözingenstrasse liegen nebeneinander. Naheliegend deshalb, dass sich auch künstlerische Kooperationen ergeben. «Sèyo hat auch schon Requisiten oder einen Theaterhintergrund für eine meiner Produktionen gestaltet», sagt Philipp Boë im Gespräch.

Besonders interessiert haben den Graffitikünstler jedoch seine jüngsten Arbeiten im Bereich der bildenden Kunst, so der Theatermann. Es sind dies Werke im sogenannten Décollage-Verfahren. Dabei entstehen aus übereinander gekleisterten Plakaten neue Bildkompositionen. Philipp Boë hat zwar schon über längere Zeit auch als bildender Künstler gearbeitet. Auch für einen Theatermann sei das Visuelle elementar, wie er sagt. Nie aber hat er diese Arbeiten der Öffentlichkeit gezeigt.

Technik der Décollage

Anregung zur Décollage-Technik hat Philipp Boë im Tinguely-Museum in Basel erhalten, bei einer Ausstellung zur Kunst der sogenannten Affichisten der 50er-Jahre. Die Ästhetik oder vielmehr der «erweiterte Kunstbegriff», der damit zum Ausdruck gebracht wird, habe ihn unmittelbar angesprochen.

Während seines Aufenthalts in Berlin sei er dann mit Japanmesser und Spachtel täglich unterwegs gewesen, um Plakatreste von Liftfasssäulen, Mauern und anderen öffentlichen Trägern von Werbebotschaften herunter zu schneiden oder zu kratzen. Mit 150 Kilo Plakatresten kam er wieder zuhause in Biel an, erzählt der Künstler. Hier, in seinem Atelier, ist er daran gegangen, die Papierstücke wieder aufeinander zu kleben oder herunterzureissen. Der Akt des Abreissens sei für ihn eigentlich eine «meditative Handlung» und habe nichts Kreatives an sich, sagt Philipp Boë. Der kreative Aspekt liege darin, dass die unterschiedlichen Plakatreste, die zerstückelte Botschaften enthalten, sich dialogisch zueinander verhalten und dadurch etwas Neues entsteht, manchmal fast etwas «Surreales», wie der Künstler erzählt.

Die sogenannten «Berliner Plakate» würden gut zu Sèyos Arbeiten passen, weil beide das «urbane, dreckige Umfeld» thematisieren, sagt Philipp Boë. So begann Sèyo also, seine charakteristischen Comicfiguren auf die Plakate Philipp Boës zu sprayen. Das Resultat dieser künstlerischen Zusammenarbeit ist bis Anfang Dezember in den Atelierräumen der beiden Künstler zu sehen.

Am Freitag ist Vernissage. Am Samstag führt Philipp Boë zusammen mit dem Strassenkünstler Samuelito zudem eine Auktion der besonderen Art durch. Nicht zum ersten Mal versteigern die beiden Künstler auf diese Weise Skizzen oder kleinformatige Bilder. Auch grössere Arbeiten von Sèyo stehen zum Kauf bereit. Wer die Künstler kennt, weiss indes, dass die Auktion nicht ganz regelkonform durchgeführt wird. Denn gemäss Eigenwerbung betreiben hier zwei der «respektlosesten Auktionäre der jüngeren Kunstgeschichte» ihr Handwerk.

Info: Die Ausstellung im Expo Atelier, Bözingenstrasse 39 ist täglich geöffnet von 14 bis 21 Uhr. Sie dauert bis zum 4. 12. Die Vernissage ist am Freitag, ab 18 Uhr. Am Samstag, um 19 Uhr findet eine Auktion statt, bei der Skizzen oder Miniformate der Künstler erworben werden können.

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Zu den Personen

  • Philipp Boë wurde 1971 in Biel geboren. Er absolvierte Aus- und Weiterbildungen in England, Frankreich und Spanien im Bereich Zirkus- und Bewegungstheater. Als Regisseur inszeniert er seit 1998 transdisziplinäre Projekte in den Bereichen Theater, Zirkus und Tanz. Philipp Boë hat sich als Darsteller und Regisseur auf spartenübergreifende, meist non-verbale Bühnenproduktionen spezialisiert. Verschiedene Auszeichnungen, darunter «Best Performance» am Skupifestival 2009 in Skopje (Mazedonien) und «Bieler des Jahres 2008» der Zeitung Biel-Bienne.
  • Der 1969 geborene Bieler Sèyo ist professioneller Künstler der Graffiti-Sprayer Bewegung und zählt zu den Pionieren in Europa. Sèyo ist Sprayer, bildender Künstler, Zeichner und Illustrator und übt seine Kunst, die inspiriert ist von der Energie eines Breakdancers oder den flüchtigen Parolen eines modernen Rappers, auf den unterschiedlichsten Materialträgern aus. Seit über 30 Jahren ist Sèyo aktiv. Hinter seinen Botschaften, die von grossflächigen Sprayarbeiten bis hin zu ironisch gebrochenen Skulpturen aus Recyclingmaterial reichen, steckt eine tief verwurzelte humanistische Mission. aa

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