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Herbert Grönemeyer

«Hass ist der Popsong der Gegenwart»

Er umkreist auf seinem neuen Album «Tumult» die politischen und gesellschaftlichen Verwerfungen. Herbert Grönemeyer lässt aber auch den Humor nicht zu kurz kommen und die Liebe hochleben.

Musiker Herbert Grönemeyer: «Diese Stelle ist einfach schön». Bild: zvg / Antoine Melis

Interview: Reinhold Hönle

Herbert Grönemeyer, Sie trinken Tee. Ist diese Gewohnheit ein Überbleibsel aus Ihrer Londoner Zeit?
Herbert Grönemeyer: Ich war schon immer Teetrinker, aber erst dort habe ich die Schönheit der englischen Tea-Time begriffen. In dieser sonst so wahnsinnig schnellen Stadt freust du dich den ganzen Nachmittag auf dieses Ritual, das sogar in den grossen Musikstudios heilig ist. Dort gibt es sogar einen Tea-Boy und alle grossen Produzenten haben ihre Karrieren mal als Tea-Boy begonnen! (Lacht)


Welche Frage stellen Sie sich immer wieder?
(Seufzt) Kommen wir irgendwann zur Vernunft? Vielleicht? Und mir selbst: Bist du musikalisch noch relevant? Schaffst du das in deinem Alter noch? In welchem Bereich bewegst du dich? Ist das Popmusik? Ich glaube, das ist schon eine Frage, die ich mir immer wieder stelle.


Wie lautet Ihre Antwort?
Pop und Rock ist Sturm- und Drangmusik, hat mit Jugend zu tun, ist unbeschwert und naiv. Und impulsiv. Ich frage mich: Wie empfindest du Musik? Was gibt sie dir? Wie lange hält diese Begeisterung noch vor? Ich habe sicher manchmal Angst, sie zu verlieren. Ich frage mich: Bist du noch in der Lage, etwas zu machen, das spannend ist?


Manche Künstler hören kaum Musik, um ganz bei sich zu bleiben, andere saugen auf, was um sie herum passiert. Was sind Sie für ein Typ?
Ich bin der Sauger. Ich höre relativ viel Musik. Radio läuft bei mir immer, von früh bis spät. Ich will ja auch deshalb auf dem Laufenden bleiben, weil ich noch ein eigenes Plattenlabel habe, auf dem wir talentierte Künstler fördern. Ich gehe oft an Konzerte. Ich war gerade bei Jack White, Kendrick Lamar und Drake, sogar bei Justin Timberlake, Bruno Mars und Anderson Paak.


Treffen Sie sich dann auch mit Künstlern, die Sie besonders interessieren?
Nein, an sich nicht, weil ich weiss, dass du nach einem anstrengenden Konzert nicht den Nerv hast, Leute kennenzulernen. Als Stromae in der Columbiahalle war, habe ich mal eine Ausnahme gemacht. Ich bin relativ scheu und zaghaft Backstage gegangen und wollte ihm einfach nur sagen, wie klasse ich finde, was er macht. Freudige Musik, einfach, schnell, mit klugen Texten und zudem ist er eine sehr interessante Persönlichkeit. Er hat etwas so Lebensbejahendes, obwohl er seinen Vater beim Genozid in Ruanda verloren hat.


Wie hat er reagiert?
Er wusste verständlicherweise nicht viel mit mir anzufangen, dachte wohl «Was will denn der Dösbaddel jetzt?» So standen wir ein bisschen verkrampft voreinander. Das Treffen war dann auch relativ kurz. Ich habe jedoch das Cover meiner neuen Platte zusammen mit Bold, seinem Kreativteam in Brüssel, gemacht. Die sind ganz reizend.


Apropos Zusammenarbeit. Sind Sie derjenige, der auf «Warum» fragt, weshalb keiner ein Lied mit ihm singen will?
Das war eine Momentaufnahme. Die Nummer hab ich ganz schnell geschrieben, innerhalb von zwei oder drei Stunden, Text und Musik. Es ist ein Lied, in dem ich über Selbstzweifel schreibe und das stilisiert, aber ich kann mir vorstellen, dass es Flüchtlingen ähnlich geht, wenn sie in ein fremdes Land kommen und niemand mit ihnen kommuniziert. Es muss erschütternd sein, wenn keiner mit dir Kontakt will. Du beginnst innerlich zu verkümmern.


Auf «Tumult» gibt es mal jemanden, der sich zu einem Duett mit Ihnen überreden liess ...
(lacht herzhaft)


Haben Sie BRKN vorher schon gekannt?
Nee, ich kannte Berkan nicht. Ich wollte ein Lied schreiben, in dem ich Türkisch singe, weil ich finde, dass es ein Teil unserer Kultur geworden ist. Ich komme aus dem Ruhrgebiet, wohin vor 70 Jahren die ersten Menschen aus der Türkei, Griechenland, Spanien und Polen kamen, da wir sie als Arbeitskräfte brauchten. Sie haben das Land mit aufgebaut. Wie fühlt es sich für sie jetzt wohl an, wenn die Leute sie angesichts der Terrorismus- und Flüchtlingsproblematik plötzlich anders angucken?


Woher nahmen Sie den Mut, Türkisch zu singen?
Ich habe bei Solidaritätsveranstaltungen für Deniz Yücel mitgemacht und dabei auch Türkisch gelesen. Die Türken sagten, das machst du aber gut. Deshalb wollte ich ein Duett mit jemand machen, der türkische Wurzeln hat, und habe mich in Berlin umgesehen, wer dafür in Frage kommt. Mein Label schlug mir Berkan vor. Als ich seine Videos sah und seine Musik hörte, dachte ich: «Oh, der hat so etwas Verschmitztes, ist auch ein bisschen kess. Dann habe ich ihn angerufen. Er kam ins Studio, ein Riesenkerl, und hatte voll diese Berliner Attitüde drauf ...


Wie sieht die aus?
Das groovt so. Er spricht ganz ruhig, wie der Fussballer Jerôme Boateng. «Jaaa, Herbert.» Berkan, willst du mit mir singen? «Singen tu ich jetzt nicht so gerne, aber ich kann rappen.» Wie findest du das Lied? «Hm, ja, ist gut.» Ein reizender Mensch und total witzig. Als wir einen Auftritt beim ZDF hatten und ich nervös in der Maske sass, kam er an und meinte: «Ganz schön hübsch heute.» (Lacht)


Wie hat die Zusammenarbeit funktioniert?
Er hat zum Teil die zweiten Stimmen gesungen und den Rap-Teil gebaut. Das hat irrsinnig Spass gemacht. Zum Glück hat er mit mir gesungen! Wenigstens mal einer.


Können Sie mehr Türkisch als diesen Refrain?
«Güle, güle» (auf wiedersehen, Anm. d. Red.) kann ich noch sagen. Ich hab ja zehn Jahre in Köln in einem türkischen Viertel gewohnt! Nein, ich kann kein Türkisch, aber der Klang der Sprache ist mir sehr geläufig.


«Doppelherz/iki gönlüm» beginnt mit dem Satz «Jeder braucht seinen Fluchtpunkt, seinen Platz, ne zweite Heimat». Sind Ihre Fluchtpunkte auch zweite Heimaten geworden?
Absolut. Was England angeht. Zuletzt habe ich ein ganz kleines, altes Fischerhaus in Skandinavien gekauft. Es hat mehrere Vorteile. Man kennt mich nicht. Es liegt direkt am Meer. Und es leben dort so wenig Leute, dass es nicht mal einen Laden gibt. Da habe ich ganz viel Platz für meine Gedanken. Ich habe es jedoch überall geschafft, mir ein Stück Heimat zu schaffen, ebenso in Stuttgart, Hamburg oder Köln. Meine Mutter, die aus Estland stammte, hat es mir in Bochum vorgemacht.


Ich vermisse, dass Sie die Schweiz erwähnen ...
Tut mir leid. Ich habe länger in Zürich gewohnt und habe in Cellerina eine Mietwohnung, denn ich liebe die Schweiz und bin gerne in den Bergen. Das hat einen grossen Charme. Als ich gestern hier im Hotel auf dem Balkon stand und die gute Luft einatmete, dachte ich: «Oh, das riecht nach Schweiz!»


Wie denken Sie darüber, dass England und die Schweiz bald etwas gemeinsam haben könnten – nicht in der EU zu sein?
Das ist eine komplexe Frage. Ein Gewürge wie in England habe ich in der Schweiz noch nie erlebt. In London entschuldigen sich die Leute schon für den Brexit, und du entschuldigst dich, dass du noch da bist. In England leben ja dreieinhalb Millionen Europäer. Durch diese dämliche Idee von dem Cameron hat sich alles verändert. Man kann nur hoffen, dass es noch ein zweites Referendum gibt. Sonst wird es grauenvoll. London war für mich immer die Stadt der Liberalität, in der 240 Kulturen wunderbar zusammenleben konnten. Plötzlich kriegt es eine Rückwärtsgewandtheit. Erschreckend. Und die Stadt hat dadurch auch jetzt schon etwas von ihrem Swing verloren.


Ein weiterer Aufruf gegen Fremdenfeindlichkeit und für Zivilcourage ist «Bist du da».
Ja, jetzt geht es um mehr als Haltung zu haben. Sie muss auch ausgedrückt und laut gemacht werden. Ich unterstelle, dass 90 Prozent der Deutschen schon noch wissen, was Rassismus ist – und keinen wollen. Aber wir haben in Deutschland gerade eine Zeit, wo die Politik nicht sehr transparent oder stabil ist. In solchen Phasen muss die Gesellschaft mehr Verantwortung übernehmen. Und sie tut es teilweise schon. Bei der Unteilbar-Demo in Berlin haben wir gedacht, es kämen 30 oder 40 000 Leute, und es kamen 250 000. In England gab es gerade eine Demo gegen den Brexit mit 750 000 Teilnehmern. Ich glaube, die humanistische Mitte ist vorhanden. Wir dürfen nur nicht nachlassen. Das rechte Gedankengut frisst sich sonst klammheimlich in die Gehirne rein.


Viele Politiker verbreiten es auch nur, um Wählerstimmen zu gewinnen.
Es ist erschreckend: Der Hass ist der Popsong der Gegenwart! Herr Gauland von der AfD, der bei der CDU nur ein Hinterbänkler war, ist vielleicht gar kein Reaktionär, sondern hat nur gemerkt, dass sich Fremdenfeindlichkeit gut verkauft. So bleibt er seiner Masche treu. Was Populisten wie er damit anrichten, ist ein Riesen-Brand, weil er damit die Aggression von teils verständlicherweise frustrierten Menschen füttert.


Reden wir von Erfreulicherem!
Ja!


Was hat Sie bei der wunderschönen Ballade «Mein Lebensstrahlen» zur Zeile «Zwischen Hirn und jetzt, mit Liebe versetzt» inspiriert?
Das war der erste Text, den ich geschrieben hatte. Der war noch viel kryptischer, als er jetzt ist. Ich spiele halt gerne mit Redewendungen. Wenn ich Songs schreibe, fliegen die so durch. «Zwischen hier und jetzt» war mir zu lapidar, «Zwischen Hirn und jetzt» ist instinktiv. Diese Stelle, die ist irrational, lässt sich nicht durchleuchten, ist einfach schön.


Überraschend ist, dass Sie die Liebe bei «Sekundenglück» mit Kühle, Regen und lau verbinden. Eine Folge des Klimawandels?
Nee! (Lacht) Es gibt doch so eine ganz spezielle Kühle, die passt wie ein Jackett, das richtig geschnitten ist. Nicht Kälte, sondern Kühle! Wo die Luft klar ist, aber es noch nicht kalt ist. Wenn man geliebt wird oder sich über etwas freut, knackt es doch so in dir. Für mich ist das ein Moment der Frische!

Info: Herbert Grönemeyer: ««Tumult» (Universal Music). Live am 17. März im Hallenstadion, Zürich.

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