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«Ich sehe immer etwas, das man verbessern kann»

Am Samstag stellt der Aargauer Bassist und Komponist Jeremias Keller mit seinem Trio in Biel sein Projekt Vertigo vor. Für dieses lässt er sich vom Postrock ebenso inspirieren wie von Frédéric Chopin.

Jeremias Keller stellt mit seinem Trio in Biel drei neue Stücke vor. zvg/sebastien bovard

Interview:Luca D’Alessandro

Jeremias Keller, was ist Jazz und was ist Jazz nicht?
Jeremias Keller: Eine abendfüllende Frage. Sie lässt sich nicht so leicht beantworten.

Wo sehen Sie Ihr Projekt Vertigo?
Vertigo schwebt zwischen Elektronik und Rock, lässt gleichzeitig den Jazz nicht aussen vor...

...und steht sinngemäss für Schwindel und Gleichgewichtsstörungen. Ein interessanter Name für ein Album.
Zugegeben: Einen geeigneten Namen für mein Jazztrio mit dem Pianisten und Keyboarder Florian Favre und dem Schlagzeuger Lionel Friedli zu finden, war gar nicht so einfach. Mit einem Standardnamen wie «Jeremias Keller Trio» wollte ich mich nicht begnügen. Beim Durchstöbern verschiedener CD-Covers von Bands, die ich gelegentlich höre, stiess ich schliesslich auf den Begriff «Vertigo». In der geschriebenen Form finde ich das Wort äusserst ästhetisch. Und: Jedes Mal, wenn ich daran denke, nach jahrelanger Tätigkeit als Sideman ein eigenes Projekt zu leiten, überkommt mich ein leichter Schwindel. Demzufolge passt der Begriff perfekt. Die anderen zwei Bandmitglieder fanden sich mit dem Namen problemlos ab.

Sind Sie sich immer einig?
Wir haben dieselbe Wellenlänge. Sowohl Florian als auch Lionel haben ein exzellentes Gespür für gute Zusammenarbeit. Sie begreifen schnell und wissen jederzeit, wann welches Instrument im Fokus sein soll und wann Zurückhaltung angezeigt ist.

Eine gleichberechtigte Partnerschaft?
Ja, das war mir bei der Entwicklung des Programms und des Albums wichtig. Natürlich habe ich als Bandleader eine Vorstellung, wie die Stücke rüberkommen müssen. Trotzdem will ich den anderen Mitgliedern den nötigen Raum für Spontaneität gewähren. Es geht nicht nur um mich, sondern um ein gemeinsames Projekt, das uns alle inspirieren und weiterbringen soll. Florian und Lionel sind exzellente Improvisatoren. Ich brauche sie, damit dieses Album so richtig lebt. Trotz der vorgegebenen Arrangements sollen sie sich nicht eingeengt fühlen.

Fühlen Sie sich als Bassist eingeengt?
Nein, im Gegenteil: Auch wenn ich in meiner Rolle als Bassist und Bandleader in diesem Trio speziell gefordert bin, kann ich für einmal Dinge tun, die in grösseren Formationen oder als Sideman nur bedingt möglich sind: zum Beispiel künstliche Flageoletts, Gebrauch von Bottleneck oder Kapodaster auf dem Bass.

Saxophonist Benedikt Reising brachte «Vertigo» mit dem Begriff Post-Rock in Verbindung. Entspricht Ihnen dieses Votum?
Damit bin ich einverstanden, solange man uns nicht definitiv in dieses Genre einordnen will. Früher hatte ich diese Art von Musik häufig gehört, entsprechend gross war deren Einfluss auf dieses Album.

Inspirationsquellen gibt es für Sie noch andere.
Tatsächlich habe ich mich von verschiedenen Genres inspirieren lassen. Man denke beispielsweise an die von Frédéric Chopin inspirierte «Étude Nr. 1», die auf dem Album eine wichtige Rolle spielt. Als Kind nahm ich während neun Jahren Unterricht in Klavier, bevor ich zum Bass wechselte. Vor ein paar Jahren nahm ich das Klavierspiel wieder auf und widmete mich erneut den Etüden von Chopin. «Étude Nr. 1» fasziniert mich, und es wird zumindest für mich vermutlich unmöglich sein, sie jemals einwandfrei spielen zu können. Es ist ein Pflichtstück für viele Pianisten. Florian übt sie auch schon seit Jahren und spielt sie mindestens doppelt so schnell und präzise wie ich.

Einen rhythmischen Gegenpol zu Chopin bildet «Rocksteady».
Das Stück klingt komplex, ungerade getaktet, ist aber recht einfach gehalten, denn es handelt sich um acht Vierviertel-Takte, die sich wiederholen. Kokettiert wird mit Betonungen, sodass man den Puls – zumindest am Anfang – gar nicht wahrnimmt. Erst im Verlaufe des Stückes wird der Puls schrittweise erfassbarer – ja, man kommt dem Steady-Beat auf die Spur.

Eine Entdeckungsreise der besonderen Art bietet das Stück «Téléski», zu Deutsch Skilift.
Es handelt sich um ein dreiteiliges Stück, wobei im dritten Teil die Anlehnung an «Honey For Petzi» offensichtlich ist. Die Lausanner Post-Rock-Band durfte ich in früheren Jahren mindestens zehnmal live sehen, und ich war jedes Mal aufs Neue begeistert. Deren zweites Album heisst «Téléski», daher der Name.

Sie verfolgen die Westschweizer Szene mit Interesse.
Ja. In Biel habe ich übrigens auch Lionel Friedli kennengelernt, er kommt ursprünglich aus Moutier. Wir waren eine Zeitlang in der Bieler Band Nil aktiv.

Vertigo haben Sie im Sommer 2018 anlässlich des BeJazz-Sommerfestivals im Berner Generationenhaus uraufgeführt. Was hat sich seither getan?
Die Arbeit an Vertigo habe ich fortgesetzt und weiter verfeinert. Ich bin ein kritischer Mensch und sehe immer etwas, das man anders oder besser machen könnte. Am 11. Mai stellen wir im Le Singe neben den Stücken, die auch auf der CD zu finden sind, drei neue vor. In der zweiten Maihälfte folgen dann diverse Konzerte in Zürich, Basel, Fribourg und Bern. Und wer weiss, vielleicht sind wir 2020 mit unserem Projekt in Russland unterwegs. Doch mehr kann ich dazu gegenwärtig nicht sagen. Die Planung läuft.

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