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Konzert

Perkussionist mit Hang zur Volksmusik

Der Bieler Perkussionist Reto Weber stellt am Freitag seine neue Formation vor. Sie heisst Swissmad und formuliert eine neue Art von Volksmusik, in deren Zentrum das Schwyzerörgeli, die Geige und das Hang einen neuen Klang schaffen.

Swissmad: Andreas Gabriel, Marcel Oetiker, Heiri Känzig, Reto Weber und Rodrigo Rodriguez (von links). zvg
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Tobias Graden

Schweizer Volksmusik? Viele dürften denken: Das ist, wenn an einer Stubete oder einem Schwingfest oder in einem Werbespot eines Grossverteilers ein paar urchige Männer lüpfige Stücke spielen, ganz nett, aber auch immer wieder in der selben Art. Insgesamt eine konservative Angelegenheit.
Schweizer Volksmusik? Der Bieler Perkussionist und Hang-Spieler Reto Weber denkt: Das könnte spannend sein.
Nicht nur er denkt das, auch der bekannte Jazz-Bassist Heiri Känzig und die Bookerin Ilse Weinmann sehen das so. Es ist 2019, die drei beschliessen, Webers Hauptinstrument, das Hang, in einen neuen Kontext zu stellen, eben in jenen der Schweizer Volksmusik. Sie stellen eine Band zusammen, doch dann kommt Corona. Die Pandemie wirft nicht nur diesen, sondern gleich alle Pläne der Musiker für das Jahr 2020 über den Haufen, das neue Projekt wird vorerst auf Eis gelegt.

Musik der Reduktion
Die Geschichte der musikalischen Entwicklung von Reto Weber ist eine der Reduktion. Früher reiste der Schlagzeuger und Perkussionist mit einer Unmenge an Material durch die Gegend, gut 300 Kilogramm wogen all die Instrumente, drei Stunden verbrachte er vor Konzerten alleine mit dem Aufbau seines Arsenals. Dann sah er den Iraner Djamchid Chemirani. Dieser spielte ein einziges Instrument: das traditionelle Zarb. «Dieses eine Instrument lässt sich in einem Köfferchen transportieren, der spielt, dass einem dr Sack abgheit, und ich bin mit einem VW-Bus voll Material unterwegs», sagte sich Reto Weber, «wenn ich mich mit so wenig Ausrüstung ausdrücken kann, dann bin ich in meiner musikalischen Entwicklung an einen gewissen Punkt gekommen.»
An diesem Punkt ist er nun seit ein paar Jahren angelangt, er hat die Zahl der Instrumente, mit denen er auftritt, stark reduziert. Geblieben ist das Hang, das Instrument, das aussieht wie ein Ufo und dessen Erfindung auf eine Idee Webers zurückgeht. Das Hang selber ist auch reduziert: Auf ihm finden bloss neun Töne Platz, die im Fünftonsystem angeordnet sind. Es ist darin dem Schwyzerörgeli nicht unähnlich.

Ein völlig neuer Charakter
Nun lässt sich aber die Begrenztheit des Hangs auch damit überwinden, indem man es in einen neuen Kontext stellt. Das hat Reto Weber getan. Als er sein Hang zum ersten Mal zusammen mit einem Schwyzerörgeli und einer Geige spielte, merkte er rasch: Das ergibt einen völlig neuen Klang, die Musik hat einen Charakter, wie es ihn bislang nicht gab. Die Idee, eine neue Art von «Volksmusik» zu formulieren, hatte Potenzial. Die Gruppe Swissmad war geboren. Die Handorgel spielt darin Marcel Oetiker. Er ist der erste Musiker in der Schweiz, der mit dem Schwyzerörgeli an der Jazzschule diplomierte. Die Geige spielt Andreas Gabriel, der sich, grob gesagt, virtuos im Dreieck Klassik-Volksmusik-Jazz bewegt. Hinzu kommen neben Weber der Bassist Känzig und der Perkussionist Rodrigo Rodriguez, ein Kolumbier, der sich seine Sporen im Latin Jazz abverdient hat und unter anderem auch schon mit Santana auf der Bühne gestanden ist.
Dass es dieses Quintett nicht auf werkgetreue Wiedergabe von Stücken der Schweizer Volksmusik anlegt, liegt auf der Hand. In der bislang einzigen öffentlich verfügbaren Aufnahme von Swissmad, einem Medley aus einer Probesession, dominieren noch Kompositionen, die Weber schon vor einiger Zeit für andere Formationen geschrieben hat. Doch die Band ist mittlerweile weiter, sie spielt Stücke von Weber und Oetiker, die diese spezifisch für diese Formation geschrieben haben und die an traditionelle Volksmusik angelehnt sind.

Was im Schwyzerörgeli steckt
Auch wenn der Name der Band etwas anderes vermuten lassen könnte: Weber und seinen Mitmusikern geht es weder um Verballhornung noch um demonstrative Abgrenzung von der Volksmusik, im Gegenteil. Ziel ist vielmehr, aus dem vorhandenen Fundus zu schöpfen, dieses Material zu modulieren und mit neuen Mitteln – wie dem Hang in diesem ungewohnten Kontext – die Musik in eine neue Richtung zu entwickeln. So werden Swissmad ihre Konzerte mit einem Intro beginnen, in dem Oetiker das Schwyzerörgeli solo spielt. «Er wird zeigen, was in diesem alten Instrument alles drinsteckt», sagt Weber.
Die Synthese verschiedener Bereiche im gegenseitigen Respekt: Diesem Credo folgt Reto Weber schon lange, und es kann den jeweiligen Bereichen auch zu einem neuen Publikum verhelfen. So tourte Weber etwa   mit dem Alphornisten Walter Sigrist in Schulkonzerten zur Jugend dieses Landes – die sich davon so begeistert zeigte, dass nach der Stunde viele Jugendliche von Sigrist ein Autogramm verlangten.

Jazzwelt gibt sich reserviert
Gut möglich darum, dass Swissmad auch das traditionelle Volksmusikpublikum anspricht. «Wir machen keine abstrakte Sache», sagt Weber, «sondern eine melodiöse, schöne Musik voller Wohlklang.» Derzeit ist es paradoxerweise gerade die sich ihrer Offenheit rühmende Jazz-Welt, die sich noch reserviert zeigt: Internationale Festivals, an denen Weber schon oft gespielt hat, reagieren verhalten und sind der Ansicht, Swissmad werde nur in der Schweiz auf offene Ohren stossen.
Für die Bandmitglieder ist aber klar, dass das Projekt ein längerfristiges sein soll. Am 12. August erfolgt am renommierten Festival Alpentöne sozusagen der Startschuss, der Auftritt am Freitag in Biel ist quasi die Vorpremiere dazu. Im Herbst wird im Radiostudio Zürich ein Album aufgenommen, es wird als CD erscheinen. Und dann? «Dann wollen wir spielen», sagt Reto Weber, eine Musik, die an jahrhundertealte Tradition anknüpfen und mit dem Geist des Jazz in jedem Moment in eine neue Richtung gehen kann.
Info:Konzert am Freitagabend,21 Uhr, «Le Singe», Untergasse 21, Biel.
 

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