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Kunst

Zu Kunst gewordene Osterbotschaft

Ab heute kann in der Bieler Stadtkirche durch einen Parcours mit 101 farbigen Hasen gewandelt werden.
Eine Videoinstallation erläutert die Bedeutung der Plastikgeschöpfe.

Bunte Hasen bevölkern die Stadtkirche in der Karwoche. Bild: Matthias Käser

Annelise Alder

Grün soweit das Auge reicht: Was von Weitem wie ein grosser Rasen aussah, setzte sich bei näherer Betrachtung aus 7000 grünen Kunststoff-Hasen zusammen. Der Konzeptkünstler Ottmar Hörl hatte mit dieser Installation auf dem Nürnberger Hauptmarkt im Jahre 2003 weltweites Aufsehen erregt. Anlass des Projekts gab das 500-Jahr-Jubiläum von Albrecht Dürers Aquarell «Das Grosse Rasenstück».

In Anlehnung an den Titel des Bilds gab der Künstler seiner Installation den Namen «Das grosse Hasenstück». Für die Umsetzung seiner Vision einer grünen Fläche inmitten der Stadt liess Hörl sich nämlich von einem anderen bekannten Dürer-Gemälde inspirieren: «Der Feldhase». Dabei schuf Ottmar Hörl eine dreidimensionale Nachbildung des Nagers aus Polystyrol und liess diesen in Serie produzieren.

Der Dürer-Hase von Ottmar Hörl erobert seither die weite Welt. Für eine Ausstellung in Südkorea schuf der Künstler auch einen Hasen als Grossskulptur.

 

Begehbare Evolution

Ab heute sind die farbigen Plastikhasen auch in der Bieler Stadtkirche ausgestellt. 101 Hasen in zwölf unterschiedlichen Farben bevölkern den Innenraum der Kirche. «Fast alle haben die Grösse von echten Feldhasen», sagt Susanne Hosang, Presseverantwortliche der Reformierten Stadtkirche Biel. «Ein einziger Hase ist aber überdimensioniert gross. Dieser wird vermutlich im Chor platziert werden».

Dass es der Reformierten Kirchgemeinde gelungen ist, die begehrten Objekte Hörls nach Biel zu holen, ist Ute Winselmann Adatte zu verdanken. Die freischaffende Kuratorin ist seit 2021 für die Kunst- und Kulturprojekte der Stadtkirche verantwortlich. Der «Osterspaziergang» ist somit ihre erste grosse Arbeit in ihrer Funktion als Kuratorin der Stadtkirche.

Die gebürtige Deutsche, die in Biel lebt, ist Kunstkennerinnen und -kennern nicht unbekannt. Sie war unter anderem für den Pavillon der Swissmem an der Expo.02 verantwortlich. Für Aufsehen über die Region hinaus sorgte auch die Ausstellungsplattform Chapelle Nouvel in Magglingen. Man darf daher gespannt sein auf die zukünftigen Kulturprojekte der Stadtkirche.

Kunst und Kultur haben in der Stadtkirche Biel bereits eine längere Tradition. Ein besonderes Augenmerk gilt jeweils dem «Kunstprojekt zu Ostern», in dessen Rahmen auch die diesjährige Kunstinstallation erfolgt. Mit dieser Ausstellung wird «ein Stückchen begehbare Evolution der Kunstgeschichte» sichtbar gemacht, indem ein Werk aus dem 16. Jahrhundert «den Sprung in die Kunstszene der Gegenwart schafft», wie es auf der Website der Stadtkirche heisst.

 

Video statt Livebegegnung

Bei allem Stolz auf den aussergewöhnlichen Anlass: Es bleibt ein Wermutstropfen. «Leider kann der Künstler Ottmar Hörl nicht nach Biel kommen. Grund dafür sind die derzeitigen coronabedingten Reisebeschränkungen», sagt Susanne Hosang. Dafür ist in der Stadtkirche eine Videodokumentation zu sehen. Diese erläutert die Arbeit des 1950 geborenen deutschen Konzeptkünstlers und seine künstlerische Mission.

Hörl und Dürer haben wesentliche Berührungspunkte was das «Streben nach Autonomie jenseits jeglicher Hierarchien und Konventionen» angehe, wie auf der Website des Künstlers zu lesen ist. Es verbinde sie auch der «Respekt vor der Welt und der Schöpfung», wie es weiter heisst.

Der Osterspaziergang durch den Hasenparcours in der Stadtkirche bietet deshalb weit mehr als nur ein farbenfrohes Vergnügen. Der Hase ist ein Symbol für Fruchtbarkeit. Er verkörpert zudem Wiedergeburt und Auferstehung. So gesehen kann die derzeitige Kunstinstallation in der Stadtkirche auch als Kunst gewordene Osterbotschaft verstanden werden.

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