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Stromversorgung

Grüner Bruderkampf am Gletscher

Beim Triftgletscher im Kanton Bern ist ein Stausee geplant – mit dem Segen der Umweltverbände. Im Öko-Lager sorgt das für Unmut. Nun will ein Komitee aus Umweltschützern das Projekt zu Fall bringen.

Bild: Keystone

Stefan Häne

Ein Gebirgstal unter Wasser setzen – und damit eine weitgehend unberührte alpine Landschaft? Seit dem Bau des Panixerstausees im Kanton Graubünden vor 30 Jahren hat es in der Schweiz keinen vergleichbaren Fall mehr gegeben. Nun aber planen die Kraftwerke Oberhasli (KWO) genau dies. Der Triftgletscher im Osten des Kantons Bern leidet unter dem Klimawandel; allein seit 2000 ist er um mehr als zwei Kilometer geschrumpft. In der Mulde, die er auf seinem Rückzug freigegeben hat, ist ein See entstanden, hoch über dem Gadmental, auf rund 1700 Metern – ein See, den die Kraftwerksbetreiber zum Stausee umfunktionieren wollen.

Speziell ist das Projekt aus einem weiteren Grund. Wie wohl kein zweites in der Schweiz legt es einen schwelenden Konflikt im Lager der Umweltschützer offen: Darf man ein solches Hochtal opfern, wenn die Schweiz dafür im Gegenzug mehr sauberen Strom aus Wasserkraft erhält und so die Energiewende sowie den Klimaschutz vorantreiben kann?

Nein – findet Silva Semadeni. Die SP-Nationalrätin ist Teil eines neuen Komitees, das die Trift retten möchte. Heute treten die Umweltschützer erstmals offiziell in Erscheinung, geplant ist ein Biwak im Gletschervorfeld, gefolgt von einem Alpenfeuer am Samstag. «Trift darf nicht Schule machen», sagt Semadeni. «Natur und Landschaft stehen in der Schweiz schon mehr als genug unter Druck.»

167 Meter hoch soll die Staumauer werden. Das neue Kraftwerk kann eine Fallstufe von rund 440 Metern nutzen und so Strom für etwa 30 000 Haushalte produzieren. Das entspricht ungefähr 0,25 Prozent des Schweizer Stromverbrauchs. Der Rückzug des Triftgletschers eröffnet in den Worten der KWO «das Potenzial für ein Wasserkraftprojekt von nationaler Bedeutung», es ermögliche eine wesentliche Verlagerung von Sommer- auf Winterenergie und verbessere den regionalen Hochwasserschutz. Veranschlagte Kosten: zwischen 310 und 465 Millionen Franken. Ob das Werk je rentieren wird, ist unklar. Entscheidend wird unter anderem die Entwicklung der Strompreise sein.

Semadenis Kritik an dem Projekt richtet sich nicht bloss gegen die Kraftwerksbetreiber, sondern auch gegen das eigene grüne Milieu, namentlich gegen die grossen Umweltorganisationen wie Pro Natura und WWF. Anders als die Erhöhung der Grimsel-Staumauer, die sie juristisch (erfolglos) bekämpften, haben sie das Trift-Projekt bereits im Frühstadium akzeptiert. Die Beeinträchtigungen seien vertretbar und würden ausreichend kompensiert, etwa durch Revitalisierungen im Wasserbereich, argumentieren die Verbände.

Ihre Zustimmung verknüpfen sie mit der Erwartung, dass der Kanton Bern auf weitere Kraftwerke an ökologisch wertvollen Gewässern verzichte. Denn mit dem Triftprojekt seien die Ziele der Berner Wasserstrategie bereits erreicht.

Als die Umweltverbände im Sommer 2017 ihre Einwilligung bekannt gaben, hatte das Stimmvolk eben die Energiestrategie 2050 des Bundes gutgeheissen. Ihre Bereitschaft zum Kompromiss war auch ein Signal: Die Verbände wollten zeigen, dass sie zu Opfern bereit sind – für den Ausbau der erneuerbaren Energien, den sie selber vehement propagieren.

Pikanterweise präsidierte damals die SP-Politikerin Semadeni Pro Natura. Ein Jahr später trat sie ab, nach 16 Jahren an der Spitze, blieb aber einfaches Mitglied. Heute sagt sie: «Ich wünsche mir eine Kurskorrektur von Pro Natura.» Ob sie persönlich den Entscheid von 2017 mittrug, dazu äussert sich Semadeni nicht. Sie sagt bloss, die Pro-Natura-Zentrale in Basel habe das Projekt damals «angesichts der Klimakrise als akzeptablen Kompromiss» eingestuft.

Nötig für die Energiewende?

Dem Triftkomitee gehören bis jetzt rund 40 Personen an, darunter der grünliberale Nationalrat Thomas Weibel, der Autor und Kabarettist Franz Hohler sowie Exponenten von Umweltverbänden, zum Beispiel der Gewässerschutzexperte Luca Vetterli, der seit diesem Jahr im Zentralvorstand von Pro Natura agiert. Viel Stoff für eine veritable Kontroverse im grünen Lager also.

«Jahrzehntelang haben wir von der Umweltseite gesagt, die Alpen seien der Energiespeicher für Europa», sagt Komiteemitglied sowie Geografieprofessor Dominik Siegrist. «Dieses Denken sollten wir infrage stellen, weil wir damit im Klimaschutz nicht weiterkommen.» Siegrist ist Co-Präsident des Vereins Klimaschutz Schweiz, der die Gletscherinitiative mit dem Ziel netto null Treibhausgasemissionen bis Ende 2050 lanciert hat.

Das Triftkomitee ist überzeugt, dass es genügend Alternativen gibt, um Strom zu erzeugen, etwa den Ausbau der Fotovoltaik auf bereits bestehender Infrastruktur wie Hausdächern oder entlang von Autobahnen. Die Befürworter des Projekts dagegen argumentieren, Speicher wie der Triftsee seien zwingend nötig, um das Stromnetz stabil zu halten, das mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien instabiler werde. Auch sei es ein Beitrag zur Deckung der Winterstromlücke, die drohe, wenn die fünf Schweizer Atomkraftwerke dereinst vom Netz gingen.

Siegrist verneint dieses Risiko nicht, entgegnet aber, es bräuchte mindestens 35 ähnliche Projekte, um allein schon die Stromimporte im Winter zu ersetzen. Das Triftkomitee propagiert stattdessen, den Bau von dezentralen Speichern zu forcieren, welche den im Sommer produzierten Solarstrom für die kalte Jahreszeit bereithalten. Zudem möchte es den Stromverbrauch in der Schweiz reduzieren, etwa mit einem Verbot der Elektroheizungen oder mit dem Aufbau intelligenter Stromnetze.

Versuch via Politik

Das Triftprojekt befindet sich derzeit im Konzessionsverfahren. Das Gesuch der Kraftwerke Oberhasli liegt seit letztem November beim Kanton Bern. Hängig sind drei Einsprachen; eine stammt von einer Privatperson, die anderen beiden vom Grimselverein und der Gewässerschutzorganisation Aqua Viva. Baustart ist frühestens 2023, die Bauzeit ist mit acht Jahren veranschlagt. Doch der juristische Weg verspricht kaum Erfolgschancen, da das Projekt nicht gegen Auflagen zu verstossen scheint und die Trift weder ein kantonales noch nationales Schutzgebiet ist. Just aus diesem Grund sind die grossen Umweltverbände im Jahr 2017 zum Schluss gelangt, auf dem Verhandlungsweg sei für die Berner Gewässer mehr zu erreichen als auf dem Rechtsweg.

Das Triftkomitee versucht es nun auf politischem Weg. Es fordert das bürgerlich dominierte Berner Kantonsparlament auf, den KWO die Konzession für das Kraftwerk zu verweigern. Bringt das Komitee die grossen Umweltverbände auf seine Seite, erhofft es sich grössere Siegeschancen.

Nur: Dafür gibt es bis jetzt keine Anzeichen. Ein Sprecher von Pro Natura wiederholt die bekannten Positionen des Verbandes und sagt, man werde den politischen Prozess zur Konzessionserteilung «selbstredend eng verfolgen».

Dissens auch in der SP

Auch Nadine Masshardt, Co-Präsidentin des WWF Bern, stellt klar: «Als zuverlässiger Verhandlungspartner steht der WWF weiterhin zu dieser Einigung, sofern die dort diskutierten Bedingungen eingehalten werden. Gegenteiliges ist uns bis jetzt nicht bekannt.»

Nadine Masshardt bietet sich bald schon eine Gelegenheit, ihre Haltung mit Silva Semadeni zu diskutieren – während der anstehenden Herbstsession im Bundeshaus. Die Bernerin sitzt wie die Bündnerin im Nationalrat. Für die SP. Möglicherweise wird sich Parteikollegin Ursula Schneider Schüttel dazugesellen. Sie ist Semadenis Nachfolgerin an der Spitze von Pro Natura.

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