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Sozialdemokraten

Levrat soll einer Frau Platz machen

Am Parteitag im April 2020 wählt die SP wohl eine Nachfolgerin von Christian Levrat. Nach Jahren der Männerherrschaft muss es nun eine Chefin sein. Unter den vier Favoritinnen kommen zwei aus dem Kanton Bern.

Bald 12 Jahre an der Spitze der SP: Parteipräsident Christian Levrat war sachpolitisch erfolgreich - bei Wahlen allerdings eher weniger. Bild: Keystone

Markus Häfliger
und Philipp Loser

Eigentlich wollte die SP Schweiz die Akte Levrat unter Verschluss halten. Bis zur letzten Ständeratswahl, mindestens. Bis der Chef selber in Freiburg seine Wiederwahl als Ständerat geschafft hat. Doch es lässt sich nicht länger verheimlichen: Christian Levrat wird mit grosser Wahrscheinlichkeit auf April 2020 als Präsident der SP Schweiz zurücktreten. Zwei gut informierte Personen aus der Partei sagen, Levrat habe dies intern selber angekündigt.

Das war noch vor den Wahlen, als Levrat zumindest hoffen durfte, auf einem Höhepunkt abzutreten. Nach dem schlechten Wahlausgang (minus 2 Prozentpunkte) wird sein Abschied bitterer: Zwar hat der 49-Jährige sachpolitisch viel erreicht (das BT berichtete). Er wird aber auch als jener SP-Präsident in Erinnerung bleiben, der das schlechteste Wahlresultat der Parteigeschichte zu verantworten hat.

Acht Jahre Männer

Levrats Nachfolge wird voraussichtlich am 4. und 5. April in Basel geregelt, wo der nur alle zwei Jahre tagende SP-Parteitag zusammentritt. Damit schliesst sich ein Kreis: In Basel war Levrat 2008 zum Parteichef erhoben worden. Sollte er im Frühling abtreten, wäre Levrat zwölf Jahre im Amt gewesen. Seit acht Jahren wird ausserdem auch das Fraktionspräsidium von Männern (Andy Tschümperlin, Roger Nordmann) ausgeübt. Für eine Partei, die so viel von der Gleichberechtigung der Geschlechter spricht, ist das eine sehr lange Vorherrschaft von Männern.

Bereits klar ist, dass der Fraktionspräsident im Amt bleiben will. «Falls ich wiedergewählt werde, mache ich es weiter», bestätigt Roger Nordmann. Falls die SP-Bundeshausfraktion ihn Ende November tatsächlich im Amt bestätigt, schränkt sie gleichzeitig auch die Herkunft von Levrats Nachfolge ein: Neben dem Waadtländer Nordmann kommt dann an der Parteispitze nur eine Frau aus der Deutschschweiz infrage.

Dass es eine Frau sein muss, sagt sogar Jon Pult – ein Mann, der seit langem als möglicher Levrat-Nachfolger gehandelt wird. «Es ist Zeit für eine Frau», sagt der 35-jährige Pult, der am Sonntag in Graubünden neu in den Nationalrat gewählt wurde. Nach zwei Präsidenten und aktuell einem Fraktionschef sei es ein Gebot der Gleichstellung, eine Frau an die Spitze zu wählen. Er selber schliesst eine Kandidatur aus diesem Grund aus.

Für Pult geht es bei der Forderung nach einer Frau «nicht um die politische Ausrichtung, sondern um eine Frage der Repräsentanz». Tamara Funiciello, ehemalige Präsidentin der Juso und frisch gewählte Berner Nationalrätin, sagt jedoch: «Linker Feminismus geht weiter als die Vertretungsfrage. Wir müssen wieder dahin, wo wir die Leute begeistern. Und das schaffen wir mit echter feministischer Politik.»

Vier Frauen sind Favoritinnen

Durch die Fokussierung auf Deutschschweizer Frauen ist das Feld der Anwärterinnen relativ klein. Vier Nationalrätinnen stehen im Vordergrund: Erstens Flavia Wasserfallen. Die 40-jährige Berner Nationalrätin gilt als Favoritin der bisherigen Parteileitung; vor allem Christian Levrat soll grosse Stücke auf sie halten. Wasserfallen kennt das Innere der Parteizentrale gut. Von 2012 bis 2018 war sie Co-Generalsekretärin der Partei, seit 2018 sitzt sie im Nationalrat. Sie werde über eine Kandidatur nachdenken, «sobald sich die Frage, verbunden mit dem Zeitplan, konkret stellt».

Zweitens Nadine Masshardt. Die 35-jährige Berner Nationalrätin wird von der Parteispitze stark gefördert. Sie ist der Kopf der Transparenzinitiative, welche die SP vor zwei Jahren eingereicht hat, sie fungierte auch als nationale Wahlkampfleiterin. Masshardt sagt, derzeit sei die Partei voll in die zweiten Wahlgänge involviert – eine allfällige Levrat-Nachfolge beschäftige sie «im Moment nicht».

Drittens Mattea Meyer. Mit erst 31 Jahren ist die Winterthurer Nationalrätin von allen möglichen Kandidierenden die Jüngste. Sie sagt offen, dass das Parteipräsidium eine interessante Aufgabe wäre, dass sich die Frage nach einer Kandidatur aber erst stelle, wenn die Stelle tatsächlich frei werde.

Viertens Barbara Gysi. Die Vizepräsidentin der SP strebt nach höheren Weihen. 2015 kandidierte sie fürs Fraktionspräsidium, Ende 2018 für das Präsidium des Gewerkschaftsbundes, unterlag aber beide Male. Auf die Frage nach ihrem Interesse am Amt weicht auch sie aus. Levrat mache «einen super Job». Gysis Handicap ist, dass sie mit 55 Jahren nicht den Generationen- und Stilwechsel verkörpern würde, den vor allem die jüngere SP-Generation fordert.

Ein Mann als Co-Präsident?

Es muss eine Frau sein – und trotzdem sind heute auch noch mindestens zwei Männer im Rennen. Neben dem 55-jährigen Basler Nationalrat Beat Jans, der aktuell Vizepräsident der Partei ist, werden auch dem 33-jährigen Nationalrat Cédric Wermuth Ambitionen auf das Präsidium nachgesagt. Im aktuellen Kontext wäre das aber wohl nur mit einem Co-Präsidium gemeinsam mit einer Frau denkbar. Zum Beispiel mit Mattea Meyer – so wie es der «Blick» gestern ins Spiel gebracht hat.

Wermuth und Meyer haben schon heute eine natürliche Verbindung. Politstratege Marco Kistler war einer der Köpfe hinter der aufwendigen Ständeratskampagne von Cédric Wermuth. Er ist ein langjähriger Freund von Wermuth und der Lebenspartner von Mattea Meyer. Die beiden haben eine Tochter.

Für ein Co-Präsidium spricht: Sowohl Wermuth als auch die drei Nationalrätinnen Masshardt, Meyer und Wasserfallen haben kleine Kinder. Stichwort: Vereinbarkeit. Für Wermuth spricht, dass er im Aargau einen der national auffälligsten Wahlkämpfe geboten hat. Am Dienstag hat er auf den zweiten Wahlgang für den Ständerat zugunsten der Grünen Ruth Müri verzichtet – und sich damit für eine neue Aufgabe in Stellung gebracht.

Wermuth schliesst eine Kandidatur bei einem Rücktritt von Levrat nicht aus. «Jeder, der etwas bewegen will, muss sich das ernsthaft überlegen. Nach dieser Niederlage ist es zwar ein schwieriges Amt, aber auch ein extrem spannendes.»

Zu männlich, zu welsch

Die neue Präsidentin, der neue Präsident (oder beide zusammen) wird eine Partei in schwierigen Zeiten übernehmen. Eine Partei, in denen es den einen nicht vernünftig und den anderen nicht radikal genug sein kann. Die SP müsse nun wieder nach links rutschen und sich weniger kompromissbereit zeigen, forderte Juso-Präsidentin Ronja Jansen zu Beginn der Woche.

Beat Jans verweist dagegen auf die Kantone Basel-Stadt und Aargau, in denen die SP mit einer moderateren Haltung am Sonntag stabil blieb oder sogar Zugewinne verzeichnete.

Zu seinen eigenen Ambitionen will sich Jans nicht äussern – das gebiete der Respekt vor dem amtierenden Präsidenten.

Und der Respekt scheint immer noch vorhanden zu sein in der Partei. Öffentliche Rücktrittsforderungen an Levrat erhebt trotz der Wahlniederlage bisher niemand. Viele Gesprächspartner dieser Zeitung halten das schlicht nicht für nötig: Zu klar ist für die meisten, dass die Ära Levrat zu Ende geht. Es sei nun Zeit für einen Wechsel, sagen viele Sozialdemokraten. In den letzten 12 Jahren unter Levrat sei die Partei zu männlich gewesen, zu welsch – und Levrats Führung oft auch zu dominant.

Levrat will sich zu seinen Plänen nicht äussern. Im Moment fokussiere die Partei auf die zweiten Wahlgänge für den Ständerat. In den nächsten Tagen und Wochen werde die Leitung das Wahlergebnis analysieren und «selbstkritisch hinterfragen», schreibt er in einer schriftlichen Stellungnahme. Dabei werde man nicht nur über Inhalte und die Wahlkampagne reden – sondern auch über personelle Fragen. «Das war immer so geplant, unabhängig vom Wahlergebnis», sagt Christian Levrat, offensichtlich bemüht, seinen absehbaren Rücktritt nicht als Folge der krachenden Wahlniederlage erscheinen zu lassen.

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