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Studie

So teuer wird die Pflege der Alten

Eine Erhebung der Universität St. Gallen zeigt: Die Kosten für die Langzeitpflege steigen dramatisch. Unklar ist, woher das Geld kommen soll. Zur Wahl stehen entweder zusätzliche Steuern – oder verschiedene Varianten zusätzlicher Versicherungen.

Für viele ein Glück: Wir werden immer älter. Doch ist nicht klar, wer die steigenden Pflegekosten trägt. Bild: Keystone

Dominik Feusi

Die Kosten für die Langzeitpflege werden in den nächsten Jahrzehnten enorm zunehmen. Bis 2050 werden sie sich von 16,6 auf 31,3 Milliarden Franken verdoppeln. Die Kosten pro Einwohner steigen im gleichen Zeitraum von 1900 auf 3050 Franken. Dies zeigt eine neue Studie des Instituts für Versicherungswirtschaft der Universität St. Gallen.

Der Hauptgrund für diese Entwicklung ist die Alterung der Gesellschaft. Die Kosten werden jedoch auch durch andere Faktoren beeinflusst, zum Beispiel den Gesundheitszustand der Bevölkerung, die Wirtschaftsentwicklung, die medizinischen Innovationen oder die Kosten im Gesundheitswesen. Diese Faktoren hat die Studie mit insgesamt neun Szenarien abgebildet.

Alle Szenarien zeigen deutlich nach oben. Professor Martin Eling, Autor der Studie und Direktor des Instituts für Versicherungswirtschaft an der Uni St. Gallen, spricht von einer «demografischen Bombe».

«Nicht nachhaltig»

Heute wird die Pflege von der Krankenversicherung, von der betreuten Person und der Gemeinde oder dem Kanton bezahlt. Die stark steigenden Kosten werden alle drei Kostenträger stark belasten, besonders jedoch Kantone und Gemeinden. Diese haben seit der letzten Reform der Pflegefinanzierung vor acht Jahren den grössten Anteil an den steigenden Kosten zu tragen. «Die Finanzierung der Langzeitpflege ist heute nicht nachhaltig», sagt Martin Eling deshalb.

Zudem sei die persönliche Beteiligung der Betreuten in der Schweiz bereits jetzt im internationalen Vergleich sehr hoch, die Prämien für die Krankenversicherung ebenfalls. «Die zusätzliche Belastung der Finanzen von Kantonen und Gemeinden werden früher oder später zulasten anderer Aufgaben gehen, zum Beispiel der Bildung oder der Infrastruktur», befürchtet Eling. Deshalb brauche es neue Finanzierungsmodelle.

Die Studie untersucht solche Möglichkeiten. Im Vordergrund stehen entweder Steuererhöhungen oder die Einführung eines Modells, bei dem jeder für sich vorsorgt. Die steuerliche Finanzierung ist heute im internationalen Bereich gering. Die Studie zählt auf, dass die Einkommenssteuern, die Mehrwertsteuer oder die Beiträge für die AHV für die Finanzierung der Pflege erhöht werden könnten. Eine weitere Möglichkeit wäre eine Erhöhung der Prämien der Krankenkassen.

Daneben gäbe es auch die Möglichkeit einer steuerlich geförderten, kapitalgedeckten Zusatzversicherung. In Singapur zum Beispiel kennt man private Sparkonten, auf die frühzeitig einbezahlt wird und die auf die Nachkommen vererbt werden können, wenn sie nicht benötigt werden. Eine dritte Variante wäre eine obligatorische Risikoversicherung, ähnlich der Krankenversicherung für die Gesundheitskosten.

Volksinitiative der EDU

Eine andere Lösung kam gestern von der EDU. Sie lancierte eine Volksinitiative, die verlangt, dass das Pflegeangebot vollumfänglich durch den Bund finanziert werden soll.

SVP-Nationalrat Sebastian Frehner (BS) gibt zu, die Politik habe das Problem etwas verdrängt. «Zuerst bekommt die AHV ein Problem, weil die Babyboomer Rentner werden, und danach wollen sie auch noch gepflegt werden», sagt er. Die Frage sei, ob auch die zusätzlichen Kosten für die Langzeitpflege von den nachfolgenden Generationen bezahlt werden sollen oder von den Babyboomern.

Das jetzige System sei keine durchdachte Lösung und die Kosten schon jetzt zu hoch. Frehner findet, eine individuelle Vorsorgelösung habe den Vorteil, dass das Geld effizient verwendet werde und Druck auf die Kosten entstehe.

Mehr Pflegepersonal benötigt

Anders sieht das die SP-Sozialpolitikerin Silvia Schenker (BS). Das heutige Finanzierungsmodell ist ihrer Meinung nach nicht so schlecht. «Wer die finanziellen Mittel hat, kommt auch selber für die Langzeitpflege auf, wer sie nicht hat, der bekommt dafür Ergänzungsleistungen, die aus Steuern finanziert werden», sagt sie. Die Belastung der Betroffenen sei heute schon hoch.

Doch die Kosten sind nur das eine. Das andere ist die Frage, wer die anfallende Arbeit ausführt. Der Bedarf an Pflegepersonal wird sich massiv erhöhen. Bis 2030 sind rund 28 000 zusätzliche Pflegekräfte in Alters- und Pflegeheimen und 19 000 in Spitex-Organisationen nötig. Dies, obwohl die Schweiz im europäischen Vergleich schon jetzt am zweitmeisten Pflegende pro Einwohner hat.

2016 erstellte der Bundesrat eine Bestandesaufnahme zu den Perspektiven der Langzeitpflege. Auch er rechnet mit einer starken Erhöhung der Kosten und damit der finanziellen Belastung für die Kantone und die Gemeinden.

Bundesrat sieht Verschärfung

Der Bundesrat ist jedoch der Meinung, dass sich das Problem der Finanzierung erst ab dem Jahr 2030 verschärfen werde. Zudem sieht er auch in der bestehenden Aufteilung der Finanzierung eine Möglichkeit, die steigenden Kosten zu bezahlen. Neue Finanzierungsmodelle sind nicht Teil des im Bericht vorgeschlagenen Massnahmenpakets. Nur eine höhere Belastung der Bundeskasse schliesst er im Bericht ausdrücklich aus.

Martin Eling ist damit nicht zufrieden. «Der Bundesrat unterschätzt meines Erachtens, was auf die Pflege zukommt», findet er. Das Problem der Finanzierung der Pflege sei in der Politik zwar schon lange bekannt, aber eine Diskussion über mögliche Lösungen finde kaum statt.

«Die Zahlen unserer Studie zeigen jedoch, dass nicht erst 2030 gehandelt werden muss», findet Eling. Er fordert eine Debatte über neue Finanzierungsmodelle und über die Grenzen von Solidarität. Staatliche und privatwirtschaftliche Lösungen müssten gegeneinander abgewogen und ein effizientes Zusammenspiel entwickelt werden.

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