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Erziehung

Staatlich garantierte Kita-Plätze für alle

Familienergänzende Kinderbetreuung soll neu zum Bildungs-Grundangebot gehören. Das fordert Nationalrätin Katharina Prelicz-Huber in einem Vorstoss. In der Branche findet die Idee Anklang.

Das Angebot an Kita-Plätzen ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten rein zahlenmässig geradezu explodiert. Keystone

Claudia Blumer

Es wäre eine fundamentale Veränderung. Heute sind die Gemeinden zuständig für das Kita-Angebot, die Einrichtungen sind meistens privat organisiert und hauptsächlich von den Eltern finanziert. Künftig soll die ausserschulische, familienergänzende Betreuung Teil des staatlich garantierten Bildungsangebots sein – und somit unentgeltlich oder zumindest deutlich günstiger als heute für die Eltern. Für den Betrieb zuständig wären die Kantone, das Geld käme vom Bund.

Diese Forderungen erhebt die grüne Zürcher Nationalrätin Katharina Prelicz-Huber in einer parlamentarischen Initiative, die sie in der Frühlingssession einreichen wird. Prelicz-Huber will die Bundesverfassung ändern; der Bildungsartikel soll um einen Absatz zur Kinderbetreuung erweitert werden. Das steht im Entwurf des Vorstosses, der dieser Zeitung vorliegt. Details seien noch nicht definitiv, sagt Prelicz-Huber. Sie ist auf der Suche nach Allianzpartnern und offen für Vorschläge.

Das Angebot an Kita-Plätzen ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten rein zahlenmässig geradezu explodiert. Mit Anschubhilfen des Bundes von 373 Millionen Franken sind über 60 000 Betreuungsplätze geschaffen worden. Eltern müssen heute nicht mehr ein halbes Jahr auf einen Kita-Platz warten wie noch in den Nullerjahren.

Support aus Fachkreisen

Die Kehrseite des schnellen Wachstums: Die Kindertagesstätten, die vom Staat lediglich Starthilfen und Zuschüsse erhalten, sind nur knapp selbsttragend. Recherchen dieser Zeitung zeigen, dass viele Einrichtungen am Limit sind. Die Löhne sind tief, die Angestellten häufig ohne Ausbildung und überlastet. Die Tarife sind für die Familien an der oberen Grenze, für die Kita jedoch nicht kostendeckend.

Nach dem Frauenstreik habe sie den Entschluss gefasst, aktiv zu werden, sagt Prelicz-Huber, die auch Präsidentin der Gewerkschaft des öffentlichen Personals (VPOD) ist. Der VPOD ist überdurchschnittlich oft mit negativen Rückmeldungen von Kita-Angestellten konfrontiert.

In Fachkreisen ist die Idee, frühkindliche Betreuung zu verstaatlichen, schon länger im Gespräch – so etwa beim Netzwerk Kinderbetreuung Schweiz, einem Zusammenschluss zahlreicher privater und öffentlicher Institutionen. Es brauche einen Systemwechsel, sagt Netzwerk-Präsident Thomas Jaun: «Die Kitas sind immer noch gleich organisiert wie früher, als ein Krippenbesuch nur im äussersten Notfall infrage kam, meistens für Kinder in prekären Verhältnissen.»

Auch der Verband Kinderbetreuung Schweiz (Kibesuisse), dem die meisten Kindertagesstätten angeschlossen sind, befürwortet die Stossrichtung des Vorstosses im Grundsatz. «Die frühkindliche Betreuung, Bildung und Förderung muss im Bildungsbereich angesiedelt sein», sagt Estelle Thomet, Regionalleiterin Zürich von Kibesuisse. Empfohlen wird dieser Systemwechsel auch im Bericht «Doing Family», den die Metropolitankonferenz Zürich erstellen liess. Horte und Tagesschulen sollen als Teil des öffentlichen Bildungsangebots zum unentgeltlichen Service public gehören, heisst es darin.

2,7 Milliarden Mehrkosten

Wie aber würde ein solches Angebot finanziert? Prelicz-Huber schlägt vor, dass der Bund aus den allgemeinen Mitteln jährlich ein Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) investieren soll, also derzeit mindestens sechs Milliarden Franken. Damit orientiert sie sich an der OECD, die ihren Mitgliedstaaten eine Kinderbetreuungs-Ausgabenquote von 0,8 Prozent empfiehlt. In der Schweiz belaufen sich die staatlichen Ausgaben auf 0,2 bis 0,4 Prozent, in Skandinavien beträgt sie teilweise über ein Prozent.

Die grünliberale Nationalrätin Kathrin Bertschy, die die Idee grundsätzlich unterstützt, hält es indes für besser, nicht von einer festen Verhältniszahl auszugehen. Vielmehr solle man sich am tatsächlichen Bedarf ausrichten. Bertschy verweist auf Schätzungen des Forschungsunternehmens Infras, das von zusätzlichen 2,7 Milliarden Franken pro Jahr ausgeht. «Eine relativ bescheidene Summe im Vergleich zum Nutzen und zu anderen staatlichen Ausgaben», findet Bertschy.

Im Unterschied zu Prelicz-Huber ist Bertschy überdies dezidiert gegen unentgeltliche Kita-Plätze: Eltern sollen weiterhin dafür zahlen, wenn auch deutlich weniger als heute. «Untersuchungen haben gezeigt, dass Kita-Plätze, die gratis oder fast gratis sind, teilweise weniger wertgeschätzt werden. Eltern, die sehr tiefe Beiträge entrichteten, holten die Kinder vermehrt zu spät ab oder hielten Abmachungen weniger ein.»

Ob gratis oder nur günstig: Im Parlament wird es der Paradigmenwechsel schwer haben. Von bürgerlicher Seite ist aufgrund der Mehrkosten mit Widerstand zu rechnen. Unterstützung kann Prelicz-Huber von SP, Grünen und Grünliberalen erwarten.

Die Berner GLP-Nationalrätin Bertschy hält es für wichtig, dass beim Vorhaben der volkswirtschaftliche Nutzen der frühkindlichen Bildung und Betreuung hervorgehoben wird: höhere Erwerbstätigkeit von Eltern, insbesondere Frauen, bessere Altersvorsorge, weniger Armut, Entlastung der Sozialwerke. «In der Schweiz behandeln wir das Thema immer noch, als ginge es nur ums Kinderhüten.» Kleinkind-Betreuung sei in der Schweiz deshalb im Sozialen angesiedelt statt in der Bildung oder bei der Arbeitsmarkt-Infrastruktur. Dort aber gehöre es eigentlich hin.

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