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Kalifornien

Wie Schweizer Firmen das Silicon Valley aushorchen

Ob neue Technologien oder sich veränderndes Kundenverhalten: Schweizer Firmen wie die Swisscom, Mobiliar und Nestlé unterhalten im Silicon Valley Horchposten, um Trends nicht zu verpassen.

Etwas Schweiz in San Francisco: Bahnhofsuhr bei Swissnex. Bild: Christian Neuhaus

Jon Mettler, Palo Alto

Im Kundendienst will die Swisscom vermehrt auf künstliche Intelligenz setzen. Dafür entwickelt der grösste Schweizer Telecomanbieter ein System für die Betreuung von Kunden, das als sogenannter «Plauder-Roboter» funktioniert. Anstelle eines menschlichen Beraters sollen Nutzer damit künftig als Gegenüber einen Computer erhalten, der ihre Fragen beantwortet und ihre Probleme löst. Dabei ist es egal, ob die Kunden ihre Anliegen bei der Swisscom telefonisch, per E-Mail, per App oder via Internetseite hinterlassen.

Die Technologie für dieses Projekt stammt von Jungunternehmen aus dem Silicon Valley. Darauf aufmerksam geworden ist der blaue Riese dank seiner Aussenstelle, die dort seit dem Jahr 1998 Präsenz markiert. «Ziel des Outposts ist es, externe Innovation in die Swisscom einzubringen und damit zum Wachstum des Unternehmens beizutragen», sagt Roger Wüthrich-Hasenböhler, Leiter Digitalgeschäfte bei der Swisscom und Mitglied der Geschäftsleitung. Dem 56-Jährigen sind die zwölf Mitarbeiter unterstellt, die für den Horchposten an der US-Westküste arbeiten.

 

Aussenposten in Palo Alto
Wüthrich-Hasenböhler empfängt im Garten eines typisch amerikanischen Einfamilienhauses in Palo Alto 50 Kilometer südlich von San Francisco. Ein massiver Gasgrill deutet darauf hin, dass hier das eine oder andere Barbecue stattfindet. Schnell wird klar, dass es sich nicht um eine Residenz handelt, sondern um den Aussenposten der Swisscom.

Das Unternehmen hat die Wohnzimmer zu Büros umfunktioniert. An der Aussenfassade wehen eine Schweizer Flagge und die Fahne des US-Bundesstaats Kalifornien. Neben der Einfahrt am Zaun prangt das Firmenlogo der Swisscom.

Im Empfangsbereich schaut ein an die Wand gemalter Pirat mit Augenklappe grimmig auf die Besucher. Darunter steht «Pirates Hub», zu Deutsch: Knotenpunkt für Piraten. Damit ist der Ton im Outpost gesetzt. Seine Mitarbeiter verstehen sich als Abtrünnige in den weit entfernten USA, die losgelöst vom operativen Tagesgeschäft der Swisscom tätig sind.

Die Aussendienstler halten einerseits Ausschau nach neuen Technologien, welche im Silicon Valley entstehen. Bei vielversprechenden Start-up-Firmen steigt die Swisscom als Geldgeber ein, um sich Expertise zu sichern. Allerdings sind die Möglichkeiten begrenzt: «Swisscom investiert im frühestmöglichen Stadium in Start-ups, da wir gegen grosse Risikokapitalgeber keine Chance haben», sagt Wüthrich-Hasenböhler.

Auf der anderen Seite pflegt der Aussenposten im Silicon Valley sein wachsendes Netzwerk mit Risikokapitalgebern, Jungunternehmern, etablierten Konzernen, Beratern, Mentoren und Gründerzentren. Nur wer gut vernetzt sei, höre im Tal auch das Gras wachsen, sagen die Swisscom-Mitarbeiter in Palo Alto einhellig. Man kennt sich also. Vor allem unter den Schweizern im Silicon Valley.

Im Adressbuch der Aussenstation der Swisscom steht deshalb auch der Name Stephanie Naegeli. Vor vier Jahren hat die 36-Jährige in San Francisco den Outpost von Nestlé gegründet. Untergebracht sind die Büros der 19 Mitarbeiter am Pier 17 in den Räumlichkeiten von Swissnex, der offiziellen Schweizer Präsenz im Silicon Valley.

Eine SBB-Bahnhofsuhr mit rotem Sekundenzeiger am Eingang des Piers deutet unmissverständlich auf Schweizer Einfluss hin. Am Boden führt eine rote Linie mit Schweizer Kreuzen Besucher direkt zum Eingang von Swissnex. Die Anmeldung bei der Rezeption erfolgt nicht etwa mündlich – sondern elektronisch auf einem Tablet-Computer. Keine fünf Minuten später erscheint Naegeli und geleitet den Vertreter dieser Zeitung in einen grossen offenen Raum, der auf kollaboratives Arbeiten für Jungunternehmer ausgerichtet ist. Lange Tische laden zum Arbeiten am Laptop und zum persönlichen Austausch ein. Kleine Inseln mit Sesseln sind als ruhige Treffpunkte gedacht.

Bei der blauen Fensterfront zum Pier dringt der Geist des Silicon Valley durch. Die Scheiben sind eine Innovation aus dem Tal und verfärben sich je nach Lichtintensität und Sonnenstand. «Unsere Aufgabe ist es, nach draussen zu gehen und Innovation in die Unternehmung reinzuholen», sagt Naegeli. Aufmerksam verfolgt der Nestlé-Outpost die technologischen Fortschritte, die Einfluss aufs Kochen haben könnten. Ein Beispiel ist Amazon Echo, ein Audiogerät mit Sprachsteuerung des Onlinehändlers.

 

Sprechendes Kochbuch
Nestlé hat in diesem Bereich eine Zusammenarbeit mit Amazon angekündigt. Ziel ist es, für den nordamerikanischen Markt eine Art sprechendes Kochbuch zu entwickeln, das Hobbyköche durch Rezepte führt. «Wer kennt das nicht? Man knetet einen Teig und sollte dann mit klebrigen Fingern die Seiten im Kochbuch umblättern», sagt Naegeli.

Noch mehr interessiert sich Nestlé für das Verhalten der Konsumenten, das sich wegen neuer Anwendungen verändert. Wichtige Impulse kommen aus dem Silicon Valley, etwa von der Internetplattform Feastly. Sie ist vergleichbar mit Uber, dem Onlinevermittler von privaten Taxidiensten. Nur steht bei Feastly die Gastronomie im Vordergrund. Amateurköche können wildfremde Leute zu sich nach Hause für ein Essen einladen. Potenzielle Gourmets wiederum können Tische bei unbekannten Gastgebern für ein Essen reservieren.

Weil die Gäste die Gerichte bezahlen müssen, gilt Feastly als wachsende Konkurrenz zu Restaurants. «Solche Angebote verändern das Esserlebnis», sagt Naegeli. «Wir müssen früh herausfinden, wie diese neue Art der Ökonomie funktioniert und das Essverhalten beeinflusst.»

 

Auch Mobiliar sucht Ideen
Nicht nur die Schweizer Nahrungsmittelindustrie und die Telecombranche spähen das Silicon Valley aus, sondern auch die Versicherungswirtschaft. Die Mobiliar ist seit 2015 mit einem Outpost vertreten. Der Versicherer schickt pro Jahr bis zu zehn Mitarbeiter in die USA. Diese können sich intern mit einem Projekt bewerben. Die Geschäftsleitung wählt daraus die Gewinner aus, die ihre Idee in Kalifornien weiterverfolgen können. «Um den Zuschlag zu erhalten, bedarf es einer guten Geschäftsidee oder Prozessoptimierung, die entweder eine der strategischen Prioritäten in der Digitalstrategie unterstützt oder das Kerngeschäft des Unternehmens stärkt», sagt Roy Brönnimann.

Der 32-Jährige und sein 43-jähriger Kollege John Hutchison haben ihre obersten Chefs mit einem Vorschlag zu erweiterter Realität überzeugt. Solche Technologien können in Zukunft den Versicherungsexperten helfen, komplexe Schadenfälle aufzunehmen. Wasserschäden sind hier ein Stichwort. Im Silicon Valley wollen Brönnimann und Hutchison nun herausfinden, ob sich ihr Vorhaben umsetzen lässt. Swissnex und die Swisscom stellen dafür ihre Büros zur Verfügung.

Die Treffen mit den Schweizer Spähern im Silicon Valley zeigen: Ihre Aussenstellen sind in einem Umfeld präsent, das sich hartem Wettbewerb stellt und wo die Macher vor Selbstvertrauen strotzen. Die meisten Jungunternehmer im Tal sind – ganz unschweizerisch – überzeugt, mit ihren Produkten und Dienstleistungen die Welt zu verbessern. Sie verstehen ihre Tätigkeit als sinnstiftend. Und für sie zählt Messbares wie Technologie, Geld und Erfolg.

Gilt das auch für die Schweizer Outposts? Eine gute Aussenstelle trage zu mehr bei als nur zu handfesten Resultaten, sagt Stephanie Naegeli von Nestlé: «Vielfach ist unser Beitrag, dass wir Inspiration in die Schweizer Konzernzentrale bringen.»

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Sie wollen vom Silicon Valley aus die Welt verbessern

Aus dem Silicon Valley stammen viele Technologien, die wir täglich nutzen. Doch warum ist aus einem Tal in Kalifornien eine Hochburg für Innovation geworden?

Der Vorsteher der Fakultät für Ingenieurwesen an der Stanford-Universität ermutigte seine Studenten, in der Region San Francisco Technologiefirmen zu gründen, anstatt das Gebiet zu verlassen.

William Hewlett und David Packard stellten daraufhin in einer Garage in Palo Alto einen Tonfrequenzgenerator her, den etwa Walt Disney zum Testen von elektronischen Audiosystemen verwendete. Es folgte die Gründung der Firma Hewlett-Packard im Jahr 1939. Dieses Ereignis gilt als Startschuss für das Silicon Valley.

Seither hat das Tal in Kalifornien der Welt Heimcomputer, Suchmaschinen fürs Internet, Smartphones, Tablets und soziale Netzwerke beschert (siehe Karte unten).

 

Netzwerk auf engem Raum
Wer als Jungunternehmer gross hinaus will, den zieht es früher oder später ins Silicon Valley. Ein fein gesponnenes Netzwerk auf engem Raum von Kapitalgebern, erfolgreichen und gescheiterten Unternehmern, Beratern, Mentoren, Weltkonzernen und Gründerzentren machen das Silicon Valley zum Garant für Innovation. Deshalb sind dort auch grosse Schweizer Firmen mit «Horchposten» vertreten, so die Swisscom, Nestlé, Valora und die Mobiliar (siehe Artikel links).

Auf Einladung der Swisscom hat diese Zeitung das Silicon Valley besucht und beleuchtet die hellen und dunklen Seiten des «Tals der Träume». Jon Mettler, Palo Alto

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Die Schweizer Präsenz in San Francisco

Seit dem Jahr 2003 verfügt die offizielle Schweiz über einen «Horchposten» im Silicon Valley. Ziel des Outpost am Pier von San Francisco ist es, Schweizer Unternehmer, Wissenschaftler und Künstler mit dem innovativsten Knotenpunkt der Welt zu vernetzen. Swissnex ist eine gemeinsame Initiative des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation und des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten. Am Tag des Besuchs durch diese Zeitung findet gerade der öffentliche Schweizer Gipfel für Start-up-Firmen statt. Schweizer Jungunternehmer präsentieren vor einer Fachjury in drei Minuten ihre Geschäftsideen und erhalten eine kritische Rückmeldung. Ausser Ruhm und Ehre gibt es nichts zu holen. Warum also mitmachen? «Gut möglich, dass im Publikum interessierte Geldgeber sitzen», sagt Gioia Deucher. Sie ist die Chefin von Swissnex und des 20-köpfigen Teams dort. met

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Der Risikokapitalgeber in San Matteo

Als Risikokapitalgeber weiss Alexander Fries, wie das Ökosystem im Silicon Valley funktioniert. «Europa hat die besten Ingenieure, aber die schlechtesten Verkäufer», sagt der Partner bei Polytech Ecosystem im Gespräch mit dieser Zeitung. Also rät Fries Schweizer Jungunternehmern, zu klotzen und nicht zu kleckern: «Wenn ihr bei Investoren vorsprecht, verlangt nicht 2 Millionen Dollar. Verlangt 10 Millionen oder 100 Millionen.» Das Geld im Silicon Valley ist nämlich reichlich vorhanden. Das Volumen für Risikokapital wird auf 22,5 Milliarden Dollar geschätzt. Weiter macht Fries beliebt, die schweizerische Bescheidenheit abzulegen. «Ihr seid im Silicon Valley, um die Welt zu verändern. Also tretet auch so auf», empfiehlt er Jungunternehmern aus Übersee. Das gilt übrigens gleichermassen für die Venture-Capitalists. Der Konkurrenzkampf unter ihnen ist unbarmherzig. Davon profitieren wiederum die Start-ups. met

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Der Silicon-Valley-Versteher in San Francisco

Markus Okumus hat drei Firmen erfolgreich gegründet: Darunter befindet sich Fashion Days, ein Onlineladen für Mode in Osteuropa. Die Mehrheit am Unternehmen konnten er und sein Geschäftspartner vor sechs Jahren an die südafrikanische Gruppe Naspers verkaufen. Heute leitet der Schweizer unter anderem Twelve Fifty, ein Gründerzentrum in San Francisco für europäische Jungunternehmer, die im Silicon Valley ihr Glück versuchen. Okumus weiss, wie das Tal ökonomisch tickt, und kennt die Unterschiede zu Europa. «In den USA kommt zuerst der Verkauf, dann das Produkt. In Europa ist es umgekehrt.» Zudem interessierten sich die US-Konsumenten mehr für die Geschichte des Produkts und des Unternehmens. Auch sei der Zugang für Jungunternehmer zu Kapital leichter als in Europa. «Aber Vorsicht: Es braucht im Schnitt 40 Treffen mit Kapitalgebern, bis Geld fliesst», sagt Okumus. met

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Der Pionier und Berater in Sunnyvale

Randall Fahey ist ein Pionier im Bereich des Mobilfunks. Im Auftrag von AT&T hat der Elektroingenieur die ersten Halbleiter mitentwickelt, welche in den 1990er-Jahren drahtloses Telefonieren über das frühe GSM-Netz ermöglichten. Heute ist der US-schweizerische Doppelbürger als Berater und Mentor für Telecomfirmen tätig, die sich im Silicon Valley niederlassen wollen. Das ist aus Sicht von Fahey der Standort, der weltweit führend ist im Bereich von drahtlosen Übertragungstechnologien. Fahey kennt wie kein anderer die Mentalität im Tal. Eine Neidkultur gebe es nicht, man unterstütze sich und sei offen, sagt er. Deshalb sei ein gutes Netzwerk für Unternehmer überlebenswichtig: «Im Silicon Valley ist viel Wissen vorhanden. Jede Person ist bereit, bei einem Problem weiterzuhelfen. Und wenn sie es nicht kann, dann kennt sie eine andere Person, die es kann.» met

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Die Topmanagerin in San José

Karin Schwab ist eine der wenigen Frauen, die es im Silicon Valley in die Geschäftsleitung eines namhaften Konzerns geschafft haben. Seit 2013 leitet die Schweizerin den Rechtsdienst des Onlinemarktplatzes Ebay am Hauptsitz in San José. Sie hat die Abteilung neu aufgestellt und die Schnittstellen zu den anderen Bereichen der Firma gestärkt. Ohne den Rat der 45-Jährigen schliesst Ebay keine wichtigen Verträge ab. Die fortschreitende Digitalisierung bringt neue Herausforderungen aus rechtlicher Sicht: Künstliche Intelligenz, virtuelle Realität und die Wirtschaft des Teilens sind Trends, auf die sich der Handel einstellen muss. Aber kann ein Mensch überhaupt einen Vertrag mit einem Bot abschliessen – einem Computerprogramm, das selbstständig Aufgaben abarbeiten kann? «Die Realität findet statt. Politik und Juristen müssen sie regeln», sagt Schwab gegenüber dieser Zeitung. met

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Der Jungunternehmer im Silicon Valley

Als ein Verwandter von Luc Gervais mit Verdacht auf Herzinfarkt ins Spital eingeliefert wird, fällt dem Biotechnologen auf: Es sind mehrere Ampullen Blut nötig, um anhand von Markern eine Diagnose zu stellen. Also gründet der heute 36-Jährige vor fünf Jahren 1 Drop Diagnostics mit. Das Unternehmen mit Sitz in Neuenburg hat eine Technologie entwickelt, dank der mit einem einzigen Tropfen Blut ein Herzinfarkt zuverlässig diagnostiziert werden kann. Im Silicon Valley ist der Frankokanadier als Chef von 1 Drop auf der Suche nach Kapitalgebern. 5 bis 6 Treffen pro Tag absolviert Gervais, pro Woche trifft er um die 50 Personen. Daraus haben sich bereits etliche zweite Treffen ergeben, die vielversprechend aussehen. «Die wahre Arbeit besteht im Nachfassen der geknüpften Kontakte», sagt Gervais in Palo Alto im Gespräch. «Die Investoren wollen sehen, dass sich die Geschäftsbeziehungen entwickeln.» met

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