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CVP

Zurück im Zentrum der Macht

Die Mini-Verluste der CVP waren eine der grössten Überraschungen des Wahlsonntags. Nicht einmal die eigene Führung glaubte an einen Erfolg. Warum wirkt eine Niederlage für einmal so befreiend? Und ist das mehr als ein Sieg auf Zeit?

Endlich kann er wieder Erfolge melden: CVP-Parteipräsident Gerhard Pfister. Bild: Daniel Winkler
  • Dossier

Raphaela Birrer
und Philipp Loser

Der Papst ist katholisch, Milch ist weiss, Nichtraucher leben länger, und im Kanton Luzern verliert die CVP bei den eidgenössischen Wahlen einen ihrer drei Sitze im Nationalrat. Garantiert.

Wer vor dem vergangenen Sonntag über die Ausgangslage in Luzern nachdachte, der spekulierte nicht, der rechnete. Und verkündete danach Gewissheiten. Alle – die Medien, die Politologen, die Parteifreunde, die Parteifeinde, ja selbst die Nationalräte –, einfach alle waren sich sicher: Dieser Sitz ist weg.

Die Gründe für diese Argumentation waren überzeugend. Den dritten Sitz eroberte die CVP vor vier Jahren nur knapp dank einem Restmandat, in diesem Jahr musste der Kanton wegen der schwindenden Bevölkerung einen Sitz abgeben, und darum war die Rechnung schnell gemacht. «Niemand hat an uns geglaubt», sagt Rico De Bona, Generalsekretär der Luzerner CVP. «Das hat uns am Schluss geholfen. Das ewige Schlechtreden hat zu einer massiven internen Mobilisierung geführt.» Standaktionen, Baumpflanzungen, Podien: Fast jede Ortspartei habe noch irgendetwas organisiert.

Ein kleines Wunder

Es nützte offensichtlich. Die Partei konnte nicht nur ihre drei Sitze halten, sie überholte auch die SVP und ist mit einem Wähleranteil von 25,5 Prozent wieder stärkste Kraft im Kanton.

Der Wahlsonntag endete für die CVP neben Luzern auch in Uri und im Aargau erfreulich. Sie verlor zwar drei Sitze im Nationalrat und 0,2 Prozentpunkte Wähleranteil (neu: 11,4 Prozent), doch angesichts der desaströsen Prognosen und des allgemeinen Formstands der Partei in kantonalen Wahlen kann man das eigentlich nur als spätösterliches Wunder bezeichnen.

Man sei von vier Szenarien ausgegangen, sagt Gianna Luzio, die Generalsekretärin der nationalen Partei: ein Minus beim Wähleranteil mit hohen Sitzverlusten; ein Minus mit etwas geringeren Sitzverlusten; knappes Halten. «Auch die Variante ‹Gewinne› haben wir angeschaut. Aber nur kurz.» 2015 hatte die Partei fünf Restmandate gemacht – darum habe man sich auf grössere Verluste eingestellt.

Erst am Wahltag realisierten Luzio und Parteipräsident Gerhard Pfister, dass das ein gar nicht so schlechter Tag werden könnte. Vielleicht sogar der erste richtig gute seit langer Zeit.

Unzählige Male musste Pfister zuletzt die immer gleichen Fragen beantworten. Wie lässt sich der Niedergang stoppen? Ist der konservative Kurs richtig? Mit jeder kantonalen Wahl wurde es schlimmer. 36 Sitze hat die Partei seit 2015 in den Kantonen verloren. Das färbte auf die Umfragen ab. Manche Prognosen gingen davon aus, dass die CVP unter einen Wähleranteil von 10 Prozent fallen könnte.

Und nun das. Von der CVP hängt es nach diesem Sonntag massgeblich ab, ob die Grünen einen Bundesrat erhalten. Im Ständerat, wo die CVP 8 ihrer 14 bisherigen Mandate bereits auf sicher hat, bleibt sie gestaltende Kraft. Neu wird die 25-köpfige Deputation (die eventuell auch den drei BDPlern Asyl gewährt) auch im Nationalrat wieder eine entscheidendere Rolle spielen: Dort kommt Mitte-links, bestehend aus SP, Grünen, GLP, EVP und PdA, auf 90 Sitze. Für eine Mehrheit sind diese Kräfte auf CVP-Stimmen angewiesen. Auf der anderen Seite ist das rechtsbürgerliche Lager aus FDP, SVP, Lega und EDU mit 84 Sitzen ebenfalls von der CVP abhängig.

Nach Jahrzehnten im Jammertal scheint die CVP wieder mittendrin. Gerhard Pfister, der in der Vergangenheit oft (und oft auch öffentlich) an seiner Partei zweifelte und manchmal fast verzweifelte, steht plötzlich wieder im Zentrum der Macht. Wie konnte das gelingen?

«Euch zeigen wir es»

An der Negativkampagne kurz vor den Wahlen kann es kaum liegen – die war zu angriffig. Am Selbstmarketing auch nicht – «darin sind wir schlecht», heisst es parteiintern. Woran dann? Was ist anders als 2015 und den Wahlen zuvor?

Es hat teils kantonsspezifische Gründe: In Luzern profitierte die CVP von der Schwäche von FDP und SVP und trat mit einer starken Haupt- und sieben Unterlisten an. Auch im Aargau (+1,3 Prozentpunkte) stellte die CVP neben der Haupt- acht Unterlisten zusammen. Daneben fiel die Kantonalpartei mit einer Social-Media-Kampagne auf.

Diese Faktoren sind aber nur ein Teil der Erklärung. Bei Wahlen geht es auch um Psychologie. «Wir hatten einfach genug: Immer verloren wir, obwohl wir so viel geleistet hatten», sagt die Luzerner Nationalrätin Andrea Gmür-Schönenberger. «Diesmal sagten wir uns: Euch zeigen wir es.» Das habe enorme Kräfte freigesetzt. Auch die neu gewählte Aargauer Nationalrätin und Kantonalpräsidentin Marianne Binder «hatte es satt», ihre Leute nach den negativen Umfragen immer beruhigen zu müssen.

Dabei habe diese öffentliche Wahrnehmung so gar nicht zur Stimmung an der Basis gepasst.

Mehr Glaubwürdigkeit

Diese fast schon zornige Motivation hat Parteipräsident Gerhard Pfister in seiner dreijährigen Amtszeit entfacht. Er hat zuerst die parteiinternen Streits «bereinigt», dann den Fokus verändert: In der CVP geht es jetzt weniger darum, die Kompromissfähigkeit zu betonen, wie dies seine Vorgänger getan hatten. Es geht jetzt mehr darum, was diese Partei ist und wofür sie steht. Pfister zeige Haltung, bleibe unbeirrbar, auch wenn es ungemütlich werde; ein Stabilisator gegen innen, ein Prellbock gegen aussen, heisst es fraktionsintern. So sei er vergleichsweise früh hingestanden und habe Präzisierungen beim Rahmenabkommen mit der EU gefordert, sagt der Zürcher Nationalrat Philipp Kutter. Von dieser Haltung sei er nicht mehr abgerückt. Oder die Klimapolitik: Dort habe er der Versuchung widerstanden, seine Partei in den Dienst der Themenkonjunktur zu stellen. Denn die CVP, sagt auch Gmür, habe eine viel zu lange Tradition umweltfreundlicher Positionen, als dass sie diese «opportunistisch in den Vordergrund rücken müsste».

Auch die politische Konkurrenz bezeichnet es als mutig, dass Pfister im klimadominierten Wahljahr beharrlich auf den eigenen Themen wie der Gesundheitspolitik geblieben sei. «Das wirkte glaubwürdig», sagt GLP-Generalsekretär Michael Köpfli. Und auf rechter Seite heisst es hinter vorgehaltener Hand, die Fleissarbeit in Kombination mit einer klaren Kommunikation, in der Europapolitik oder bei Islamfragen etwa, habe bei der CVP wohl Schlimmeres verhindert – und die rechte Wählerschaft angesprochen.

Die Frage nach diesem Sonntag bleibt allerdings: Ist das nachhaltig? Reichen die Erfolge in einigen Kantone, um die Verluste andernorts wettzumachen? In Genf verlor die CVP 4,4 Prozentpunkte, in Freiburg 4,9, im Wallis 3. «Der Sonntag gibt Pfister Luft», sagt ein politischer Konkurrent. «Aber spätestens 2023 wird ihn das einholen.»

Pfister war für diesen Artikel nicht zu sprechen. Er befindet sich in Venedig, für eine «piccola pausa», wie er auf Twitter mitteilte. Als er vor eineinhalb Jahren mit dieser Zeitung ein Gespräch über das Verlieren führte, als er über seine Fraktion sprach, die immer nervöser wurde, da sagte er, dass man das aushalten müsse. Irgendwann laufe es dann wie von selbst. «Nichts macht erfolgreicher als der Erfolg.»

Stichwörter: CVP, Gerhard Pfister

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