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Überlebenskampf

Ab in den Jor – oder die wunderbare Welt der Jurawälder

Bäume, die am Jurasüdhang oder auf Bergkämmen wachsen, müssen widerstandsfähig sein. Denn sie trotzen Hitze, Kälte, Trockenheit und Stürmen. Dies führt indes nicht etwa dazu, dass sie Wälder serbeln, im Gegenteil: Dank Widrigkeiten gedeihen im Jura Kostbarkeiten: Zum Beispiel seltene Eichenwäldchen, die für zahlreiche Tiere und Pflanzen ein Biotop schaffen. Auf den Wytweiden wächst der Speierling,
das Sensibelchen unter den Bäumen. Auf diesen Weiden entwickeln sich auch Büsche zu veritablen Bäumen mit Stamm und Krone.

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  • Dossier

Lotti Teuscher

Es ist eine Frage, die viele Seeländer umtreibt: Warum verdorren am Jurasüdhang so viele Bäume? Um diese Frage zu beantworten, muss Forstingenieur Eduard Reusser über 100 Jahre zurückblicken. Damals wurden am Südhang Schwarzföhren gepflanzt, da diese Föhrenart Hitze und Trockenheit gut erträgt: Heimisch ist der Baum mit der schuppigen, grauen Rinde in Südeuropa, Kleinasien und im westlichen Nordafrika. Das Holz ist begehrt, da es wegen des hohen Harzgehalts nicht knarrt; gebraucht wird es unter anderem zum Bau von Bühnenböden.

Bis 800 Jahre alt kann die Schwarzföhre werden. Die Kiefern am Jurasüdhang sind noch weit entfernt von diesem Methusalemalter. Doch nun werden die Exoten von einem Pilz befallen und verdorren. «Besser geht es der heimische Waldföhre», sagt Reusser: «Sie hat sich seit der letzten Eiszeit an die Region adaptiert.»

 

Woher hat der Jura seinen Namen?
Der Forstingenieur hat zu einem Rundgang durch die verschiedenen Waldstandorte im Jura eingeladen. Die Kelten nannten das Gebirge Jor, Joria oder Juria, die Römer leiteten daraus Juris ab. All diese Begriffe bedeuten auf Deutsch das Gleiche – Wald oder Hochwald. Die Bezeichnung Jor kommt nicht von ungefähr, denn Wald wächst im gesamten Jura, allerdings unter sehr unterschiedlichen Bedingungen: An extrem trockenen Südhängen, an schattigen und feuchteren Nordhängen, auf Kreten und in Tälern.

Bereits seit Mitte August verfärben sich am Südhang die Blätter einiger Laubbäume gelb, was auf einen Wassermangel hindeutet. Grund zur Sorge sei dies nicht, sagt Eduard Reusser: «Je nach Wasserversorgung bleiben die Blätter mehr oder weniger lange grün.» Fehlt das Wasser, zieht der Baum das Chlorophyll aus den Blättern heraus; kurz, er bricht die Vegetationsperiode ab.

 

Harte Lebensgeschichte
Etwas weiter oben, am Jurasüdhang zwischen Biel und Pieterlen, wächst eine Rarität: ein Eichenwald. Es sind Trauben- oder Flaumeichen; Eduard Reusser ist sich nicht ganz sicher. Diese wärmeliebende Baumart bildet an den ausgezehrten Jura-Südhängen nur selten reine Bestände.

Die Stämme krümmen sich in alle vier Himmelsrichtungen und recken Äste wie gichtige Finger empor. Wenn der Sturm eine Krone abreisst, wird sie durch einen Seitenast ersetzt, der eine neue Krone bildet. Jede dieser Eichen erzählt eine harte Lebensgeschichte. Ein aromatischer Duft steigt in die Nase, am Boden wachsen Minze, Majoran und Kerbel, dazwischen liegt fast weisses Geröll – kurz, hier steht ein Märchenwald, nur Elfen und Trolle fehlen.

Eichen kommen, so wie bei Pieterlen, mit extremen Bedingungen wie Trockenheit, flachgründigen Böden oder extrem steilen Hängen zurecht. Weil es dort an Nährstoffen fehlt, entwickeln sie die typischen pittoresken Formen. Diese Eichen sind nicht nur Überlebenskünstler, sie schaffen auch ein Biotop. Reptilien, Insekten, Vögel und Pflanzen finden in den sonnendurchfluteten Hangwäldern ideale Lebensbedingungen.

Eduard Reusser bleibt kurz stehen und nimmt eine Lichtung von zehn Quadratmetern unter die Lupe. Dort wachsen fünf verschiedene Straucharten, Erdbeeren und Kräuter. Zu den Eichen gesellen sich auch Orchideen, Weiss- und Schwarzdorn, Alpengoldregen und Wolfsmilcharten. «Und dies auf so kleinem Raum!» Selbst der Forstingenieur kommt ins Staunen.

Vor gut 100 Jahren dienten diese knorrigen Eichen als Brennholz. Heute kostet die Waldpflege mehr, als sie einbringt. Der Kanton fördert deshalb die so genannten «Sonderstandorte». Dazu zählen sehr wertvolle und seltene Waldarten. Die Bäume am Jursüdhang dienen zugleich als Schutzwald: Sie verhindern Steinschlag und Murgänge.

 

Warum Fichten einfach umkippen
Wie mager der Boden am Jurasüdhang ist, zeigt sich am Wegrand, wo einst ein Förster den Waldweg freigesprengt hat. Richtig – früher hatten Förster Sprengstoff im Werkzeugschuppen; bei Bedarf sprengten sie einen Holzerweg. Die Humusschicht ist fünf bis zehn Zentimeter dünn, darunter liegt Geröll, das mit wenig Erde durchsetzt ist, danach folgt massiver Fels. Grosse Fichten kippen manchmal einfach um, weil ihre Wurzeln im felsigen Boden nicht stark genug verankert sind.

Wasserliebende Bäume wie Buchen hätten an diesem Standort keine Überlebenschance. Eine grosse Buche verdunstet bis 350 Liter Wasser – pro Tag. Wasser, das am Jurasüdhang fehlt: Zum einen fällt weniger Regen, weil sich die Wolken aus dem Norden über dem Plateau und den Kreten des Faltenjuras entleeren, zum anderen ist die Humusschicht zu karg, um viel Wasser aufzunehmen.

In einer Mulde in Richtung Romontberg stehen Fichten, so gerade wie Spargeln. Hier wächst ein typischer Nutzwald heran. Dann wird die Topografie sanfter und flacher. Am Boden liegt mehr Humus, da er, anders als in den Steilhängen, nicht ausgewaschen wird. Buchen haben auf 900 Meter über Meer das Terrain erobert. Allerdings werden die meisten nicht so mächtig wie im Seeland. Ihre Stämme bleiben dünn, die Äste sind so schmal als die Arme eines Kindes.

 

Wunder Wytweide
Was nun auf dem oberen Romontberg folgt, ist ein optisches Vergnügen, begleitet von Staunen: eine Wytweide. Baumgruppen stehen wie Inseln im Grasmeer. Bei näherem Hinsehen entpuppen sich die Gruppen manchmal als verschiedene Baumarten, sie wirken, als hätten sie Freundschaft geschlossen. Eine Tanne schmiegt sich eng an einen Bergahorn, die beiden Bäume sehen aus wie ein Liebespaar. Zwischen den Bäumen weidet eine elfenbeinfarbene Mutterkuherde.

Eine Rarität, wenn auch eine unscheinbare, ist die Mehlbeere, etwa 15 Meter hoch. Normalerweise wächst sie zu einem Busch heran. Dass sich die Mehlbeere zu einem Baum entwickelt, kommt höchst selten vor.

Profan beschrieben dienen diese Wytweiden in der Höhe gleichzeitig der Vieh- und der Waldwirtschaft. Historisch betrachtet, sind die Wytweiden interessant. Bis vor 200 Jahren wurde vielerorts das Vieh zum Weiden in den Wald getrieben. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde scharf zwischen Wald und Weide unterschieden, um den Ertrag zu steigern. Auf den Wyteiden stehen immer die juratypischen uralten Trockenmauern, die die Parzellen abtrennen.

 

Warum der Speierling so selten ist
Wytweiden sind ein von Menschen geschaffenes Kulturland, von dem die Flora profitiert. Zugleich müssen die Leute, die diese Weiden gestaltet haben, Ästheten gewesen sein. Nur lässt sich erklären, dass Bäume und Baumgruppen malerisch verstreut sind; dass einige solitäre Bäume zu Riesen heranwachsen, und auch kleinwüchsige Bäume wie die Vogelbeere nicht gefällt, sondern gefördert werden. Die Wytweiden stehen unter Schutz; der Kanton Bern prämiert mit 1500 Franken jedes Jahr eine besonders schöne Weide.

Auf kurzer Distanz entdeckt der Forstingenieur seltene Arten wie den wilden Apfelbaum und sogar einen Speierling: Ein höchst empfindlicher und seltener Baum. Der Speierling ist ein Einzelgänger, licht- und wärmebedürftig, langsam wachsend, er kann sich schlecht gegen Konkurrenten wehren und ist anfällig für Wildverbiss; dennoch kann er bis 600 Jahre alt werden. Förster schenken dieser Rarität viel Aufmerksamkeit, denn der Speierling ist vom Aussterben bedroht.

 

300 Jahren auf dem Buckel
Eduard Reusser bleibt vor einem Kleinod stehen – oder besser einem Grossod: Eine Buche, grösser als alle anderen ihrer Art auf dem Hochplateau, sie wirft einen mächtigen Schatten auf die Wiese. Ihr Alter schätzt der Forstingenieur zwischen 200 und 300 Jahre. Wobei 300 Jahre wahrscheinlicher sind: Auf der Höhe von 1000 Metern über Meer wachsen Bäume wegen des rauen Klimas langsamer.

Eduard Reusser zückt ein Band, um den Umfang der Buche zu messen, als eine Frau auf ihn zurennt und entsetzt ruft: «Sie wollen doch nicht diesen Baum fällen!» Die Frau wohnt in einem Ferienhaus nebenan, sie hat eine innige Freundschaft mit der Buche geschlossen.

Der Forstingenieur beruhigt sie und spannt das Band um die Buche: Der Stamm hat einen Umfang von 5,70 und einen Durchmesser von 1,80 Meter – der Baum wiegt ungefähr zehn Tonnen. Im Stamm fast ganz eingewachsen ist ein Strassenschild, auf dem einst stand: Ausweichstelle. Auf einem dicken Ast wächst eine Vogelbeere. Der Bergahorn zeige deutliche Alterserscheinungen, sagt Eduard Reusser: Die Jahrestriebe sind kurz, in der Krone sind einige Äste verdorrt. Dennoch werden ein paar Jahrzehnte vergehen, bis der Gigant stirbt.

Es sei wissenschaftlich bewiesen, sagt Eduard Reusser, dass Puls und Blutdruck während eines Waldspaziergangs sinken. Dies, weil Bäume nicht nur Wasser verdunsten, sondern zahlreiche Sekundärstoffe abgeben. Also bald wieder ab in den Jor, Joria, Juria, Juris. Ab in den Jura, auf gehts in den Wald.

Stichwörter: Wälder, Jura, Jor, Tiere

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