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Büren

Auf einen Schlag sprachlos

Nach einem schweren Schädel-Hirn-Trauma verlor sie die Fähigkeit zu sprechen und zu lesen. Heute ist Sandra Speiser aus Büren fast wieder gesund und engagiert sich für Menschen, denen das gleiche Schicksal widerfahren ist.

Sandra Speiser, Bild: SST

«Dieser Unfall war eigentlich ein Geschenk.» Sandra Speiser sitzt zuhause in Büren in ihrem Mal-Atelier und sinniert über das Ereignis in ihrem Leben, das ihr 2006 viele Einschränkungen auferlegt, ihr wortwörtlich die Sprache genommen und sie dennoch «glücklicher als je zuvor» gemacht hat. Es war an einem Abend im November, als die heute 55-jährige in der Stadt Bern von einem Auto erfasst und lebensgefährlich verletzt wurde. Nach einem dreimonatigen Therapie-Aufenthalt im Anna-Seiler-Haus des Inselspitals Bern, konnte sie wieder einigermassen sprechen und lesen. «Die Sprache ist das wichtigste Kommunikationsmittel, da sie einen direkten Zugang zum Mitmenschen schafft. Wenn einem die Worte fehlen, wird sowohl die Familie wie auch das soziale und berufliche Leben stark beeinträchtigt.»

 

Kuchen in der Badewanne

Zwar kämpft sie auch heute noch mit einer Wortfindungsstörung (Aphasie) und sie brauche, wie sie sagt, für alles viel mehr Zeit als früher. Der eine oder andere «Patzer» passiere ihr immer noch. So erklärte sie ihrem Mann unlängst, er möge doch den Kuchen aus der Badewanne nehmen. «Ich weiss natürlich genau, dass der Backofen gemeint ist, das Wort kommt im entscheidenden Moment dann aber falsch heraus», sagt und lacht. Sie nimmt vieles mit Humor und auch mit viel mehr Ruhe als früher. «Ich bin heute zufriedener, habe eine neue Bestimmung im Leben gefunden.»

Obschon sie heute gelassener im Umgang mit sich selbst ist, musste sie lernen, dass gewisse Fähigkeiten, die sie einmal hatte, für immer verloren gegangen sind. So sprach die gelernte KV-Angestellte mühelos vier Sprachen. «Dänisch und Italienisch sind ganz weg, Französischkenntnisse habe ich nur noch wenige», sagt sie. Als ehemalige Leseratte fällt es ihr auch schwer, keine dicken Bücher mehr lesen zu können. «In der Mitte eines Buches erinnere ich mich schon nicht mehr, was ich am Anfang gelesen habe.» Aus diesem Grund ist sie jetzt auf Kurzgeschichten ausgewichen, trainiert aber täglich ihr Erinnerungsvermögen, benennt in Gedanken Gegenstände, die sie sieht.

Gemalt hat Sandra Speiser schon vor ihrem Unfall sehr gern. Durch einen glücklichen Umstand kam sie dazu, vor zwei Jahren die Bilder des beim Verein Aphasie Suisse (siehe Infobox) herausgegeben Jahreskalenders zu gestalten, «was mir sehr viel Freude und auch etwas Stolz bereitet hat».

 

Singen im Aphasiechor

Aphasie Suisse hat einen hohen Stellenwert im Leben von Sandra Speiser. Seit kurzer Zeit arbeitet sie im Vorstand mit. Zudem singt sie im Aphasiechor Zentralschweiz, hat das Amt der Aktuarin im Vorstand inne und reist dafür alle 3 Wochen nach Luzern. In den ersten Monaten nach ihrem Unfall hatte sie zwar die Musik im Kopf, konnte aber den Liedtext dazu nicht singen. «Es gibt Aphasiker, die zwar nicht sprechen, aber durchaus den richtigen Liedtext zu einem Musikstück singen können», sagt Sandra Speiser. Ihre Logopädin sagte einst, dass ein Durcheinander in den verschiedenen Schubladen im Sprachgedächtnis herrsche. «Ich bin immer noch täglich damit beschäftigt, den verbliebenen Rest dieses Durcheinanders zu ordnen. Aber es kommt gut». Silvia Stähli-Schönthaler

 

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Aphasie Suisse

Aphasie Suisse ist eine Non-Profit-Organisation im Gesundheits- und Sozialbereich. Der schweizweit tätige Verein wurde 1983 gegründet. Er finanziert sich zu 80 Prozent aus Spendengeldern und ist ZEWO-zertifiziert. Das Wort «Aphasie», das aus dem Griechischen stammt, bedeutet «ohne Sprache» und wird mit Sprachverlust übersetzt. Eine Aphasie ist eine Sprachstörung, die meist infolge eines Schlaganfalls oder einer Hirnblutung auftritt. In der Schweiz erleiden jährlich rund 50 000 Menschen eine Aphasie. sst

Info: Aphasie Suisse, Spitalstrasse 4, 6004 Luzern, Tel: 041 240 05 83, www.aphasie.org.

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