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Mein Montag

«Auf einmal wurde mir klar: Ich will etwas mit Hufen machen»

Weil ihr Pferd «Little» ständig an Hufproblemen litt, wollte die Polygrafin Nicole Geiser alles über Pferdehufe lernen. Heute reist sie als Barhufpflegerin von Hof zu Hof und tauscht die Computertastatur gegen Raspel und Messer.

Wie Pedicure beim Menschen: Nicole Geiser bearbeitet die Hufe der verschiedensten Pferde, vom Shetlandpony bis zum Kaltblüter. Ihr Wallach «Little» begleitet sie schon seit 13 Jahren durchs Leben. Peter Samuel Jaggi
  • Dossier

Aufgezeichnet: Brigitte Jeckelmann

Pferde haben mich immer fasziniert. Als Kind bestürmte ich meine Eltern so lange, bis sie mir mit sieben Jahren endlich Reitstunden erlaubten. Bevor ich aber in den Sattel steigen durfte, musste ich jeweils beim Ausmisten helfen. Doch das nahm ich in Kauf wie auch die sehr strenge Reitlehrerin. Sie schimpfte mit mir, wenn ich an den Zügeln zerrte oder die Pferde mit den Beinen in den Bauch stiess. Sie hatte ja recht. Trotzdem konnte es meine Mutter nicht mit ansehen, wie die Lehrerin ihre Tochter lautstark rüffelte. Mir machte das alles nichts aus. Hauptsache, ich war bei den Pferden.

Jetzt bin ich 33 und habe seit Mitte März mein Diplom als Barhufpflegerin in der Tasche. Die Ausbildung habe ich neben meiner Arbeit als Polygrafin bei den Schweizer Agrarmedien in Bern absolviert. Dort bin ich zu einem 90-Prozent-Pensum für das Layout der «Bauernzeitung» sowie der Magazine «Frauenland» und «die Grüne» verantwortlich. Ein- bis zweimal pro Woche fahre ich nun als Barhufpflegerin zu meinen Kunden in der Region. Im Gegensatz zum Hufschmied habe ich aber nichts zu tun mit Metallbearbeitung und Hufeisen. Ich schlage auch keinen Nagel in den Pferdehuf, sondern bearbeite den Huf nur mit Zange, Feile, Messer und Raspel. Es ist wie Pedicure beim Menschen. Laien kennen Pferde mit Hufeisen an den Füssen. Die Eisen sind aber nicht unbedingt nötig. Wie Menschen können auch Pferde barfuss gehen – man sagt dem dann «barhuf». Mein eigenes Pferd «Little» habe ich vor etwa zehn Jahren auf barhuf umgestellt. Der Grund waren immer wiederkehrende Eitergeschwüre in allen vier Hufen. Diese verursachten ihm solche Schmerzen, dass er oft tagelang liegen blieb.

Der Tierarzt war damals Dauergast im Stall. Er schnitt die Geschwüre auf und verabreichte Antibiotika und Schmerzmittel. Es dauert Wochen, bis solche Abszesse abheilen. Während dieser Zeit wachsen die Hufe schlecht nach. Der Hufschmied wusste nicht mehr, wie er bei «Little» die Eisen aufnageln sollte. Eines Tages waren Tierarzt und Hufschmied mit ihrer Weisheit am Ende. Also fing ich an, mich selber schlau zu machen und las tonnenweise Bücher zum Thema Pferdehuf. Der Tenor aller Spezialisten lautete: Pferdehufe regenerieren am besten ohne Eisen. Barhufgehen solle die Lösung sein. Als ich das dem Hufschmied und dem Tierarzt erzählte, schlugen beide die Hände über dem Kopf zusammen. «Vergiss es», sagten sie. Ich aber liess mich nicht entmutigen und recherchierte stundenlang im Internet. Dabei wurde ich auf eine Spezialklinik aufmerksam, die auf Pferde mit Hufproblemen spezialisiert ist. Eine Heilung sei möglich, sagte man mir dort, wenn ich bereit sei, ein Jahr lang aufs Reiten zu verzichten. Für mich war das keine Frage. Ich liess «Little» die Hufeisen abnehmen und wartete.

Anfangs war es schlimm. Mein Pferd konnte keinen Schritt tun ohne Hufschuhe. Weil es diese rund um die Uhr tragen musste, bildeten sich auch noch schmerzhafte Scheuerstellen. Linderung verschafften ihm nur weiche Hufverbände, die ich täglich neu anlegte, manchmal sogar mehrmals. Erst nach drei Monaten ging es «Little» allmählich besser. Mit Spaziergängen im Gelände begann ich vorsichtig, ihn zu belasten. Ein halbes Jahr später stieg ich erstmals in den Sattel. Nach und nach konnte ich wieder ausreiten. In der folgenden Zeit kam die Spezialistin von der Klinik nur noch, um «Little» die Hufe nachzuschneiden. Dabei zeigte sie mir, wie ich vieles auch selber machen kann. Allmählich kam sie nur noch zur Kontrolle vorbei und ich besorgte die Hufpflege meines Pferdes praktisch im Alleingang, wobei ich immer wieder auch andere Hufpfleger bat, einen Blick auf «Littles» Hufe zu werfen. Heute sind seine Hufe wieder gesund und stark.

Doch das Thema Pferdehuf liess mich nicht mehr los. Ich verschlang Bücher, schaute mir andere Pferde mit ihren Hufproblemen an, überlegte mir Lösungen und erteilte Ratschläge an Bekannte, die mich um meine Meinung baten. In mir wuchsen das Interesse und der Wunsch nach fundiertem Wissen über die Hufpflege. Zuvor hatte ich mich schon lange mit dem Gedanken an eine Weiterbildung getragen. Auf einmal wurde mir klar: Ich will etwas mit Hufen machen – und meldete mich beim Lehrinstitut Zanger an. Es ist eine von drei Ausbildungsstätten in der Schweiz für die gewerbsmässige Hufpflege, die das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen anerkennt. Damit man den Beruf in der Schweiz ausüben darf, muss man zudem beim kantonalen Veterinäramt eine Bewilligung beantragen. Die einjährige Ausbildung ist vielseitig und beschränkt sich nicht nur auf den Pferdehuf. Von verschiedenen Fachleuten habe ich in rund 300 Kursstunden gelernt, ein Pferd zu analysieren. Sind die Beine gerade? Wie ist das Gangbild? Sind die Gelenke gesund? All dies hat einen Einfluss darauf, wie das Hufhorn zu bearbeiten ist. Zu Beginn benötigte ich für eine solche Ganzkörperanalyse wohl Stunden, bis ich mit der Zeit ein Auge für die unterschiedlichen Pferde und ihre Hufe bekam. In den Kursen standen uns die verschiedensten Pferde zur Verfügung: Vom Mini-Shetlandpony bis zum tonnenschweren Kaltblut war alles darunter, sogar Esel und Maultiere. Weitere 180 Ausbildungsstunden verbrachte ich auf Tour in Begleitung eines erfahrenen Hufpflegers, mit dem ich von Hof zu Hof fuhr und bei der Arbeit mit anpackte. Der Theorieunterricht bestand aus den Fächern Anatomie, Biomechanik und Hufkrankheiten des Pferdes sowie Haltung, Fütterung, Tierschutz und Tierrecht.

Die Idee vom Barhufgehen klingt bestechend: Pferdebesitzer wollen zunehmend zurück zum Natürlichen. Doch ganz so einfach ist es nicht. Artgerechte Pferdehaltung in Gruppen ist zwar wünschenswert. Dort stehen die Pferde dann aber meist 24 Stunden auf weichem Boden. Unter dem Reiter sollen sie dann für eine bis zwei Stunden ohne Hufschutz und mit Gewicht auf dem Rücken vorwiegend auf harten Wegen mit Mergelbelag gehen. Es gibt Pferde, bei denen das funktioniert, bei den meisten jedoch nicht. Da braucht es dann einen passenden Hufschuh. Im Idealfall sollte das Barhufpferd die Möglichkeit haben, seine Hufe im Alltag auf verschiedenen Böden zu trainieren. So kann die Hufsubstanz härter werden. Das ist etwa so, wie wenn wir Menschen uns langsam ans Barfussgehen gewöhnen müssen: Um schmerzfrei über Kieselsteine gehen zu können, brauchen wir zuerst eine dicke Hornhaut an den Füssen.  
Ich bezeichne mich als «Barhufmensch», bin aber weit davon entfernt, die traditionellen Hufeisen und den Hufschmied zu verteufeln. Im Gegenteil bin ich der Ansicht, dass je nach Situation der Hufschmied und Eisen sogar die bessere Alternative sein können. Meinen Wallach reite ich mehrmals pro Woche im Gelände. Dabei kommen monatlich bis zu 400 Kilometer zusammen. Im Seeland kann man wunderschöne Touren machen. Zum Beispiel von Dotzigen bis zum Hagneckkanal oder in den Bucheggberg. Während der Ausritte trägt mein Pferd Hufschuhe. Davon gibt es heute die verschiedensten Modelle. Ich besitze mehrere Paare, je zwei für die Vorder- und die Hinterhufe.
Weshalb ich verrückt nach Pferden bin, kann ich nicht erklären. Ich mag andere Tiere auch. Aber Pferde sind anders. Dabei ist Reiten für mich nicht einmal das Wichtigste. Ich liebe es einfach, Zeit mit Pferden zu verbringen.


Link: www.gesund-barhuf.ch

 

Hufeisen ab und tschüss – so nicht!

Ob ein Pferd einen Hufschutz benötigt oder nicht, hängt davon ab, wie man es nutzt. Das sagt Michael Weishaupt, Leiter der Abteilung Sportmedizin am Tierspital Zürich. Egal, ob ein Pferd seinen Reiter auf hartem Boden durch die Landschaft trägt, in Wettkämpfen über Hindernisse springt oder nur an Halfter und Strick durch die Gegend spaziert: «Je nachdem, wie stark die Belastung ist und der Boden die Hufsubstanz abreibt, muss man den Huf schützen, das ist ein klarer Anspruch.»


Weg vom Arbeitspferd
Weishaupt kennt die Pferdeszene in der Schweiz. Seit etwa 20 Jahren ist laut ihm eine Veränderung in Bezug auf die Haltung und den Gebrauch von Pferden im Gang: weg vom Arbeitspferd hin zum Sport- und Freizeitkameraden. Damit einher gehe der Trend, Pferde ohne Hufeisen, barhuf zu nutzen oder mit Hufschuhen zu reiten. Für die Freizeitreiter steht nicht der sportliche Erfolg im Wettkampf im Vordergrund, sondern das Naturerlebnis; zusammen mit dem Pferd durch Feld und Wald zu streifen. Und das nicht unbedingt täglich. «Wenn ein Freizeitreiter zwei- bis dreimal wöchentlich gemütlich durch natürliches Gelände mit weichen Böden reiten will, braucht das Pferd tatsächlich nicht unbedingt Hufeisen», sagt Weishaupt.
Kommt dazu: Im Zuge der Freizeitreiterbewegung setzt sich mehr und mehr die artgerechte Haltung in Gruppen und im Offenstall durch. Doch da Pferde innerhalb von Gruppen strenge Hierarchien haben, sind Meinungsverschiedenheiten unter ihnen kaum zu vermeiden. Dabei kann es mitunter ruppig zu- und hergehen, wenn die Pferde beissen und schlagen, um die Rangordnung zu klären. Verletzungen durch mit Hufeisen beschlagene Pferde zählt Weishaupt denn auch zu den gravierendsten. Vor allem dann, wenn es zu Knochenbrüchen kommt. Frakturen seien meist sehr schwer therapierbar und eine Operation auch kostspielig. Deshalb sei es sicher empfehlenswerter, ein Pferd, das im Gruppen-Offenstall untergebracht ist, unbeschlagen zu lassen.


Zeit zur Umgewöhnung
Trotzdem brauche es ein durchdachtes Management, wenn man ein beschlagenes Pferd auf barhuf umstellen wolle, mahnt Weishaupt. Zudem benötige es Zeit, damit sich die Hufe an die Veränderung gewöhnen können. Er erinnert sich an die Anfänge der Barhuf-Bewegung: «Damals dachte man, das sei ganz einfach - Hufeisen ab und tschüss.» Die Folgen davon hat er an seinen Pferdepatienten im Tierspital zu Gesicht bekommen: Abgeschliffene Sohlen, die so dünn waren, dass die Tiere kaum mehr gehen konnten. Hinzu kamen Gelenkbeschwerden durch den unregelmässigen Abrieb und oft auch unsachgemässe Hufbearbeitung. Damals, so sagt Weishaupt, tummelten sich in der Szene zahlreiche selbst ernannte Fachleute, die glaubten, sie könnten ohne ausreichende Kenntnisse Pferdehufe bearbeiten. Eine ähnliche Strömung gab es auch bei Pferdezahnärzten. Doch die Arbeit am Huf und am Gebiss des Pferdes erfordert fundiertes Wissen: Tierärzte werden für Pferdezahnmedizin speziell geschult und für die Hufe absolviert der Hufschmied eine vierjährige Ausbildung. Externe Experten beurteilen, ob ein Hufschmiedlehrling die strenge Abschlussprüfung besteht oder nicht. Weishaupt sagt, bei der Ausbildung der Barhufpfleger habe sich in den letzten Jahren viel getan. «Sicher zum Besseren für die Pferde», sagt er. Dass die Barhufpfleger inzwischen eine Akkreditierung der kantonalen Veterinärämter benötigen, begrüsst er. Dennoch würde er sich ein engeres Zusammengehen zwischen Barhufpflegern und Hufschmieden wünschen. Denn das Bearbeiten des Hufes gehöre zu den Kernkompetenzen eines ausgebildeten Hufschmieds. Weishaupt: «Der einzige Unterschied besteht darin, dass dieser dann zusätzlich noch einen Hufschutz anbringt.»
Dennoch hält es Weishaupt für möglich, dass ein gut ausgebildeter und erfahrener Barhufpfleger in manchen Fällen den Hufschmied ersetzen kann. Bedingung: «Er oder sie soll die eigenen Grenzen kennen und den Kunden, wenn nötig, an den Tierarzt oder den Hufschmied verweisen.» Brigitte Jeckelmann


Info: Mehr Wissen über Huf und Pferd unter: www.e-hoof.com (webbasiertes Lehrmittel für Tierärzte und Hufschmiede), www.hufpflege-verband.ch (Verband Schweizerischer Hufpfleger), www.sfrv-asel.ch (Schweizerischer Freizeitreiterverband)

Stichwörter: Pferd, Dotzigen, Huf

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