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Suberg

"Aufgeben ist keine Option"

Annemarie und Caroline Wittwer betreiben in Suberg eine Trachtenbörse. Was heisst das während der Coronakrise, wenn alle Feste abgesagt sind?

Caroline und Annemarie Wittwer (von links) in ihrem Laden. Das Angebot ihrer Trachtenbörse ist kantonsweit einzigartig. Bild: Copyright Matthias Käser Bieler Tagblatt

von Raphael Amstutz

Die Faszination für Trachten hat Annemarie Wittwer (60), eine Ur-Subergerin, bereits während ihrer Lehre als Damenschneiderin in Bargen gepackt. Rasch war klar, dass sie die Trachtenprüfung machen würde. Und ebenso rasch sprach sich herum, wie geschickt sie im Umgang mit Nadel, Faden und der Nähmaschine ist. Auch nach der Geburt der Tochter (1984) hat Wittwer weiter genäht. «Ich bin einfach um 4 oder 5 Uhr aufgestanden», sagt sie und lacht.

Kurz darauf hat sie sich selbstständig gemacht. Das Feuer ging auf ihre Tochter über – allerdings verzögert. Caroline arbeitete zuerst im Verkauf/Detailhandel. Erst später machte sie die Lehre als Damenschneiderin und mit 35 schloss auch sie die Ausbildung zur Trachtenschneiderin ab. Vor sechs Jahren haben die beiden die Trachtenbörse Wittwer GmbH gegründet und die Räumlichkeiten an der Bernstrasse 42 in Suberg bezogen.

Das Feld der Trachten ist gross. Nicht weniger als 80 verschiedene Modelle mit unterschiedlichen Farben, Schnitten und Feinheiten gibt es nur schon im Kanton Bern. Genäht werden sie nach einem strengen Reglement. «Diesen reichen und vielfältigen Schatz gilt es zu bewahren», sagt Annemarie Wittwer.

Es sei schön, wenn jemand vorbeikomme und ihnen eine Tracht zeige, die zum Beispiel bei der verstorbenen Grossmutter auf dem Dachboden gefunden worden sei. «Da können lange Gespräche entstehen», sagt Caroline Wittwer. Die Hintergründe aufzeigen, die lange Tradition. Das macht den beiden Freude. «Trachten sind mit uns, unserer Heimat und unseren Geschichten verknüpft», so die 37-Jährige.

Wer nun meint, das Trachtenwesen sei verstaubt, der irrt. Viele werden online auf das Geschäft aufmerksam. Beiträge in den Sozialen Medien werden bis zu 1000-mal aufgerufen. In besonderem Masse leben Wittwers aber von der Mund-zu-Mund-Propaganda. Auch das Vorurteil der Überalterung stimmt nicht. 30 Prozent der Kundinnen (die überwiegende Mehrheit der Kunden sind weiblich) sind jünger als 30, und auch in der bernischen Trachtenvereinigung sind jüngere Menschen gut vertreten. «Junge tragen die Trachten wieder mit Stolz», sagt Caroline Wittwer. Es gibt eine neue Freude an der Volkskultur und am Brauchtum, am Schwingen, Jutzen und eben auch an den Trachten.

Neben dem Neuanfertigen von Trachten (rund 20 Prozent des Umsatzes), den Änderungen und Reparaturen, dem Meterverkauf von Stoff und dem Kursangebot (rund 40 Prozent) ist das Geschäft vor allem auch, wie es der Name bereits sagt, eine Börse. Im ganzen Kanton gibt es sonst nirgends ein solches Angebot. Wittwers nehmen Trachten in Kommission. Bei einem Verkauf erhalten die beiden einen Anteil. Dieser Teil macht die restlichen rund 40 Prozent ihres Geschäftes aus.

Mutter und Tochter gemeinsam in einem Geschäft. Wie funktioniert das? «Richtig streiten können wir gar nicht», sagt die Mutter. «Wir reden viel, tauschen uns aus.» «Reibereien gab es vor allem am Anfang», ergänzt die Tochter. «Nun haben wir unsere Plätze gefunden. Wir kennen einander gut und wissen ganz oft, was die andere denkt.» Von dieser Übereinkunft, dem Ziehen am gleichen Strick, ist im Gespräch immer wieder viel zu spüren.

Auch wenn es nicht viele vergleichbare Angebote gibt und der Ruf der Trachtenbörse hervorragend ist, trifft die Coronakrise das kleine Unternehmen mit voller Härte: Alle grossen und öffentlichen Feste sind abgesagt, und auch bei Hochzeiten und Konfirmationen wird sehr zurückhaltend geplant. Kurz: Praktisch alle Anlässe, an denen Trachten getragen werden, sind momentan verboten. Während des ersten Lockdowns hätten sie regelmässig gehört, sie seien ja wie Coiffeure. «Ihr dürft ja arbeiten, wird uns gesagt», so Annemarie Wittwer. «Der grosse Unterschied ist aber: Geschnittene Haare wachsen wieder nach, gekürzte Hosen bleiben kurz.»

Was macht das mit ihnen? Mutter und Tochter schauen einander an – und trotz der Mund-Nasen-Bedeckung ist zu erkennen: Es sind schwierige Zeiten. Seit März 2020 haben sich die beiden keinen 100-Prozent-Lohn mehr ausbezahlt, teilweise sogar gar keinen. Die drei Teilzeitangestellten werden weiterbeschäftigt – trotz allem. Treue, Ausdauer und Verlässlichkeit sind den beiden wichtig. «Manchmal könnten wir den ganzen Tag heulen», sagt die Mutter. «Doch aufgeben ist keine Option.» Und ihre Tochter sagt: «Wirtschaftlich macht es momentan keinen Sinn. Doch wir machen weiter.» Viel Lob haben sie für die «herzlichen und solidarischen Kundinnen» übrig. «Es gibt nicht wenige, die uns Reparaturen vorbeibringen, die sie selber machen könnten.» Parallel plant die Trachtenbörse ein Crowdfunding, um Einnahmen generieren zu können.

Wie können die Menschen ihnen am besten helfen? «Schaut doch daheim, ob Kleider da sind, die eine Auffrischung oder Reparatur brauchen», sagt die Mutter. Tochter Caroline ergänzt: «Viele Menschen, die ihren Lohn weiter erhalten und einfach auf Ausgang und Ferien verzichten müssen, können sich vielleicht nur schwer vorstellen, wie es ist, so existenziell bedroht zu sein.»

Info: Trachtenbörse, Bernstrasse 42, Suberg, Tel:032 389 21 27, www.trachten-boerse.ch

Stichwörter: Suberg, Gewerbe und Gastro

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