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Landwirtschaft

Bauern im Einklang mit der Natur

Landwirt Ueli Gassner aus Ipsach liegen Menschen, die Umwelt und die Natur am Herzen. Deshalb bearbeitet er sein Land nach den Zielen der regenerativen Landwirtschaft. So hat er die Freude an seinem Beruf wieder gefunden.

Ueli Gassner prüft, ob der Kompost unter der Plane schon reif ist.Matthias Käser

von Brigitte Jeckelmann
Sein Beruf ist sein Stolz. Das war nicht immer so. Vor sechs Jahren hat Landwirt Ueli Gassner auf Bio umgestellt. Zuvor war ihm zunehmend unwohl. Immer höhere Erträge mit immer mehr Pflanzenschutzmitteln – «ich hatte ein schlechtes Gefühl dabei», sagt Gassner. Ein Schlüsselerlebnis gab den Ausschlag: Eines Tages habe ihn sein Berater für Pflanzenschutzmittel angerufen. Dieser habe auf einem seiner Äcker ein Unkraut entdeckt und er wies Gassner an, es mit einem bestimmten Pestizid abzutöten. Er sei sich vorgekommen wie ein Handlanger, erinnert er sich. Selber zu denken war nicht gefragt. So wollte er nicht mehr weitermachen.
Ueli Gassner steht vor seinem Hof in Ipsach, blinzelt in die Sonne und lässt seinen Blick über den Acker mit Winterweizen hinter dem Haus schweifen: Dort stehen 300 junge Bäume, unter anderen Schwarzerlen, Nussbäume und Wildkirschen. Alle zehn Meter ein Baum, wie Soldaten in mehreren Reihen. Die Abstände dazwischen sind breit genug, damit er mit dem Traktor durchfahren kann.


Konzept aus Australien
Agroforst-Permakultur nennt sich diese Art Ackerbau. Übersetzt bedeutet Permakultur so viel wie «dauerhafte Landwirtschaft». Das Konzept entstand in den 70er-Jahren in Australien und sollte eine Alternative zur industriellen Landwirtschaft sein. Statt Monokulturen mit Maximalerträgen strebten die Erfinder, Bill Mollison und David Holmgren, eine Landwirtschaft nach dem Vorbild natürlicher Ökosysteme an. Das Ziel: Im Einklang mit der Natur den Boden aufbauen und die Vielfalt von Pflanzen und Tieren erhöhen.
Die Bäume nähren und lockern den Ackerboden mit ihren Wurzeln und dem Laub. Zudem bieten sie im Sommer Schatten und Schutz vor der Hitze. Kommt dazu: Die Blätter ziehen Kohlendioxid aus der Luft und produzieren mit Hilfe von Sonnenlicht und dem Blattgrün Sauerstoff. Bäume und Ackerkultur profitieren voneinander. Ueli Gassners Winterweizen gedeiht nun auch ohne chemische Pflanzenschutzmittel. Das wiederum kommt den Bodenlebewesen zugute.


Verantwortung für die Natur
Vor zwei Jahren hat er die Bäume gepflanzt, dies als Teil eines Klimaschutzprogramms eines Grossverteilers. Gesunder Boden, auf dem gesunde Nahrungsmittel wachsen; damit identifiziert sich Ueli Gassner voll und ganz. Zu seinem Selbstverständnis als Landwirt gehört auch, Verantwortung für den Schutz der Natur und der Umwelt zu übernehmen. Dafür braucht es in erster Linie lebendigen Boden mit einer Vielfalt an Bodenlebewesen. Ueli Gassner zeigt, wie ein solcher Boden aussieht. Auf einer Schaufel liegt ein Erdbrocken. Greift man mit der Hand hinein, fühlt sich die Erde luftig und krümelig an, zudem kringeln sich Regenwürmer darin und es riecht so, wie man sich vorstellt, dass Erde riechen sollte; irgendwie warm, an Kartoffeln erinnernd.
Dieser Boden wirkt wie ein Schwamm; er saugt Wasser auf und trägt so dazu bei, dass es zu weniger Überschwemmungen kommt. Zudem filtert die poröse Struktur eine Menge Schadstoffe, die dadurch nicht ins Grundwasser und somit in unser Trinkwasser gelangen. Im Gegensatz dazu zeigt Gassner einen Brocken Erde aus einem konventionell bearbeiteten Feld. Der Klumpen ist hart, weist keinerlei Luftlöcher auf und die Nasenprobe ergibt einen muffigen Geruch. Solche Erde kann weder Wasser aufsaugen noch als Filter wirken.


Forscher starten Pilotprojekt
Wenn Ueli Gassner davon erzählt, wie wichtig ein lebendiger Boden für die Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen ist, tut er dies mit ruhiger Stimme und ohne dabei ins Schwärmen zu verfallen. Es ist schlicht seine Überzeugung und er wünscht sich, wie er sagt, auch andere Landwirte mit diesem Feuer anzustecken.
Um die Idee vom Aufbau gesunden Bodens weiter zu verbreiten, nimmt er am Pilotprojekt der Berner Fachhochschule für Agrar-, Forst-, und Lebensmittelwissenschaften teil. Die Forscher wollen herausfinden, wie nachhaltig und wirtschaftlich die Permakultur ist und ob sie sich in der Landwirtschaft einsetzen lässt, ohne dabei zu Pestiziden greifen zu müssen.
Gassner hat dafür seinen Obstgarten in ein Permakultur-System umgebaut, hat damit begonnen, einige der alten Kirschbäume durch Zwetschgen- und Apfelbäume zu ersetzen. Dazwischen hat er Himbeer- und Johannisbeersträucher sowie verschiedene Kräuter gesetzt. Auf diese Weise entstand eine artenreiche Pflanzung. Immer mal wieder lässt er seine Hühner darin herumspazieren. Sie verwerten das Fallobst und picken Schädlinge aus dem Boden.
Ueli Gassner freut sich über das Ergebnis: Die Früchte gedeihen, und das ganz ohne Pflanzenschutzmittel. Tobias Messmer von der Berner Fachhochschule, der das Projekt wissenschaftlich begleitet, kann bestätigen: «Der Boden lebt, die Erde ist locker und voller Regenwürmer.»


Viel Leben im Erdboden
So sollte ein fruchtbarer Boden aussehen. Doch in den letzten Jahrzehnten haben die Ackerböden in der Schweiz gelitten. Schwere Maschinen, Pflüge und der übermässige Einsatz von Pflanzenschutzmitteln machen Bodenlebewesen den Garaus: Würmer, Bakterien, Pilze, Asseln, Käferlarven, Schnecken Spinnen, Milben und viele andere bilden zusammen mit den Wurzeln der Pflanzen das Ökosystem Boden. Schon nur in einer Handvoll Erdboden hat es mehr Lebewesen als Menschen auf der Erde.
Die Gesamtheit von lebenden und abgestorbenen Pflanzenteilen, Kleinstorganismen und der Substanzen, die sie produzieren, bilden die Biomasse, den Humus. Beim Zersetzungsprozess werden Nährstoffe für die Pflanzen frei, während diese für die Bodenlebewesen Energie in Form von Zucker produzieren. Dieses Zusammenspiel verschiedenster Lebewesen spielt sich in der obersten, etwa 20 Zentimeter dicken Erdschicht ab.
Mit Permakultur zu gesundem Boden und gesunden Nahrungsmitteln – das klingt schön. Aber lohnt es sich auch? Hierzulande stecke das Konzept noch weitgehend in den Kinderschuhen, gelte sogar eher als esoterisch angehauchte Methode für Selbstversorger, verbunden mit viel Handarbeit, sagt Tobias Messmer. Also eher etwas für Idealisten als knallharte Rechner. Zahlen für die Schweiz gibt es bisher kaum.
Das wollen die Forscher der Berner Fachhochschule mit dem Projekt ändern, das gerade erst in diesem Jahr begonnen hat. Ausgelöst durch die negativen Folgen der industriellen Landwirtschaft sind die Wissenschaftler auf der Suche nach neuen Methoden, die wirtschaftlich und nachhaltig zugleich sind. Ob dies die Permakultur leisten kann, wird sich zeigen.
Fachleute von Agroscope, dem nationalen Kompetenzzentrum für Landwirtschaft, sind vom Nutzen von Bäumen auf Ackerflächen überzeugt. «Permakultur und Agroforst sind in der Schweizer Landwirtschaft durchaus ein Thema» sagt Felix Herzog. Er leitet die Forschungsgruppe Agrarlandschaft und Biodiversität. Moderne Agroforst-Systeme kombinieren laut Herzog Baumstreifen mit Ackerbau.
Dazu gehört auch der Acker von Ueli Gassner. Davon verspreche man sich produktive Verfahren, die etwas widerstandsfähiger gegen den Klimawandel sind, sagt Herzog. Sie ergänzten die traditionellen Agroforstsysteme wie Hochstamm-Feldobstgärten, Wytweiden und Kastanienhaine, die für Biodiversität und Landschaft sehr wertvoll seien. Untersuchungen von Agroscope zeigen: Agroforstsysteme binden Kohlenstoff und können damit einen ansehnlichen Beitrag zum Ausgleich der Treibhausgase aus der Landwirtschaft leisten. Zudem erhöhen sie die Artenvielfalt und festigen den Boden gegen Erosion.


Ziel: fruchtbarer Boden
Eine Landwirtschaft, die den Boden aufbaut, die Artenvielfalt von Pflanzen und Tieren erhöht und zugleich das Klima schützt – dafür steht der Begriff «regenerative Landwirtschaft», der in letzter Zeit immer öfter in der landwirtschaftlichen Fachpresse auftaucht. Ueli Gassner hat sich ihr voll und ganz verschrieben.
Laien können kaum erfassen, was regenerative Landwirtschaft bedeutet und wie sie sich vom Biolandbau unterscheidet. Selbst Fachleute wie Jeremias Niggli, Berater für Bioackerbau beim Forschungsinstitut für biologischen Landbau, müssen dafür weit ausholen. Seiner Beschreibung zufolge ist die regenerative Landwirtschaft als Ansatz zu verstehen, der nicht auf Richtlinien basiert, sondern eher ein Ziel vorgibt: die Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit. Der fruchtbare Boden ist demzufolge die Grundlage von gesunden Pflanzen und somit von gesunden Menschen und Tieren. Niggli: «Die regenerative Landwirtschaft ist als System mit einer höheren Flughöhe zu verstehen.»


Komposttee und Geohobel
Ueli Gassners Betrieb umfasst eine Fläche von rund 35 Hektaren. Darauf baut er Kulturen wie Winterweizen, Speisehafer, Speisesoja, Hirse, Ackerbohnen und Roggen an. Er bearbeitet seine Äcker jedoch ohne Pflug. Dieser würde die Erde genau in jenem Bereich von oben nach unten kehren, in dem die verschiedensten Mikroorganismen leben.
Jene in den tieferen Schichten mögen weder Licht noch Sauerstoff, während die aus den oberen Zonen in den tieferen Lagen zugrunde gehen. Deshalb arbeitet Gassner mit dem Geohobel, einer pfluglosen Alternative. Das Gerät bearbeitet den Boden besonders schonend und dringt nur wenige Zentimeter tief ein, ohne die Bodenlebewesen durcheinanderzubringen. Organisches Material wie Erntereste arbeitet es in den Boden ein. Von Mikroorganismen zersetzt, werden so Nährstoffe für die Pflanzen frei.
Zudem verwendet Gassner Komposttee, eine wässrige Flüssigkeit aus Kompost mit speziellen Bakterien. Sie sollen die Abwehrkräfte der Pflanzen stärken. Gassner ist von der Wirksamkeit des Komposttees überzeugt: Seit er auf regenerative Landwirtschaft setzt, benötigt er keine chemischen Pflanzenschutzmittel mehr und spart so jedes Jahr rund 20000 Franken.
Dennoch bekennt er: Ganz so einfach war es nicht mit der Umstellung. In den ersten beiden Jahren habe er massiv an Erträgen eingebüsst. «Die finanzielle Delle mussten wir aushalten», sagt Gassner, der seinen Betrieb zusammen mit den Eltern und seiner Frau bewirtschaftet. Doch danach ging es wieder aufwärts. Für Gassner ist klar: «Ich würde keinen Tag lang wieder zurück ins alte System wechseln.»
 

Stichwörter: Natur, Bauer, Boden

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