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Holzschlag

Bei der Waldpflege scheiden sich die Geister

Was haben monströse Erntemaschinen und Kahlschlag mit Waldpflege zu tun? Praktiker und Theoretikerinnen erklären, welche Gedanken hinter der Bewirtschaftung des Waldes stecken – und was für sie das ideale Vorgehen ist.

Winterzeit ist Holzerzeit: Forstarbeiter unterwegs in Jens im Dezember des vergangenen Jahres. Bild: Barbara Héritier

Theresia Mühlemann

Wer in den letzten Wochen einen Waldspaziergang gemacht hat, dem ist bestimmt aufgefallen, dass aktuell allerorts geholzt wird. An den Wegrändern liegen Berge von Spaltholz, Ästen und Baumstämmen. Die Waldwege sind von den schweren Gefährten matschig und zerfurcht. So manch einem Waldgänger bleibt bei diesem Anblick nicht viel übrig als Kopfschütteln. Laien erschliesst sich nicht sofort, weshalb vor allem auch gesunde Bäume gefällt, ganze Waldstücke abgeholzt werden.

 

Wald ist nicht gleich Wald

Wichtig zu wissen ist: Nicht jedes Waldterrain erfüllt den gleichen Zweck. Deswegen sind auch für Holzschläge, Pflege und Bewirtschaftung die Leitlinien unterschiedlich. Mehr als die Hälfte des Waldes im Kanton Bern ist Schutzwald, der grösste Teil davon entfällt auf die Bergregionen. Er schützt beispielsweise Bauten vor Erdrutschen und Lawinen oder das Gelände vor Erosion. Der Anteil an Reservaten ist im niedrigen einstelligen Prozentbereich, soll aber nach den Zielen des Bundes bis 2030 zehn Prozent des Waldes ausmachen. Etwas weniger als die Hälfte der Berner Wälder sind im Privateigentum und werden mehr oder weniger intensiv bewirtschaftet.

Der kantonale Staatsforstbetrieb, der zuständig ist für die Pflege und Bewirtschaftung des kantonseigenen Waldes, stand dieses Jahr wiederholt in der Kritik für seine radikale Vorgehensweise bei der Waldpflege, beispielsweise in Schüpfen (das BT berichtete vergangenen August). Auf der Informationsseite begründet das kantonale Amt für Wald und Naturgefahren diese Kahlschläge unter anderem damit, dass es wegen der Klimaerwärmung nötig sei, Platz zu schaffen für neue, resistentere und lichtliebende Baumarten wie Eiche, Linde oder Ahorn. Durch den vermehrten Lichteinfall könne auch die Artenvielfalt begünstigt werden.

 

Was dem Wald zusetzt

Trockene Jahre fordern vom Wald ihren Tribut. So sind gerade in den letzten Jahren jeweils viele Buchen abgestorben. Da Buchenholz sich sehr schnell zersetzt, müssen abgestorbene Bäume rasch abgeholzt werden, damit sie nicht zu einem Sicherheitsrisiko werden. Auch nach Sturmschäden oder Befall mit Parasiten und Krankheiten wird in einem Produktionswald der Wald meist innert kurzer Zeit aufgeräumt, betroffene Pflanzen geschlagen, lose Äste abgesägt. In einem Naturwald hingegen wird Totholz liegengelassen, um die Biodiversität zu fördern.

Doch es sind nicht nur das Klima und Naturereignisse, die den Wäldern zusetzen. Gerade im Mittelland leidet der Boden unter den Emissionen aus der Landwirtschaft, Zivilisation und Industrie. Stickstoff und Ammoniak aus der Luft lagern sich auch im Waldboden ab und übersäuern ihn, was aufgrund des geringeren Nährstoffgehalts zu einer Abnahme der Artenvielfalt führt, wie Pro Natura und der Nachhaltigkeitsbericht des Kantons erwähnen.

Auch Durchforstungen, also das Schlagen einiger Bäume in einer Gruppe von gleichaltrigen Bäumen, sind nach einer gewissen Zeit üblich. Die verbleibenden Bäume können durch den neu gewonnenen Raum gleichmässiger wachsen und ein stärkeres Wurzelwerk ausbilden, was der Stabilität des Waldes zuträglich ist.

Waldbesitzer, seien dies Private, Gemeinden, Burgergemeinden oder der Kanton, erstellen einen Wirtschaftsplan. Dieser stellt sicher, dass der Wald nachhaltig bewirtschaftet wird, das heisst, es wird nur so viel Holz geerntet, wie im gleichen Zeitraum wieder nachwächst. Von Jahr zu Jahr kann es aber Schwankungen geben. Zwingen Naturvorkommnisse zu einer zeitweiligen Übernutzung, etwa durch Sturmschäden, Käferbefall oder Trockenheit, so müsse diese durch Schonung während anderer Jahre aufgewogen werden, wie der Seeländer Forstunternehmer Martin Hämmerli erklärt.

Oftmals, zumindest wenn das Terrain es zulässt, kommen bei den winterlichen Abholzungen grosse, schwere Maschinen zum Einsatz. Diese bewegen sich im Wald auf einer klar deklarierten Spur, einer sogenannten Rücke-
gasse. Das Gewicht der massiven Fahrzeuge wird über die Raupen und ausgelegte Äste gleichmässig auf der Spur verteilt. Diese Schneisen sind ein notwendiges Übel, denn dank der Reichweite der Greifarme wird ein grosser Teil des Waldbodens geschont. Ein weiterer Vorteil ist die bessere Arbeitssicherheit für die Forstarbeiter.

Gerade die privaten Waldbesitzer holzen, wenn sie die schweren Arbeiten nicht in Auftrag an Forstunternehmen geben, heute immer noch auf konventionelle Art, mit dem Absägen der Bäume manuell mit der Motorsäge und Traktoren zum Abschleppen. Dass dies mehr Zeit beansprucht und somit höhere Kosten verursacht, ist klar. Wer lohnende Forstwirtschaft betreiben will, kommt bei den aktuell und seit längerer Zeit tiefen Preisen für einheimisches Holz unter Kostendruck. Es gibt zwar Subventionen von Bund und Kanton für die Forstwirtschaft, analog der Landwirtschaft, doch in einem viel kleineren Umfang. Die meisten dieser Gelder fliessen in den Schutzwald oder in ökologische Massnahmen. Der Anteil, der den Absatz des Rohstoffs Holz fördern soll, ist im Vergleich dazu gering. Im aktuellen Nachhaltigkeitsbericht geben zwei Drittel der befragten Waldbesitzer an, mit der Nutzung ihrer Wälder keinen Profit oder gar Verluste zu machen.

Für einen stabilen und artenreichen Wald solle die Baumartenverteilung möglichst naturnah, standortgerecht und ausgewogen sein, erläutert das Bundesamt für Umwelt (Bafu) auf Anfrage. Der Wald weist heute im Mittel einen höheren Anteil an Laubhölzern auf als noch vor zwanzig Jahren, dies entspricht nun eher dem natürlichen Verhältnis. Holz von Laubbäumen sei aber, wie das Bafu weiter ausführt, auf dem Markt weit weniger gefragt als Nadelbaumholz.

 

Wie robust ist der Wald?

Die Burgergemeinde Bern ist eine der grössten Waldbesitzerinnen, etwa 2 Prozent der Waldfläche im ganzen Kanton gehört ihr. Der Klimawandel, so schreibt es die Burgergemeinde Bern auf ihrer Website, zwinge die Waldbesitzer zu raschem Handeln. Innerhalb von 50 Jahren müssten heute 4000 Hektaren Wald verjüngt werden, früher hätte diese Arbeit in einem Zeitraum von 120 Jahren geleistet werden müssen. Die Baumbestände, die unter den veränderten Bedingungen schwächeln, müssten laut der Burgergemeinde Bern durch zukunftsfähige Baumsorten wie Douglasie, Eiche, Baumhasel oder Lärche ersetzt werden.

Pro Natura sieht die Aufforstung mit fremden Baumsorten mit Skepsis. Es hätte sich gezeigt, dass gerade Bäume aus Übersee wie der Götterbaum und die Robinie sich sehr gut vermehren und dabei einheimische Arten verdrängen. «Die Arten, die der Mensch heute pflanzt, sind in 50 Jahren vielleicht nicht mehr geeignet. Wir sollten unseren Kindern keine unbedachte Erbschaft hinterlassen», so Elena Strozzi, Expertin für Waldpolitik bei Pro Natura. Auch nach grösseren Schadensereignissen sei der Wald durchaus in der Lage, sich selber zu erholen.

Auch Bernhard Hadorn, Revierförster der Burgergemeinde Biel, erinnert daran, dass man im Wald sehr langfristig planen müsse, was ganz und gar nicht einfach sei. «Wenn ich heute eine Entscheidung treffe bei der Baumartenwahl oder einer Bepflanzung, so dauert es ganze zwei bis drei Förstergenerationen lang, bis diese sich als richtig oder falsch erweist», erklärt er. «Solche Massnahmen wurden zu jeder Zeit nach dem damaligen Wissenstand und bestem Gewissen getroffen, doch nicht immer bewähren sie sich auf lange Sicht», so Hadorn. «Angesichts der sich rasch ändernden klimatischen Bedingungen, muss der Wald sehr artenreich sein, damit sich das Risiko besser auf verschiedenen Baumarten verteilt.»

 

Dauerwald statt Aufforsten

Die Burgergemeinde Biel geht einen anderen Weg, sie setzt auf Naturverjüngung im Dauerwald, dies ist die naheliegendste Art, den Wald zu erhalten. Der Wald verjüngt sich natürlicherweise selber durch das Abwerfen der Samen, die stärksten Jungpflanzen setzen sich dann durch. Es entsteht ein Wald mit verschiedenen Altersstufen und Arten auf kleiner Fläche, was ihn wiederum als Lebensraum aufwertet. «Die Natur sucht immer den perfekten Ausgleich. Die Naturverjüngung zeigt mir, welche Arten an einem Standort gute Bedingungen vorfinden. Dazu brauche ich keine Studien, ich beobachte einfach, was über die Jahre passiert», meint Revierförster Hadorn.

Stichwörter: Holzschlag, Wald, Waldpflege, Baum, Holz

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