Sie sind hier

Abo

Kontext

Beten, arbeiten und Wein trinken

Wie das Kloster Engelberg zu einem Twanner Weinberg kam, warum es ihn veräusserte und wieso es ihn zurückgekauft hat.

Historischer Moment im Kloster Engelberg: Am 24. Juni 2018 übernimmt Kellermeister Pater Patrick die erste Lieferung Bielerseewein seit 1433, überbracht von der Ehrenwerten Trüelerzunft zu Twann. Bild: Keystone

Beat Kuhn

Kloster und Wein – das will nicht so recht zusammenpassen, insbesondere nicht bei einer Benediktinerabtei, wie die vor 900 Jahren gegründete in Engelberg eine ist. Schliesslich hat der Benediktinerorden den nüchternen lateinischen Leitsatz «Ora et labora», zu Deutsch «bete und arbeite». Gegründet hat den Orden Benedikt von Nursia, der um das Jahr 529 die Abtei Montecassino erbaute. 1944 wurde die 130 Kilometer südöstlich von Rom gelegene Anlage durch alliierte Luftangriffe vollständig zerstört, nach dem Krieg aber nach den historischen Bauplänen wiederaufgebaut.

Als Abt war Benedikt anfangs sehr streng – so streng, dass man sogar versuchte, ihn zu vergiften. Mit der Zeit wurde er aber offenbar pragmatischer. So schrieb er zwar, «dass der Wein überhaupt nicht für Mönche sei», wie in seinen Regeln nachzulesen ist. «Weil man aber die Mönche unserer Zeit nicht davon überzeugen kann, wollen wir uns wenigstens dazu verstehen, dass man nicht bis zur Sättigung trinke», sprich pro Tag maximal «eine Hemina Wein, die wir mit Rücksicht auf die Unzulänglichkeit schwacher Menschen gestatten». Eine Hemina entspricht einem halben Liter – allerdings wurde der Wein damals fast nur mit Wasser vermischt getrunken.

 

Klöster förderten Weinbau

Auch andere Mönchsgemeinschaften – neben den Benediktinern vor allem die Kartäuser und die Zisterzienser – waren gegenüber diesem Genussmittel offen. Und damit eigentlich auch nicht unchristlich, denn Jesus soll ja an einem Fest Wasser in Wein verwandelt haben, als nicht mehr genug davon da war, wie in der Bibel nachzulesen ist. Die Klöster haben sogar massgeblich zur Verbreitung des Rebbaus in Europa beigetragen, den die Römer in die von ihnen eroberten Gebiete mitbrachten. Den Rebensaft tranken sie nicht nur, um die Lebensgeister zu wecken, sondern brauchten ihn auch als Messwein in den Gottesdiensten und zur Verköstigung von Pilgern, die auf ihrer Wallfahrt bei ihnen einkehrten. Heute sind von Klöstern bewirtschaftete Weinberge eher selten – die Benediktinerabteien Engelberg im Kanton Obwalden und Einsiedeln im Kanton Schwyz sind da Ausnahmen.

Für den Bielersee ist der Rebbau seit dem neunten Jahrhundert nachgewiesen, und zwar durch ein päpstliches Schreiben aus dem Jahre 866. Die Rebgüter am Bielersee waren begehrt, auch bei den Dienern Gottes: Im Besitz von Rebparzellen waren unter anderem die nahen Klöster Frienisberg in Seedorf, Gottstatt in Orpund, St. Johannsen in Gals, Tedlingen in Radelfingen, Bargenbrügg, das die Keimzelle von Aarberg war, Bellelay, wo der Tête de Moine erfunden wurde, St-Imier und Moutier-Grandval. Aber auch weiter entfernte Klöster bauten dort Wein an, so Rüeggisberg im Gantrischgebiet oder Thorberg im Emmental, ja, sogar Einsiedeln und eben auch Engelberg.

 

Schenkung eines Priesters

Zu ersten Reben am Bielersee kam das Kloster Engelberg durch eine Schenkung: Ein gewisser Heinrich aus der nidwaldischen Adelsfamilie «von Buochs» liess sich zum Priester ausbilden und wurde schliesslich Mönch in Engelberg. Um das Jahr 1200 vermachte er seinen ganzen Besitz, zu dem auch ein grosses Rebgut bei Twann und ein Weinberg in Cressier gehörte, dem Kloster. Diese Gabe wurde dankbar angenommen, zumal im Engelbergertal, auf rund 1000 Metern über Meer, Reben nicht gedeihen können.

1235 kaufte das Kloster zwischen Twann und Tüscherz zwei weitere Rebberge hinzu, weil der Wein vom Bielersee ihnen offenbar mundete. Gemäss Kaufvertrag in lateinischer Sprache wurden sie einem «Ulricus de Ulfingen», also Ulrich von Orvin, abgekauft, «unter Zustimmung seiner Frau Diemut und seiner Söhne Ulrich junior und Berchtold» – Mitsprache wurde in jener Familie offenbar grossgeschrieben. Die Lokalisierung der beiden Güter lautet in dem Vertrag «in Windgrabs et in Rogget». Rogget heisst auch heute noch so, der Name Windgrabs hat sich seither aber deutlich verändert, von Wingreps (1302) über Wingremps (1352), Wingrebst (1427), Wingreps (1471), Wingris (1481), Wingreus (1511), Wingräüws (1565), Wyngreins (1615) und weitere Formen bis zu Wingreis, wie der Weiler zwischen Twann und Tüscherz heute heisst.

 

«Zu viel verdunstet»

Im Jahre 1433 veräusserte das Kloster das Weingut am Bielersee, weil wegen der grossen Entfernung die Aufsicht über die Bewirtschaftung schwierig war, und auch, «weil auf dem langen Weg zu viel Wein verdunstete», sprich getrunken wurde, so Daniel Amstutz, Geschäftsführer des Klosters. Ersatzland wurde zunächst in Küsnacht am Zürichsee gefunden, das aber auch noch recht weit weg war, danach in Küssnacht am Vierwaldstättersee. 1744 musste man sich dann aber auch von dieser Lage trennen, weil für den Wiederaufbau der 1729 vollständig abgebrannten Klosteranlage viel Geld benötigt wurde.

Das Weingut bei Wingreis behielt indes weiterhin den Namen Engelberg. Im 16. Jahrhundert gehörte es unter anderem dem ersten Landvogt auf Schloss Chillon am Genfersee, später wechselten sich verschiedene bernische Patriziergeschlechter als Besitzer ab. Im 19. Jahrhundert war es auch einmal Eigentum der bekannten Familie von Graffenried. 1901 ging es an die Familie Engel in Twann, 1928 an Arnold Hirt.

 

Schiffsstation und Restaurant

In der Region ist der Name Engelberg allerdings nicht primär wegen des Weingutes präsent, sondern wegen der Schiffsstation Engelberg/
Wingreis und dem Restaurant Engelberg, das sich beim Weiler Wingreis befindet, direkt unterhalb des Rebberges. Was heute zu sehen ist, ist indes nur noch ein Nebentrakt der ursprünglichen Anlage. Deren Hauptgebäude war ein stattliches Gebäude im Heimatstil gewesen, das unter der Bezeichnung «Strand-Hotel Engelberg» geführt worden war.

In den 70er-Jahren musste das Haupthaus dem Ausbau der Bahngleise auf Doppelspur und jenem der Strasse auf eine Autostrasse weichen. Mit dem Aushub des Strassenbaus ist übrigens die grosse Spiel- und Liegewiese mit der Feuerstelle aufgeschüttet, wo sich heute an schönen Tagen zahlreiche Ausflüglerinnen und Ausflügler tummeln.

 

Nach 584 Jahren zurückgekauft

Einen Weinkeller hatte das Kloster Engelberg zwar auch ohne eigenen Rebberg immer, aber die edlen Tropfen, die dort lagerten, waren eingekauft. Der Kellermeister, Pater Patrick, wusste natürlich um den einstigen Landbesitz am Bielersee und bemühte sich jahrelang intensiv darum, diesen zurückzukaufen, nicht zuletzt im Hinblick auf das 900-Jahr-Jubiläum: «Das war eine Herzensangelegenheit von mir.» Möglich wurde der Kauf dann 2017, als der damalige Besitzer Hans-Rudolf Hirt keine Möglichkeit zur Nachfolge sah.

Nach 584 Jahren war das Kloster damit wieder im Besitz des Weingutes, das seit Jahrhunderten seinen Namen trägt. Laut Daniel Amstutz ist der Rückkauf übrigens nicht zuletzt dank der tatkräftigen Unterstützung von Fredy Miller gelungen. Denn bevor dieser Direktor der Aare Seeland mobil AG geworden sei, sei er Kurdirektor von Engelberg gewesen. «Er hat uns mit seinen Kontakten und seinem regionalen Wissen geholfen – und tut dies weiterhin», lobt ihn der Geschäftsführer des Klosters.

 

Schon drei Jahrgänge

Insgesamt drei Hektaren umfasst das Weingut Engelberg. Zwei Hektaren sind langfristig an den Ligerzer Beat Burkhardt verpachtet – einen Drittel bewirtschaftet dieser im Auftrag des Klosters. «Er ist unser Gesicht vor Ort», so Amstutz. Der mehrfach ausgezeichnete Winzer, der in achter Generation das Weingut Bielerhaus betreibt, hat den Auftrag, aus den einheimischen Sorten Chasselas und Pinot Noir alljährlich 7000 bis 8000 Flaschen Wein von hoher Qualität zu produzieren. Für Amstutz ist das Weingut auch «ein Mittel, uns in der Region Biel bekannter zu machen, und umgekehrt Biel in der Region Zentralschweiz».

Am 24. Juni 2018 war es soweit: Erstmals seit 1433 wurde das Kloster wieder mit Twanner vom Weingut Engelberg beliefert. In festlichem Rahmen überbrachte die Ehrenwerte Trüelerzunft zu Twann, die alljährlich das Winzerfest Trüelete unterstützt, symbolisch eine Flasche mit drei Litern Weisswein. Mittlerweile gibt es bereits drei Jahrgänge: den 2017er, den 2018er und den 2019er.

 

Chasselas in Swiss-First-Class

Und die Qualität stimmt offenbar: Der Chasselas 2018 wird sogar in der First Class der Swiss ausgeschenkt. Besonders sinnig ist es dann, sich diesen im ersten Airbus 320 neo der Fluggesellschaft kredenzen zu lassen, der aus Anlass des Jubiläums auf den Namen «Engelberg» getauft worden ist. Wie die Flugzeugtaufe war auch die Vernissage für die Sonderbriefmarke der Post vor dem Lockdown terminiert, konnte also noch stattfinden.

Den Wein trinken die Mönche einerseits selber, anderseits schenken sie ihn Gästen des Hauses aus. Das sind heute nicht mehr Pilger, sondern Seminarteilnehmer oder Ruhesuchende, die etwas Abstand vom Stress des heutigen Lebens gewinnen wollen. «Die Benediktiner sind eben sehr gastfreundlich», so Amstutz.

Auch der Tourismus und die Hotellerie von Engelberg sind an dem Weisswein mit der Aufschrift «Kloster Engelberg» auf der Etikette interessiert. Und schliesslich ist dieser auch am Bielersee erhältlich. Im Kloster weiss man den Mehrwert zu schätzen, denn der Wein ihm bringt. Entsprechend sagt dessen Geschäftsführer: «Biel und die Bielerseeregion liegen uns sehr am Herzen.»

Nachrichten zu Seeland »