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Fussballfieber

Bieler Geschäfte profitieren von der WM

Die Gewerbetreibenden in Biel haben sich für die Vermarktung der WM einiges einfallen lassen, wie ein Bummel durch die Stadt zeigt. Besonders die Süssigkeiten machen selbst einem Fussballmuffel Appetit. Bei Umfrage unter Sportgeschäften in der Region stellt sich heraus: Der Verkauf von Fussball-Fanartikeln ist gut angelaufen. Bei Ochsner Sport sind Spielertrikots mit dem Namen Zuber seit dem Brasilien-Spiel besonders beliebt.

Trikots sind der Verkaufsschlager: Der Bieler Jonas Nowka (rechts) kann sich nicht entscheiden, ob er ein Trikot der Schweizer Nati kaufen soll. Oder doch jenes der Brasilianer, der Deutschen oder der Portugiesen? Bild: psj
  • Dossier

von Daniela Deck

Die Fussball-WM beschert den Sportgeschäften klingelnde Kassen. Bei den befragten Fachhändlern, Ochsner Sport Biel, Dosenbach Sport Bözingen, Sportxx Centre Brügg, Heiniger Sport Lyss und Wirth Sport Grenchen, sind die Trikots der Schweizer Nati der grosse Verkaufsschlager. «Am liebsten kaufen die Fans, grosse wie auch kleine, die Trikots ihrer Mannschaft blank und lassen sie bei uns im Geschäft mit Nummer und Spielernamen ihrer Wahl bedrucken», sagt Philipp Röhrich von Wirth Sport in Grenchen. Von den gängigen Spieleridolen habe man die Vorlage im Haus. Nach einer halben Stunde könne der Kunde das Leibchen holen, bei weniger bekannten Spielern am nächsten Tag. «Dieser Druckservice wird immer mehr zum Renner», freut sich Röhrich.
Auch Ochsner Sport in Biel bedruckt Spielerleibchen nach Wunsch. Seit dem Spiel am Sonntag sei der Name Zuber unter den top drei, heisst es bei der Marketingabteilung des Konzerns. Steven Zuber schoss mit einem Kopfball in der 50. Minute den Ausgleich gegen Brasilien zum 1 : 1. Dies hat auch beim Bieler Jonas Nowka das WM-Fieber entfacht, obwohl er eigentlich kein ausgesprochener Fussball-Fan ist, wie er sagt. Nun schaut er sich bei Ochsner Sport nach einem Trikot um. Ob der reichen Auswahl kommt er dann doch ins Zaudern, kann sich letztlich nicht zum Kauf entscheiden und sagt, er wolle noch die nächsten Spiele abwarten.

Die grosse Überraschung war dieses Jahr Nigeria. Die Fanartikel dieser Mannschaft sind bei den Geschäften ausverkauft und haben teilweise Kickernationen wie England, Portugal und Brasilien geschlagen, so die Verantwortlichen der Geschäfte. Ein Phänomen, das die Händler auf das Video des nigerianischen Rappers Falz zurückführen, das in den Sozialen Medien zum Hit geworden ist.

Auch die WM-Bälle gehen reichlich über den Ladentisch und in etwas geringerem Ausmass die weissen WM-Nike-Schuhe und die Fahnen. Sportxx macht auch mit Kinderartikeln gute Geschäfte: Im Angebot hat es ein Bébé-Set aus Shirt und Hose sowie mit Minibällen.


Italien und Kroatien
Bei den vorgedruckten Leibchen füllen neben Evergreens wie Portugals Superkicker Cristiano Ronaldo auch der Franzose Antoine Griezmann und Mohamed Salah aus Ägypten bei Ochsner Sport die Kassen. Unterschiedliche Erfahrungen machen die Händler mit Italien, das ja in der Vorausscheidung hängen geblieben ist. Bei Heiniger Sport in Lyss sind die Fanartikel dieser Mannschaft Ladenhüter, in den Sportxx-Filialen dagegen sind sie bei den Kunden gefragt.

Eine lokale Besonderheit lässt sich in Grenchen mit Kroatien feststellen. Bei Wirth Sport hat die Nachfrage nach Artikeln dieser Mannschaft einen «Riesenhype» ausgelöst. Die Verkäufer nehmen an, dass das Interesse mit den ersten Spielen noch zunehmen wird. Erfahrungsgemäss liessen sich dann auch Frauen und Mädchen, die sich bisher zurückhaltend gezeigt haben, von der Feststimmung anstecken.


WM-Torten, Fussbälle, und mehr
Die WM hat manche Gewerbetreibenden zu fantasievollen Marketingaktionen inspiriert (siehe auch Interview rechts). Ein Bummel durch Biel zeigt: Die Innenstadt hat zur WM mehr zu bieten als lizenzierte Fanartikel, Grossleinwände und Bier. Besonders die Süssigkeiten machen selbst einem Fussballmuffel Appetit auf das Fest. Allein die Bäckerei Burkhard ist eine Studie wert: WM-Muffins und Schokolade-Fussbälle verführen unterschiedliche Geschmacksrichtungen. Doch das Prunkstück ist die hausgemachte WM-Torte, komplett mit Spielern und Toren. «Besonders die Kinder lassen sich von unserer Vitrine begeistern. Wenn sie dann die Torte sehen, strahlen sie richtiggehend», freut sich Verkäuferin Tamara Pippi. Es bleibt nicht beim Gluscht, auch die Kasse stimmt, wie sie versichert.

Auch bei der Confiserie Progin läuft es rund. Stolz präsentiert Verkäuferin Monika Jolimay die Fussballschuhe aus zweifarbiger Schokolade, natürlich eine Eigenkreation. Eine Ecke des Geschäfts ist der Schweizer Nationalmannschaft gewidmet, patriotisch ausgestaltet mit Holzkühen und bärtigen Sennen. Der Auftakt ins WM-Geschäft sei gelungen, sagt Jolimay und wünscht den Schweizer Kickern viel Erfolg.


Fussbälle und Spazierstöcke
Fussballbegeisterung manifestiert sich gerade dort, wo man sie nicht vermuten würde. So setzt die Apotheke 55 im Schaufenster auf einen überraschenden Kontrast: Fussbälle und Gehstöcke. «Die Spazierstöcke sind unser Nischenprodukt», sagt Verkäuferin Anna Cornelia Jenatsch, die hinter der Ladentheke steht. Aus Holz, Metall und Kunststoff, sind die Stöcke gefertigt und von Kunden in der ganzen Schweiz gefragt. Manche lassen sich sogar falten. «Hanspeter Zingg, der Inhaber, importiert die Spazierstöcke direkt aus England», erklärt Anna Cornelia Jenatsch. Daraus sei eine Liebhaberszene entstanden. Eine Szene, die «very british» und stilvoll dem Fussball zugetan ist.

Schöni Spielwaren, am Rand der Altstadt, zieht mit einem detailreich gestalteten Schaufenster in Rot-Weiss die Blicke auf sich. Ein mächtiger Teddy mit Cap und Fanschal macht den Schweizer Jungs Dampf. «Ich habe den Plausch am Fussball, und meine Chefin war mit der Deko einverstanden», sagt Verkäuferin Rita Sieber lachend.


Service im Fan-Shirt
Auch ohne Public Viewing auf Grossleinwand profitieren die Restaurantgäste vom Partyfeeling. Zwei Beispiele, zentral beim Bahnhof gelegen: Das Café Brésil serviert WM-Pizza und einen entsprechenden Flammkuchen. Bei der Pizzeria Seeland arbeitet das Personal im Fanleibchen.

Bei der Wahl der Nation haben die Angestellten freie Hand, sodass eine farbenprächtige Parade resultiert. Für jeden Schweizer Sieg in der Vorrunde spendiert das «Seeland» den Gästen am folgenden Mittag ein kleines WM-Dessert.

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Nichts gegen Fussball, aber ...

Wer dem ganzen Rummel um die WM nichts abgewinnen kann, findet in Biel und in der Umgebung fussballfreie Zonen. So hat zum Beispiel die Brasserie Rotonde an der Bahnhofstrasse heuer keine Übertragung geplant.

Einen Schritt weiter geht das Restaurant Stadthaus in Nidau. Mit einem Plakat am Eingang werden die Sportgeplagten in eine fussballfreie Oase eingeladen: «Nichts gegen Fussball… aber wir reservieren das Stadthaus als WM-freie Zone für alle, die dem Fussballfieber gerne etwas entfliehen wollen», steht darauf. «Wir versuchen, eher einen Gegentrend zum ganzen Trubel zu schaffen», so Geschäftsführer Urs Cieli dazu auf Anfrage. Auch das «Perroquet Vert» an der Zentralstrasse in Biel ist WM-freies Gebiet. Seit Jahren mache man mit dieser Politik gute Erfahrungen, sagt Geschäftsführer Patrik Mürner: «In diesen Wochen geniesst vor allem die weibliche Kundschaft bei uns ein ruhiges und gepflegtes Essen im Kontrast zur Festhütte draussen.»

Die WM hat anscheinend doch noch nicht die Qualität eines Strassenfegers erreicht. Es gibt noch ein Leben neben Grossleinwänden und dem Fernseher zuhause: «Wir haben das Haus voll und die Leute versichern uns, wie sehr sie das ‘Perroquet Vert’ als Oase schätzen», sagt Patrik Mürner. dde/bjg

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Marketing

«Unternehmen befürchten einen Reputationsverlust»

Die WM ist ein Milliardengeschäft. Die Expertin Bettina Nyffenegger erklärt, wie Werbung mit der WM funktioniert.

Bettina Nyffenegger ist Dozentin für digitales Marketing an der Universität Bern. Die gebürtige Bielerin unterrichtet Vorlesungen und Seminare zu verschiedenen Themen des Marketings.

Bettina Nyffenegger, wie macht man für einen  Anlass wie eine Fussball-WM richtig Werbung?
Bettina Nyffenegger: Wenn man die WM für sein eigenes Marketing nutzen will, gibt es ein paar Spielregeln zu beachten – insbesondere die der Fifa mit ihrem umfassenden Medien- und Marketingreglement. Die Fifa hält die Markenrechte an der WM und das offizielle Logo, der Pokal, der Slogan oder das Maskottchen und verschiedene Wortmarken dürfen nur von offiziellen Sponsoren genutzt werden.


Was bleibt dann noch?
Rund um das Thema Fussball gibt es viele Begriffe, Bilder und Gegenstände, mit denen man trotzdem Assoziationen zur WM erzeugen kann, ohne die Rechte der Fifa oder offizieller Sponsoren zu verletzen. Verwandte Bezeichnungen und Bilder wie Russland, Fussbälle oder die Schweizer Flagge, dürfen von allen verwendet werden. Man kann auch die Farben Rot und Weiss in der Kommunikation verwenden und so die Verbundenheit zur Schweizer Nationalmannschaft zeigen.


Wie funktioniert solche Werbung?
Gemeinsames Mitfiebern, Anteilnahme, Freude – da sind ganz viele Emotionen, die verbinden. Für das Austragungsland ist die WM eine Chance, sich der Welt in einem positiven Licht zu präsentieren. Sponsoren nutzen das Grossereignis, um ihre Bekanntheit zu erhöhen und das eigene Image zu stärken, beziehungsweise positive Emotionen auf die eigene Marke zu übertragen. Diese Erfolgsauswirkungen wurden in verschiedensten Studien dokumentiert.


Und Unternehmen, die nicht zu den Sponsoren gehören?
Wenn man als Nicht-Sponsor in seinen Marketingaktivitäten einen Bezug zur WM herstellt, funktioniert das ähnlich. Auch hier greift das Prinzip der emotionalen Konditionierung. Man versucht dabei den Markennamen oder ein Produkt mit einem positiven Gefühl zu verbinden, dadurch das Image positiv zu beeinflussen und die Kaufwahrscheinlichkeit zu erhöhen. Gleichzeitig zur Marke zeigt man also einen emotionalen Reiz – in diesem Fall Themen, die mit der Fussball- WM zu tun haben –, mit dem Ziel, dass der Konsument bei der Wahrnehmung der Marke dieselben positiven Emotionen verspürt, die er in Verbindung mit Fussball empfindet.


Was gilt es zu beachten?
Man sollte eine gewisse Balance wahren. Die Unternehmensleistung und die Inhalte der eigenen Marke dürfen nicht zu stark in den Hintergrund rücken. Das Thema Fussball muss in gewisser Weise auch zum Kern einer Marke passen, um das zentrale Markenversprechen stimmig transportieren zu können. Man sollte sich also die Frage stellen, was die eigene Marke mit dem Ereignis verbindet, wie relevant die WM für das eigene Angebot ist und sich nicht durch den WM-Hype zu unüberlegten Aktivitäten verleiten lassen. Es kann auch zielführend sein, gleichzeitig die weniger Fussball-Interessierten anzusprechen und beispielsweise auf humorvolle Art Alternativen zur WM zu thematisieren.


Bringen WM-Würstchen und Ähnliches überhaupt etwas?
Gerade bei solchen Low-Involvement- Produkten, das sind Artikel des täglichen Bedarfs, wo man sich nur passiv informiert und Kaufentscheidungen oft erst spontan am Ort des Kaufs trifft, kann ein Bezug zu etwas Aktuellem und Emotionalem wie der WM aktivierend wirken und zu einer impulsiven Kaufentscheidung führen. Man wird also passend zum Ereignis wohl eher die WM-Wurst kaufen, was zumindest kurzfristig einen positiven Effekt auf die Verkaufszahlen hat.


Profitieren alle gleichermassen vom Marketing mit der WM?
Grundsätzlich werden Unternehmen und Marken, die durch ihr Angebot und ihre Identität eine gewisse Nähe zu Fussball haben, stärker profitieren. Gerade für Sportartikelhersteller ist eine WM ein sehr wichtiges Ereignis mit einem grösseren Absatz an Fussballschuhen, Trikots und anderem. Bei der Masse an Unternehmen, welche die WM zum Inhalt ihres Marketings machen, muss man jedoch mit originellen Ideen hervorstechen, um wahrgenommen zu werden. Daher schätze ich den langfristigen Erfolg von Marketingaktivitäten zur WM für viele Unternehmen als eher gering ein. Es sei denn, man schafft es, neue Zielgruppen anzusprechen, die man sonst nicht erreicht hätte.


Welche Werbemittel kommen sonst noch zum Einsatz?
Infrage kommt die gesamte Marketing-Mix-Palette: Von Printanzeigen und TV-Spots mit inhaltlichem Bezug zur WM, zu entsprechenden Giveaways, Rabattaktionen oder Dekorationen der Schaufenster ist vieles denkbar. Beliebt sind auch Tippspiele und Wettbewerbe, welche die Möglichkeit bieten, Kunden direkt anzusprechen und Kundendaten zu sammeln.


Welche Rolle spielen die Sozialen Medien?
Gerade auf Social Media wie Facebook, Instagram und anderen, gibt es zahlreiche Ansätze, wie ein Bezug zur WM gemacht werden kann. Hier können Unternehmen direkt mit den Konsumenten in Kontakt treten. Zum Beispiel, indem man Kunden auffordert, Fotos vom eigenen Grillabend oder Public Viewing zu posten, kleine Umfragen startet oder ein Foto von den Mitarbeitenden postet, die im WM-Fieber sind. Das schafft Nähe zum Kunden. Authentisch, relevant und aktuell sein ist das Motto.


Wie hat sich das WM-Marketing im Lauf der Jahre verändert?
Es hat eine Kommerzialisierung und Professionalisierung stattgefunden. Die WM ist ein Milliardengeschäft. Zum Schutz der offiziellen Sponsoren geht die Fifa in den letzten 20 Jahren auch immer rigoroser gegen das sogenannte Ambush- Marketing vor, also Werbung von Unternehmen, welche die Fifa nicht autorisiert hat. Andererseits haben nach der WM 2014 wichtige Sponsoren wie Sony oder Emirates ihre Verträge nicht verlängert und Medienberichten zufolge sind für die WM in Russland längst nicht alle Sponsorenplätze vergeben. In den letzten Jahren scheint man also zurückhaltender geworden zu sein, was ein umfassendes WM-Engagement betrifft.


Warum?
Unternehmen befürchten einen Reputationsverlust aufgrund des angekratzten Images des Fussballverbandes und des Gastgeberlandes. Ich habe den Eindruck, dass bei der aktuellen WM die Unternehmen in der Schweiz weniger früh und intensiv mit der Schaltung von Werbung begonnen haben als in früheren Jahren. Das kann sich jetzt beim Startschuss zur WM natürlich noch ändern. Je nach Verlauf werden sicher auch Unternehmen kurzfristig noch ins WM-Marketing einsteigen.


Kann man eine WM-Marketingkampagne bis zum Ende der Spiele durchziehen?
Bei einem solchen Grossevent muss man mit unerwarteten Ereignissen in sportlicher, aber auch politischer oder sonstiger Hinsicht rechnen. Was dem Marketing eine gewisse Flexibilität abverlangt, um die Kampagne den Ereignissen anzupassen. Dem kommt zugute, dass sich auch die Kommunikationskanäle für das WM Marketing verändert haben. Vieles wird sich auf Social Media abspielen, wo man quasi in Echtzeit reagieren kann.
Interview: Brigitte Jeckelmann


 

Stichwörter: Fussball, WM, Marketing

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