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Twann

«Bundesrat? Man soll nie nie sagen»

Der neue Regierungspräsident Christoph Neuhaus über seine Seeländer Wurzeln in Arch, seine Rebparzelle ob Twann sowie seinen beruflichen und privaten Alltag. Er hätte die besten Voraussetzungen dafür, nächster SVP-Bundesrat zu werden.

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Beat Kuhn

Christoph Neuhaus, Sie haben das BT schon 2014, als Sie das erste Mal Regierungspräsident waren, in Ihre Rebparzelle ob Twann eingeladen. Sie hatten dann aber nie Zeit, bis jetzt, wo Sie es zum zweiten Mal sind und Ferien haben.
Christoph Neuhaus: Ich spreche lieber von «regierungsfreier Zeit», denn auch in den Ferien habe ich Berufliches zu erledigen – nicht nur dieses Interview. Die Rebparzelle als Ort für das Gespräch vorgeschlagen habe ich, weil sie für mich als gebürtigen Seeländer eine Verbindung zu meiner altenHeimat darstellt.

 

Wie sind Sie denn zu dieser gekommen?
Man hat hier vor Jahren eine Güterzusammenlegung gemacht, und da blieb ein Spickel Land übrig. Diesen sollte nach dem Willen der Winzer hier jeder SVP-Regierungsrat bekommen, der zuvor kantonaler Parteisekretär war – und seit den 60er-Jahren war das jeder Zweite. Peter Schmid aus Rüti, der ältere Bruder von alt Bundesrat Samuel Schmid, war der erste Besitzer, der heutige Ständerat Werner Luginbühl, der 2007 zurücktreten musste, weil er Ständerat geworden war, der zweite. Und seit 2008, als ich sein Nachfolger wurde, gehört er mir.

 

Wie viel machen Sie hier – Hand aufs Herz?
Nicht wirklich viel. Ich sage immer, ich bin der Önologe, aber der Winzer ist Bernhard Gürlet, der hier Weinbau betreibt. Wenn ich selbst die Reben pflegen würde, würde man mit ein bisschen Salz und etwas Senf eine recht gute Sauce hinkriegen – aber mehr nicht (lacht). Als Gegenleistung muss der jeweilige Besitzer alljährlich ein vorösterliches Essen mit Eierfärben für die an der Güterzusammenlegung beteiligten Landbesitzer ausrichten.

 

Wie viel Wein werfen Ihre 140 Quadratmeter ab?
Vom 2017er, der ein Spitzenjahrgang ist, gibt es 320 Flaschen. Ich nenne meinen Wein «Dubonna», das ist der keltische Name von Twann. Die meisten Flaschen verschenke ich, und die Leute haben Freude daran, weil es mal etwas Anderes ist als traditionelle Gaben wie «Züpfebrettchen» oder Wappenscheiben.

 

Viele dürften gar nicht wissen, dass Sie ursprünglich aus Arch stammen.
Ja, ich bin als Bauernbub dort aufgewachsen. Meine Politkarriere habe ich in der damals noch existierenden Kiesgrubenkommission Arch begonnen.

 

Sie waren auch freier BT-Mitarbeiter und sollen sich mal mit dem Archer Gemeindepräsidenten angelegt haben.
Das stimmt. In einem Artikel habe ich geschrieben, dass bei der Administration der Wasserrechnungen durch eine Fusion mehrere Dörfer Geld einsparen könnten. Da wurde ich vom Gemeindepräsidenten vorgeladen, und der warf mir vor, ich hätte Insider-Wissen verwendet. Das war in den 80er-Jahren. Vor einigen Jahren gab es nun wirklich Fusionsbemühungen. Aber sie waren nicht von Erfolg gekrönt. Ich habe es also weder als BT-Ortskorrespondent noch als Regierungsrat geschafft, die Gemeinden zum Fusionieren zu bringen.

 

Solche Chuzpe ist atypisch für einen freien Mitarbeiter. Ist sie aber typisch für Sie? Sind Sie manchmal frech?
Ja. Frech bin ich zwischendurch noch heute ein bisschen, um die Leute zum Denken anzuregen. Als Regierungsrat habe ich allerdings grundsätzlich die Aufgabe, ausgleichend zu sein. Paradiesvögel gehören eher in den Grossen Rat. Etwas frech war auch meine erste Kandidatur für den Regierungsrat.

 

Ich bin ganz Ohr...
Nach dem Rücktritt von Werner Luginbühl wurden aus den regionalen SVP-Sektionen sechs Kandidaten für die Nachfolge vorgeschlagen. Die Parteileitung war indes mit keinem davon glücklich. Und mehrere andere Angefragte lehnten ab – bis auf mich, den Parteisekretär. Anfang Dezember 2007 gab ich meine  Zusage, und Mitte Dezember wurde von den sieben Kandidaten an der Nominationsversammlung ich auf den Schild gehoben, kurz vor Ablauf der Frist Ende Dezember. Das war vermutlich die kurzfristigste Regierungsratskandidatur aller Zeiten.

 

Warum haben Sie das Rennen als Kandidat gemacht, was glauben Sie?
Als Parteisekretär kannte ich viele Leute, zudem habe ich allen Parteidelegierten eine Karte geschickt. Heutzutage würde ich wohl Facebook und Instagram einsetzen.

 

Ich gehe davon aus, dass Sie ziemlich ehrgeizig sind.
Ja, ich glaube schon, sonst wäre ich heute nicht da, wo ich bin. Ich habe auch eine Sportart betrieben, wo es «e chli Biss» braucht, nämlich  Duathlon: 8,5 Kilometer rennen, 150 Kilometer Velo fahren und noch einmal 32 Kilometer rennen. Als ich 1999 letztmals an der WM teilnahm, hatte ich einen Pedalbruch und kam als einer der Letzten ins Ziel.

 

Wann sind Sie aus dem Seeland weg?
1991, mit 25 Jahren, bin ich von zuhause weg und zunächst nach Bern gezogen. 2004 wollte ich raus aus der Stadt, aber in ein grosses, nicht ein kleines Dorf, wo man alle gernhaben muss. Schliesslich habe ich mich für Belp entschieden, weil es nahe bei Bern, aber trotzdem genug weit davon weg ist. Zudem ist es super mit dem ÖV erschlossen, nahe an der Aare, und man ist schnell im Oberland. Damals gab es dort auch weniger Nebel als im Seeland. Inzwischen schicken die Seeländer den Nebel allerdings nach Bern und weiter hinauf.

 

Was waren die Gründe für Ihren Weggang?
Sowohl für den kantonalen Parteisekretär, der ich damals war, als auch für einen Regierungsrat  ist es günstig, zentral zu wohnen, weil man viel im Kanton unterwegs ist. Obwohl ein Zugezogener, wurde ich in Belp sogar Gemeinderat –ansonsten wäre ich wahrscheinlich nicht Regierungsrat geworden.

 

In Belp leben Sie in einem Bauernhaus mit Tieren.
Ja, wir haben ein Dutzend Schafe sowie Gänse, Hühner, Kaninchen und einen Hund. Meine Frau hat zudem ein Pferd, aber das ist auswärts eingestellt.

 

Tun Sie dort mehr als im Weinberg?
Definitiv. Den Schafen schneide ich die Klauen selbst, zusammen mit meiner Frau entwurme ich sie, und auch die Ohrenmarken setzen wir selbst. Nur das Scheren besorgen wir nicht selber, denn ich habe etwa 20 Minuten für ein Schaf, während das ein Profi in drei, vier Minuten erledigt. Und die Schafe sollen ja nicht zu lange leiden. Zudem mache ich regelmässig die Runde, verteile den Tieren Futter und schaue, dass der Fuchs sie nicht holt – also der vierbeinige (nicht sein illustrer Parteikollege Thomas Fuchs – Anm. d. Red.).

 

Sie sind ein Politiker zum Anfassen und beliebt: 2014 wurden Sie am zweitbesten, 2018 am drittbesten wiedergewählt. Gibt es auch Leute, die Ihre Sprüche nicht mögen?
Ja, ich bin auch schon auf die Nase gefallen, dann entschuldige ich mich. Ich muss aufpassen, wo ich was sage. Und die Chauvinisten-Sprüche habe ich mir sowieso abgewöhnt. Ich muss mir immer bewusst sein, welche Rolle ich als Mitglied der Kantonsregierung habe. Auf der anderen Seite bin ich auch Mensch. Ich finde es jedenfalls wichtig, dass Regierungsräte nicht mit Bodyguard und Helikopter unterwegs sind, sondern Kontakt zur Bürgerin und zum Bürger haben.

 

Sie sind auch auf Facebook aktiv, posten viel Privates.
Facebook nutze ich primär für Herz und Gemüt. Mein Sohn kommt dort vor, meine Frau nicht, weil sie das nicht will. (Am Abend nach dem Interview postete der Hobby-Bauer zum Beispiel: «Nächtliches Schaf-Einfangen gerade beendet». Dazu gab es nicht weniger als 19 Kommentare und 93 Likes oder andere Emojis.)

 

Wird es Ihnen auch mal zu bunt beim Kontakt mit dem Volk?
Die Berner sind grundsätzlich dezent. Ich erlebe es immer wieder, dass ich irgendwo hinkomme und die Leute kaum Notiz von mir zu nehmen scheinen. Wenn ich dann aber gehe, sagen sie: «Auf Wiedersehen, Herr Neuhaus.» Nur selten verlangt von mir jemand mehr als das, was ein Regierungsrat ausrichten kann – etwa ein Bundesgerichtsurteil umzudrehen.

 

Werden Sie auch aggressiv angegangen?
Nur einmal: Im Nachgang zur Ausschaffungsinitiative hat mir mal ein Mann ins Gesicht gespuckt, vor den Augen seines kleinen Kindes.

 

Und wie haben Sie darauf reagiert?
Ich habe mir kurz überlegt, ob ich ihm eine knallen soll, es dann aber sein lassen. Später einmal bin ich ihm zufällig wieder begegnet und habe ihn auf den Vorfall angesprochen, an den er sich angeblich nicht mehr erinnerte. Ich sagte ihm, sein Sohn werde hoffentlich ein anständigerer Mensch als er, und gab ihm die Hand. Damit war die Sache für mich erledigt.

 

Haben Sie auch bei Amtskollegen schon Anstoss erregt?
Bernhard Pulver (Grüne) war mal «not amused» über eine öffentliche Äusserung von mir. Das haben wir in einem Gespräch bereinigt. Ich darf meine Meinung aber schon äussern – solange kein Beschluss der Regierung vorliegt. Ich habe eigentlich nur zwei Verpflichtungen: Ich muss am Mittwochmorgen an der Regierungsratssitzung teilnehmen und darf nach Beschlüssen nur noch diese nach aussen vertreten.

 

Sie dürfen nicht offenlegen, wenn Sie selbst anderer Meinung sind?
Nein. Inzwischen kann ich das in solchen Fällen kaschieren, früher hat man es mir wohl angemerkt, weil ich dann rumdruckste oder sagte: «Derrr Regierungsrat hat Folgendes beschlossen...»

 

Punkto persönlichem Umgang erhalten Sie Bestnoten, selbst von politischen Gegnern. Sind Sie einfach ein jovialer Typ, oder ist auch Kalkül dabei?
Ich mag die Menschen, das kann man nicht spielen. Und behandle andere einfach so, wie ich selbst behandelt werden möchte. Als Regierungsrat komme ich zwar nicht darum herum, auch mal Unangenehmes direkt anzusprechen. Aber wenn man erst einmal verbrannte Erde hat, ist diese auf Jahrzehnte hinaus verbrannt. Und das ist es nicht wert.

 

Stimmt es, dass Sie zunächst Theologie studieren wollten?
Ja, ich wollte ursprünglich Pfarrer werden. Aber als ich 1985, mit 19 Jahren, in die Politik kam, habe ich gemerkt, dass die Kantonsverfassung den Pfarrern verbietet, zu politisieren. So habe ich stattdessen Wirtschaft studiert – denn getrunken wird ja immer (lacht). Pfarrer wäre ein spannender Job gewesen, aber es ist schon gut, dass ich es nicht geworden bin, denn ich bin wohl zu weltlich. Immerhin bin ich ja dann kantonaler  Kirchendirektor geworden.

 

Sie sind erst mit 48 Jahren und als vielbeschäftigter Mann Vater geworden. Wie oft sehen Sie Ihren inzwischen vierjährigen Sohn Ethan Pius?
Ich schaue, dass ich mindestens einmal die Woche schon um 16, 17 Uhr nach Hause komme. Und da er einen grösseren Schlafbedarf als ich hat, kann ich, nachdem er eingeschlafen ist, noch zuhause arbeiten, zum Beispiel Unterlagen lesen.

 

Wie lange dauern Ihre Arbeitstage?
Das ist unterschiedlich. Es kann sein, dass ich am Morgen um 5.30 Uhr aus dem Haus gehe und erst um Mitternacht heimkomme, dreimal hintereinander einen 15-Stunden-Tag habe. Dann schaue ich, dass ich zwei Tage nur 7 Stunden arbeite. So kommen etwa 60 Stunden Präsenz pro Woche zusammen – Apéros sind bei mir auch Arbeit.

 

Ihr Parteikollege Ueli Maurer ist seit 2009 Bundesrat, von den beiden seit 2010 amtierenden Bernern hat Johann Schneider-Ammann (FDP) den Rücktritt für Ende 2019 angekündigt, und bei Simonetta Sommaruga (SP) ist er absehbar. Sie sind 52, haben Regierungserfahrung und sind populär. Beste Voraussetzungen, Bundesrat zu werden. Ist das für Sie ein Thema?
Nein. Ich gehe sogar davon aus, dass wir nicht schon wieder einen Berner im Bundesrat haben werden. Und dass jemand aus der Bundeshausfraktion genommen wird. Dort gibt es auch mögliche Kandidaten. Ein Regierungsrat hat überdies noch eine Ellbogen- und Zeit-Freiheit, die einBundesrat nicht mehr hat.

 

Würde das Bundesratsamt Sie aber reizen?
Solange mein Sohn solche Freude an mir hat und so klein ist, nicht. Mir geht es gut mit meinem Weinberg und meinen Schafen. Aber man soll nie nie sagen: Sollte eine Anfrage kommen, müsste man das anschauen. Vielleicht in zehn Jahren – aber dann bin ich wohl zu alt.

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