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Kafipause

Danke, ihr Deppen

Im persönlichen Blog berichten Parzival Meister, stellvertretender Chefredaktor und Redaktionsleiter und BT-Chefredaktor Bernhard Rentsch abwechslungsweise wöchentlich über Erlebnisse im privaten wie im beruflichen und gesellschaftlichen Leben – meistens mit einem Augenzwinkern.

Parzival Meister, Redaktionsleiter und stv. Chefredaktor
  • Dossier

Sie kennen ja bestimmt Netflix. Oder andere sogenannte Streaming-Anbieter. Selbst wenn Sie dieses neumodische Fernsehen einfach nur doof finden, müssen Sie jetzt nicht aufhören zu lesen. Es geht nämlich um eine total krasse, mega revolutionäre Neuentwicklung, die uns einen total spannenden Einblick in die menschliche Psyche ermöglicht.

Gut, fangen wir ganz vorne an: Was sind Streaming-Dienste eigentlich? 
Netflix und Co. ermöglichen es uns, aus einer riesigen Bibliothek selber auswählen zu können, was wann über den Bildschirm flimmern soll. Also mega toll eigentlich und so ganz anders als das 
traditionelle Fernsehen, bei dem der Sender vorgibt, was gerade läuft. Und jetzt, die mega krasse Neuentwicklung von Netflix: ein Kanal mit linearen Inhalten. Lineare Inhalte? Im Grunde bedeutet das nichts anderes, als dass Netflix einen Kanal lanciert, auf dem nach und nach verschiedene Sendungen, Serienfolgen und Filme abgespielt werden, ohne dass der Nutzer darauf Einfluss nehmen kann. Ergo: Der Streaming-Anbieter, der einst mit dem Anspruch in den Markt stieg, das traditionelle Fernsehen zu revolutionieren, macht nun also ganz traditionelles Fernsehen.

Klingt stupid, oder? Ich muss dennoch gestehen: Ich würde das Angebot nutzen. Was sagt das über mich aus? In erster Linie, dass ich faul bin. In gewissen Momenten jedenfalls. Wenn ich es mir auf dem Sofa bequem mache und Netflix starte, ist in der Regel Abend. Hinter mir die Arbeit, das Kochen, der Haushalt. Vor mir: Entspannung. Das Einzige, was nun noch zwischen einem anstrengenden Arbeitstag und einem entspannten Abend steht, ist die Auswahl des richtigen Films.

Nun, ich habe Netflix, Disney Plus und seit neustem auch noch Play Suisse. Das bedeutet, ich habe nun die Aufgabe, aus einer Bibliothek mit zwanzigmilliarden-sechshundertmillionendreihunderteinundzwanzigtausend Titeln das Richtige auszuwählen. Und dann muss es nicht nur mir, sondern auch noch meiner Partnerin gefallen. Wissen Sie eigentlich, wie viel Druck da auf einem lastet? Und wenn man es dann nach vielen emotionalen Hochs und Tiefs geschafft hat, sich für einen Titel zu entscheiden, heisst das noch lange nicht, dass der Inhalt dem entspricht, was Trailer, Besetzung und Filmbeschreibung versprochen haben. Dann heisst es Abbruch und das Ganze von vorne. Das ist ein Stresstest der übelsten Sorte. Und selbst wenn man den richtigen Film gefunden hat: Der dauert nicht einmal zwei Stunden. Ja sogar Serien sind irgendwann zu Ende. Und dann? Ja dann Stress ahoi.

Da lobe ich mir das traditionelle Fernsehen. Man schaltet durch, bleibt irgendwo hängen, Entspannung setzt ein. Die Ansprüche an das, was da vor einem läuft, sind tiefer, als wenn man das Programm selber bestimmen muss. Man trägt ja keine Schuld. Die tragen die Sender, die einem so einen Mist vorsetzen. Und deshalb danke, ihr Deppen, dass ich nicht immer der Idiot sein muss.

 

pmeister@bielertagblatt.ch

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