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100. Geburstag

Das Buch über sein Jahrhundert

Er sah den Fehler im Film «Gilberte de Courgenay», weil er dort in der Gegend eine schlimme Erfahrung machen musste. Warum Ernst Schmid der Jugend keine Ratschläge erteilen mag.

68 Ehejahre: Ernst Schmid in seinem Heim.
 Bild: Matthias Käser

Theresia Mühlemann

Anlässlich seines bevorstehenden 100. Geburtstags besuchte das BT den Jubilar in seinem Zuhause in Studen, wo er immer noch selbstständig wohnt. Seine gemütlichen vier Wände sind ein Sammelsurium an Erinnerungen und zeigen seine wichtigsten Werte auf. Familienfotos seiner Liebsten, gläserne Wappen an den Fenstern und zahlreiche Auszeichnungen aus dem Schiesssport; Schmid blickt auf ein Jahrhundert voller Schätze zurück, die auch die Aufmerksamkeit der Besucher wecken, und über die er gerne erzählt. Seine Lebensgeschichte hat er für sich und seine Nachkommen selbst am Computer verfasst. Ein Büchlein mit über 70 Seiten Text und zahlreichen Bildern ist dabei herausgekommen.

Am 26. Januar 1922 wurde Ernst Schmid, dessen Taufname «André-Ernest» lautet, als zweites von insgesamt fünf Kindern in seinem damaligen Elternhaus in Surpierre geboren. Sein Vater stammte aus Vigny, seine Mutter aus Utzenstorf. In seiner Kindheit war Veränderung ein bestimmendes Element. Aufgrund zahlreicher Umzüge und damit verbundener Neuanfänge, gab es keinen Ort, an dem er Wurzeln schlagen konnte. Die Schmid-Kinder passten sich an, an das, was gefordert wurde, auch sprachlich.

 

Weil das Geld gefehlt hat

Nach der obligatorischen Schulzeit begann er eine Lehre zum Mechaniker. Die Lehrzeit fiel zusammen mit dem Aktivdienst während des Zweiten Weltkrieges, während dessen er in der Fliegerabwehrtruppe über 700 Tage an verschiedenen Orten in der Schweiz stationiert war. Unter anderem verbrachte er lange Zeit in der Nordostschweiz, wo er 1944 im thurgauischen Wängi seiner Ida begegnete, die er gegen Ende 1945 ehelichte. Die beiden durften drei Kinder willkommen heissen. Seit 1954 wohnt Schmids Familie bereits im Seeland. Die Ehe hielt bis zum Tod seiner Frau im Jahre 2013 fast 68 Jahre lang. Insbesondere nach der Pensionierung unternahmen die beiden viele schöne Reisen.

Heute noch ist Ernst Schmid am Geschehen in der Region und der Welt interessiert. Jeden Tag liest er das «Bieler Tagblatt» aufmerksam durch, und er bringt sein Wissen ein. BT-Redaktor Beat Kuhn schrieb vor anderthalb Jahren einen grossen Beitrag über den Film «Gilberte de Courgenay» und die wahre Geschichte, die dem Film als Grundlage gedient hatte. Sofort meldete sich der damals 98-jährige Schmid, im Film sei ein Haus zu sehen, das jedoch nicht in Courgenay sondern in Lignières stehe, wo er in seiner frühen Jugend eine für ihn sehr prägende Zeit erlebt habe.

Damals musste der etwa fünfzehnjährige Ernst aus einer finanziellen Notsituation der Familie auf einen Hof zum Verdingen. Sein Meister war dem Alkohol zugeneigt und schikanierte den Jungen, wo er konnte. Was ihn über Wasser hielt, war die Kameradschaft mit den anderen Buben, die mit ihm dort die neunte Klasse besuchten.

 

Er geht mit der Zeit

Wenn man bedenkt, was für ungeheure Fortschritte und Entwicklungen in der Alltagstechnik seit Schmids Geburt in unser Leben Einzug gehalten haben, so erwartet man vielleicht, dass der Rentner irgendwann einmal abgehängt hat und nicht weiter auf den Zug neuer technischer Errungenschaften aufgesprungen ist. Doch weit gefehlt. Als in den Achtzigerjahren die Computer einer breiteren Masse zugänglich wurden, war Schmid bereits pensioniert. Dennoch liess er, der zuvor höchstens mit Schreibmaschine und Rechenapparat zu tun hatte, es sich nicht nehmen, erste digitale Schritte zu lernen. Am Anfang benutzte er vor allem Tabellenkalkulationen, zum Beispiel für den Verein, für den er als Kassier amtete. Über die Jahre verfolgte er immer weiter die neuen Möglichkeiten der Computer, und heute schreibt er gerne E-Mails, gestaltet selber Geburtstagskarten am PC und führt sein Haushaltskassenbuch in einer Excel-Tabelle.

 

Ein Tüftler

Doch nebst all dem Interesse an digitalen Arbeitsabläufen ist ihm auch nie die Freude an handwerklichen Arbeiten abhandengekommen. Nach seiner Pensionierung fertigte er gerne Drechselarbeiten an oder flickte Uhren für private Kunden. Er, der sich seit seiner Lehrzeit leidenschaftlich der Mechanik verschrieben hat, der in seinen Berufsjahren manch einer Herausforderung mit Erfindertum entgegengetreten ist, findet so noch heute Lösungen für Alltagsprobleme. Seine Tabletten drückt er mit einer eigens dafür gebauten Konstruktion aus Holz und Metall mit einem Bolzen aus dem Medikamentenblister in eine integrierte kleine Schublade.

 

Gesellschaft ist ihm wichtig

«Wenn ich heute nochmals zwanzig wäre, würde ich Koch lernen», sagt Schmid und schmunzelt. Das sei so etwas Wichtiges und Praktisches, wenn man selber gut kochen könne. Er bekommt zwar täglich ein Mittagessen geliefert, bereitet sich aber die übrigen Mahlzeiten jeden Tag selber zu, und das, obwohl er in all den Ehejahren in der Küche seiner Frau nicht viel zu suchen hatte.

In all den Jahren hat das Zusammensein mit anderen für Schmid immer einen hohen Stellenwert gehabt; er engagierte sich in Berufsverbänden und war bis vor wenigen Jahren aktiv im Turnverein und beim Schiessen. Noch heute trifft er sich mit den Turnern gelegentlich noch beim anschliessenden Beizenhöck.

Seine Familie, die heute nebst den drei Kindern sechs Enkel und zehn Urenkel zählt, ist für ihn sehr wichtig. Die sozialen Kontakte haben aber leider deutlich abgenommen, seit er, aufgrund von Corona, als Auswärtiger nicht mehr im Restaurant des Pflegeheims Mittagessen darf. Er lässt sich aber davon nicht betrüben und macht täglich seine Spazierrunde im Dorf oder verweilt sich mit Puzzles.

Mit seinen hundert Jahren Lebenserfahrung möchte er sich jedoch nicht anmassen, der heutigen Jugend einen Rat fürs Leben zu geben. «Die Zeit, in der die jungen Leute heute aufwachsen, ist so anders und auf eine andere Art herausfordernd, da kann man keine Vergleiche anstellen», ist sich Schmid sicher.

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