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BT-Serie "Mini Beiz, mi Verein, mis Dorf" aus Twann

Das Griechenland über dem Bielersee

Das Bilderbuchdorf Twann hat mehr als ein geschütztes Dorfbild und den bekannten Weinbau zu bieten. Es gibt viele Geheimnisse zu entdecken – inklusive der griechischen Sunneflue.

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Bernhard Rentsch

Nein, mit einem der bekannten und ausgezeichneten Winzer haben wir nicht gesprochen. Und nein, wir haben weder das Pfropfhüsi noch die Twannbachschlucht besucht. Und auch keinen Bielerseefisch gegessen. Das alles kommt einem in den Sinn, wenn man an das Bilderbuch-Twann denkt, das auch touristisch erfolgreich vermarktet wird.

Wir erlebten Twann, seit 2010 mit Tüscherz zu einer Gemeinde fusioniert, aus Sicht einer «Neuverliebten», einer Twannerin, die weder erblich noch beruflich seit Jahrzehnten mit dem Ort verbunden ist und deshalb vielleicht ab und zu die nötige Distanz zur Heimat verliert. Denn die frühere Radiojournalistin Anne-Käthi Zweidler hat ihre Liebe zu Twann «erst» nach dem beruflichen Engagement an der Expo.02 am Nordufer des Bielersees gefunden. Damals war sie zusammen mit ihrem Mann Koordinatorin der Aktivitäten von Radio DRS, wie es damals noch hiess. Das Drei-Seen-Land wurde zur temporären und schliesslich zur auserwählten Heimat. Anne-Käthi Zweidler ist Fan und emotionale Fremdenführerin zugleich – eine Fremde ist sie ganz offensichtlich längst nicht mehr, scheint sie doch mindestens das halbe Dorf persönlich zu kennen.

Dass sie «angekommen» ist, beweisen die zufriedenen Seufzer beim Rundgang eindrücklich: «Ach, welch Glück, hier wohnen zu dürfen.» Dass die ehemalige Grenchnerin das BT-Team dann nicht nur auf ihre knapp 20 Jahre umfassende Liebesgeschichte mitnahm, sondern die Twannerinnen und Twanner und ihre Lebensweise vor über 5000 Jahren ins Zentrum stellte, war mehr als ein guter Grund zum Besuch.

Museum aus anderer Zeit

Die Pfahlbauerinnen und Pfahlbauer: Anne-Käthi Zweidler kennt sie und möchte die Vorfahren noch viel zentraler ins Bewusstsein ihrer Mitmenschen rücken. Noch besser tut dies Annelise Zwez im familieneigenen Pfahlbauermuseum, unserer ersten Station im Ortskern. Im Fraubrunnenhaus, im Mittelalter im Besitz des Zisterzienserinnen-Klosters Fraubrunnen, ist auf sehr kleinem Raum – es handelte sich einst um ein Ladenlokal – allerhand Wertvolles von damals zu finden. Der Grossvater der bekannten Kunstkritikerin und früheren BT-Kulturredaktorin Annelise Zwez war als Sammler und Forscher derart eifrig, dass im Museum, das er ab 1939 aufbaute, durchaus der eine oder andere bedeutende Schatz aus früheren Zeiten lagert. Neben unzähligen gleichscheinenden, sehr sorgfältig arrangierten Werkzeugen und Gebrauchsgegenständen finden sich Fundgegenstände, um die sich manch historisches Museum reissen würden. Und die, nicht wie durch Anneliese Zwez zwar mit Vorsicht, aber dennoch nicht mit ehrfürchtigem Erstarren angefasst, hinter Panzerglas gezeigt würden.

Dass im Raum, der noch heute dem ursprünglichen Zustand vor über 80 Jahren entspricht, nicht nur die Ausstellungsgegenstände bewundernswert sind, zeigt der Blick an die Decke: Die Stromleitungen entsprechen nach wie vor den Installationen von 1913 – solides Handwerk. Und auch die zeitgenössische Kunst-Handschrift der Inhaberin ist überall mit kleinen Gegenständen wie dem Unikat eines Skizzenbuches von Heinz-Peter Kohler zu entdecken. Um den ungeheizten Museumsraum gegen die Hauptgasse besser schützen zu können, wird das Fenster zeitweise mit einem grossen Rollladen abgedeckt. Der Raum verschwindet aber dennoch nicht ganz: Annelise Zwez lässt das Innenleben als Bild aussen auf dem Rollladen erscheinen. Welch neckisches Detail. Übrigens: Das Pfahlbaumuseum in Twann ist an sich nicht öffentlich zugänglich. Annelies Zwez zeigt die Schätze auf Anfrage aber gerne.

Wieder draussen auf der Gasse fallen zwei grosse Wandbilder auf. Diese müssen allem Anschein nach neueren Datums sein, ergänzen in ihrer Art aber das sorgfältig bewahrte historische Ortsbild (siehe Zweittext unten). Ein weiteres unscheinbares kleines Geheimnis entzückt zusätzlich: Anne-Käthi Zweidler öffnet hemmungslos einen geschlossenen Fensterladen; etwas, was man als guterzogener Besucher niemals von sich aus tun würde. Und siehe da: Zum Vorschein kommt eine kleine, perfekt erhaltene historische Schuhmacherei. In einem einzigen Fenster blickt man in eine kleine Handwerkerwelt für sich. Eine geheime Werkstatt für Gutinformierte, möchte man meinen.

Kroatische Verwöhnküche

Wie die in der Bewerbung von Anne-Käthi Zweidler angepriesene kroatische Mittelmeerküche ins Twanner Portrait passen sollte, blieb im Vorfeld des Besuchs ein Rätsel. Dieses löste sich im Rahmen einer kurzen Mittagspause im «Alten Schweizer» rasch. Die Dorfbeiz, wie sie im Anforderungskatalog des BT zur Serie gewünscht ist, wird in zweiter Generation durch die Nachkommen eines kroatischen Kochs geführt. Adriana und Ivan Curovic sind zwar stolz auf ihre erste Heimat, als Kinder einer Twannerin, die sich als Reiseleiterin einst in Kroatien verliebt hatte, sind sie aber längst am Bielersee zu Hause. Dass die Mischung der traditionellen kroatischen Küche mit einheimischen Spezialitäten gut klappt, ist erwiesen und ganz offensichtlich bekannt: Vor den Türen warten viele Hungrige auf freie Tische oder müssen sogar abgewiesen werden – auch bekannte Twanner Weinbauern gesellen sich neben die Touristinnen und Touristen.

Umso dankbarer sind die Besucher aus Biel, dass der Küchenchef sich trotz Hektik vor dem Mittagsservice kurz Zeit für einen Fototermin nimmt. Schwester Adriana erzählt derweil aus der Familiengeschichte und dem beruflichen Weg über Tramelan und Ligerz nach Twann. Auch hier hat man das Gefühl, als seien die jungen Geschäftsleute angekommen – und akzeptiert. Kroatische Weine sollen sich übrigens neben den bekannten Twanner Tropfen ganz gut machen.

Anne-Käthi Zweidler hatte als erfahrene Radioproduzentin – auch das Programm in Twann ähnelt einer perfekt orchestrierten Sendung – an alles gedacht. Auch an den Verdauungsspaziergang nach Weinsuppe und Rosmarin-Pannacotta. Dieser führte – welch reizende Bezeichnung – durch das «Hingedüre-Gässli» mit Blick in üppige Kleingärten auf der Hinterseite der Häuser entlang der Hauptgasse. Der einleuchtende Grund, weshalb diese versteckten Gärten meist von hohen Mauern umgeben sind: Die Hälfte des in den Rebbergen Geernteten mussten die armen Arbeiter den Landbesitzern abgeben. Das Auskommen für die kinderreichen Familien wurde durch den Anbau von Gemüse und Früchten im eigenen Garten ergänzt. Und, wie Anne-Käthi Zweidler betont, das im Garten Angebaute habe verhindert, dass die Nahrung ausschliesslich in flüssiger Form zu sich genommen wurde. Alkoholabhängigkeit sei Ursache für viel Elend gewesen.

Heizen mit Seewasser?

Hoch über dem rund 800 Einwohnerinnen und Einwohner umfassenden Dorfkern von Twann (die fusionierte Gemeinde Twann-Tüscherz besteht aus rund 1200 Menschen), auf dem Rebenweg, holt Anne-Käthi Zweidler aus zu einem weiteren persönlichen Steckenpferd, der Energiewende. Als Präsidentin des Vereins Wärmeverbund Twann - Chlyne Twann streift sie damit auf elegante Art auch das vorgegebene Thema «Vereine». Ziel des Wärmeverbunds ist der Einsatz von möglichst viel erneuerbarer Energie, vorzugsweise mit Nutzung des Seewassers zu Heizzwecken. Eine Machbarkeitsstudie habe ergeben, dass sich dies durchaus finanzieren lasse, so die Reiseleiterin. Viele Hürden sind noch zu nehmen, unter anderem – welch Ironie im eingangs geschilderten Engagement von Anne-Käthi Zweidler – die wegen Pfahlbauten geschützten Zugänge zum See. Es würden sich Lösungen abzeichnen. «Die Füsse haben wir bei den Pfahlbau-Vorfahren vor 5000 Jahren, den Kopf aber in der Zukunft», so laute ihr Motto in dieser Sache. Hoch über dem Dorf plant die Gemeinde zudem eine Fotovoltaik-Anlage auf dem Dach der Turnhalle.

Ein Mitkämpfer zum Schutz von Klima und Biodiversität gesellt sich dazu: Marcel Engel, Leiter des Werkhofs Twann-Tüscherz, und seit 30 Jahren Beobachter der Natur in und um Twann. Mehr Biodiversität ist sein Credo, auch in den Rebbergen. Das ist insofern speziell, als bis vor einigen Jahren die Rebberge nicht begrünt waren und der Kampf gegen Unkraut mit viel Handarbeit und dem Einsatz von Chemie verbunden war. Tempi passati. Heute ziehen alle am gleichen Strang und die natürlichen Methoden ermöglichen eine grosse Artenvielfalt an Fauna und Flora. Dass Rasenflächen in Twann nicht mehr regelmässig gemäht und dass die Strassenränder nicht mehr konsequent von Pflanzen befreit würden, erfordere ein Umdenken von allen. Wenn man am richtigen Ort das Richtige mache, sei es aber einfach, dies zu erklären und umzusetzen, so Marcel Engel.

Wahrzeichen Sunneflue

Höhepunkt für Journalist und Fotograf beim Spaziergang rund um Twann war das Erklimmen der Sunneflue hoch über dem Dorf. Wer hat das helle Haus mit der einladenden grossen Terrasse auf der Westseite direkt neben dem Eingang zur Twannbachschlucht nicht schon bewundert – und sich gefragt, weshalb da einst überhaupt gebaut wurde? Der jetzige Besitzer, Landart-Künstler Ueli Studer, öffnet die Türen und erzählt, wie er das einzigartige Bijou einst vom Sohn des Künstlers Ernst Friedrich Furer (1887 – 1974) erstanden hat. Furer richtete sich sein Paradies nach Träumen von griechischen oder Tessiner Elementen hoch über dem Bielersee ein. Er brachte damit seinen eigenen Monte Verità, die bekannte Hügelkette über Ascona, ins Seeland. Heute ist kaum zu glauben, dass es sich ursprünglich um ein Schützenhaus gehandelt hat. Ein Schützenhaus an prominentester und gut sichtbarer Stelle war im 19. Jahrhundert Prunk und Stolz, auch in Twann. Ueli Studer, bekannt als Initiant und Motor der beiden unvergesslichen Kunst-Inszenierungen Viniterra (2000) und Vocis Terra (2010), hütet die Sunneflue nach den Vorgaben seines Vorgängers Furer und nutzt auch das Künstleratelier mit einmaligem Blick über den ganzen See intensiv. Das Markenzeichen auf der Terrasse, grosse schöne Fahnen, gilt weitherum als Twanner Wahrzeichen. Der Abstieg von der Sunneflue ans Bielerseeufer führt die Besucher als letzte Station beim Engel Haus vorbei. Und für uns wenig erstaunlich: Anne-Käthi Zweidler zückt als Verantwortliche für kulturelle Anlässe in der Wohnbaugenossenschaft «Zuhause am Bielersee» den Schlüssel und zeigt die Gemeinschaftsräume im Generationenhaus. Das heruntergekommene und leer stehende ehemalige Patrizierhaus wurde zwischen Frühjahr 2015 und Herbst 2017 so umgebaut, dass in neun alters- und behindertengerechten Wohnungen ein gesuchtes und lieb gewonnenes Daheim entstanden ist. Ein grosser Saal für Bewegungseinheiten oder Kinoabende, eine Gemeinschaftsküche und die aufgeräumte Gemeindebibliothek tragen viel zum Dorfleben bei – sofern nicht Corona als Bremsklotz für alle Aktivitäten wirkt.

Twann – ein Dorf, in dem sich laut Anne-Käthi Zweidler gut leben lässt: «Wir haben alles – sogar einen eigenen Dorfladen.» Zum Wachstum, das die Zufriedenheit der anderen Bewohnerinnen und Bewohner unterstreicht, gehört auch, dass der Schulraum immer knapper wird. Der Nachwuchs ist da.


Das Rebjahr in vier Wandbildern

Im Juli 2019 hat die Bieler Künstlerin Daniela de Maddalena das erste und im August 2020 das zweite von vier Wandbildern in der Dorfgasse realisiert. Lanciert wurde die Idee vom sogenannten Redwy-Team Twann-Tüscherz, einer Gruppe von Twannerinnen und Twannern, die es sich zum Ziel gesetzt hat, das Winzerdorf am Bielersee lebendig und attraktiv zu halten.

Die ersten zwei Wandbilder befinden sich an der schmalen, hochformatigen Ostfassade der Dorfgasse 26 respektive an der zum Giebel aufsteigenden Fassade an der Ecke Dorfgasse 21 / Burgweg, direkt über dem sogenannten Rösselet-Brunnen. Die Liegenschaftseigentümer haben sich verpflichtet, die Fassaden während 25 Jahren architektonisch nicht zu verändern.

Als Bildvorlagen nutzte Daniela de Maddalena am PC bearbeitete Fotos. Vor dem ersten Einsatz der Farbe befestigte die Künstlerin eine grosse Zeichnung des Bildes mit allen Umrisslinien auf der Wand. Durch wieder verschliessbare Öffnungen übertrug sie die Zeichnung mit Kreide auf die Fassade. Bei der Herstellung der Wandbilder war auch der Umgang mit der Fassade wichtig. Benutzt wurden mineralische Farben, die mit dem Kalkuntergrund der bestehenden Fassade «verkieseln» (sich verbinden). Um das Bild möglichst harmonisch in die Umgebung einzufügen, wurde für das Wandbild «Der Rebschnitt» darauf verzichtet, die Fassade vorzubehandeln, beim zweiten Wandbild hingegen wurde diese gesamthaft gereinigt und im Bildbereich geglättet und leicht gelblich grundiert. Das Vorgehen bedeutete für die Künstlerin beim ersten Wandbild Mehrarbeit, denn sie musste die Farbe mit einem kleinen, feinen Pinsel in die Wand «einbürsten». Erst in der zweiten und dritten Schicht habe man von «malen» reden können, sagt sie.
 

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