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Das Living Museum bleibt für immer zu

Seit der Eröffnung 2017 stand das Living Museum Lyss finanziell auf wackeligen Beinen. Finanziert wurde die künstlerische Tagesstätte für psychisch Erkrankte hauptsächlich durch Gönner und Stiftungen. Die Coronapandemie überlebte sie nicht.

Die Institution in der alten Försterschule wird morgen offiziell geschlossen. Das Inventar ist aber bereits weg. zvg
Hannah Frei
 
Bis Anfang Jahr gingen pro Woche um die 50 Kunstschaffende im Living Museum Lyss ein und aus, um zu malen, zu zeichnen, zu modellieren. Viele von ihnen kamen auch, um eine Tagesstruktur mit Mittagessen zu erhalten. Das Living Museum Lyss richtete sich an Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen und bot 20 Tagesplätze sowie Räume für Gruppenaktivitäten. Zudem war es ein Museum für moderne Kunst.
 
Es ist ein Konzept aus New York und soll Betroffenen eine neue Perspektive ermöglichen, eine neue Sicht auf sich selbst, und dadurch beispielsweise die Wiedereingliederung in das Berufsleben unterstützen (das BT berichtete). Doch im März schloss das Living Museum aufgrund der Coronapandemie seine Tore – und wird sie nicht mehr öffnen.
 
Für die beiden Gründerinnen Eveline Riolo und Renate Krebs ist dies ein herber Schlag. «Das Projekt war mein Traum. Immerhin durften wir ihn drei Jahre lang leben», sagt Riolo. Vom Konzept sind die beiden weiterhin überzeugt. Doch die Finanzierung scheiterte. Die beiden Psychologinnen haben vieles versucht, beim Kanton, bei der Gemeinde und bei Stiftungen um Unterstützung gebeten.
 
Doch am Ende reichte es nicht. Denn anders als etwa Aufenthalte in Tageskliniken waren diejenigen im Living Museum nicht krankenkassenanerkannt. «Wahrscheinlich war die Zeit für dieses Projekt einfach noch nicht reif», sagt Riolo. Um die Finanzierung sicherzustellen, müsse auf politischer Ebene ein Umdenken stattfinden. Die Relevanz dieses Angebots werde noch zu wenig wahrgenommen. Vom Kanton und der Gemeinde hätten sich Riolo und Krebs mehr Unterstützung gewünscht.
 
Erst nach fünf Jahren selbsttragend
Als die beiden Psychologinnen im April 2017 mit dem Projekt Living Museum in der alten Försterschule starteten, konnten sie nur schwer einschätzen, wie viele Leute kommen werden. Laut Krebs hatten sich nach einer Woche drei Personen angemeldet, danach stieg die Zahl stetig an. «Wir waren überrascht, wie gross die Nachfrage war», sagt Riolo.
 
Die Finanzierung des Angebots stand jedoch seit Beginn auf wackeligen Beinen. Im Businessplan war laut Krebs vorgesehen gewesen, dass die Institution erst ab dem fünften Jahr weitgehend selbsttragend sein wird. Im ersten Jahr seien die Kosten noch hauptsächlich durch Stiftungen aus der Region gedeckt worden. Aber ab dem zweiten Jahr gingen die Beiträge stark zurück. Die Gemeinde Lyss hat für die ersten beiden Jahre jeweils 5000 Franken gesprochen und bot an, den Mietzins in diesem Jahr zu reduzieren. Aber das wäre nur ein Tropfen auf den heissen Stein gewesen, so Krebs.
 
Auch für die Gemeinde Lyss sei die Schliessung bedauerlich, sagt Stefan Bütikofer (SP), Gemeinderat im Ressort Soziales und Gesellschaft. «Das Angebot war gut und sinnvoll, die Nachfrage war da.» Deshalb habe die Gemeinde auch eine kleine Anschubfinanzierung gesprochen. Für weitere finanzielle Unterstützung habe der Gemeinde jedoch eine Grundlage gefehlt und der nötige Betrag wäre im Verhältnis zu gross gewesen. Die Erhaltung einer solchen Institution liege nicht in der Zuständigkeit der Gemeinde. Hätte aber beispielsweise der Kanton einen Beitrag geleistet, wäre die Gemeinde bereit gewesen, bei der Überbrückung zu helfen, etwa mit einer Mietzinsreduktion für die kommenden Monate oder einem einmaligen finanziellen Beitrag. Aber dazu kam es nicht mehr.
 
Beim Kanton sind Riolo und Krebs zweimal leer ausgegangen. Die Begründung: Das Alters- und Behindertenamt des Kantons (Alba) schrieb auf Anfrage, dass neue Leistungsverträge nur dann abgeschlossen werden, «wenn im Bereich Tagesstätten für erwachsene Menschen mit Behinderungen zusätzliche Leistungsangebote erforderlich sind». Voraussetzung für den Abschluss eines Leistungsvertrags sei, dass die Institution von IV-Bezügerinnen und -Bezügern genutzt wird. Finanzielle Unterstützung für Leistungsangebote für psychisch Erkrankte ohne IV-Rente liege nicht in der Zuständigkeit des Alba. Sie müssten die Aufenthalte entweder selbst bezahlen oder über die Sozialhilfe finanzieren.
 
Der Antrag des Living Museums sei geprüft worden und man sei zum Schluss gekommen, «dass derzeit ausreichende Strukturen zur Versorgung im Bereich Tagesstätten für Personen mit einer IV-Rente vorhanden sind».
 
Dem widersprechen Riolo und Krebs. Plätze für psychisch Erkrankte in Tagesstätten gebe es im Seeland längst nicht genug. Dies werde auch dadurch deutlich, dass niemand der Kunstschaffenden nach der Schliessung des Living Museum weitervermittelt werden konnte. «Das ist die traurige Realität», sagt Krebs.
 
Auch die Eingabe eines internen Projekts zur Suizidprävention bei der Gesundheitsförderung Schweiz führte zu keinem Erfolg. Letztes Jahr entstand eine Unterstützergemeinschaft, die in der Region um die 300 Unterschriften sammelte und diese der Gemeinde übergaben, mit der Bitte, noch einmal über die Bücher zu gehen – ebenfalls erfolglos. Unterstützung sei von vielen Seiten her gekommen, auch von Kirchgemeinden und Privatpersonen, aber letztlich zu wenig, um die Institution weiter mitzutragen.
 
Privates Darlehen gab Hoffnung
Ein letzter Hoffnungsschimmer war Anfang Jahr ein zinsloses Darlehen von einer Privatperson. Damit hätten die beiden noch ein paar Monate weitermachen können. «Es ging immer wieder ein Türchen auf und ein anderes zu. Wir wollten nicht aufgeben, solange Hoffnung bestand», sagt Riolo. Bis im März arbeiteten neun Personen Teilzeit in der Institution, die Hälfte davon ehrenamtlich, unter ihnen auch die beiden Leiterinnen. Dann kam die Coronapandemie, und mit ihr die Schliessung. «Wir hatten kein finanzielles Polster mehr», so Krebs.
 
Eigentlich hätten die beiden 66-jährigen Frauen diesen Sommer aufhören wollen. Interessentinnen für die Nachfolge waren da – jedoch nicht mehr auf ehrenamtlicher Basis. Ende Mai fiel dann der definitive Entscheid, das Living Museum nicht wieder zu eröffnen. Die alte Försterschule ist bereits geräumt, das Inventar ist weg und wird nun in einem neuen Living Museum in Deutschland verwendet. Ein kleiner Trost für die beiden.
 
Die Zeit in der Institution beschreiben Riolo und Krebs als intensiv, lehrreich und beflügelnd. «Die Menschen haben uns mit ihrer Kunst sehr viel gegeben und es war ein Geschenk, sie in ihrer Entwicklung einen Schritt zu begleiten», sagt Riolo. Trotz allem haben die beiden den Eindruck, sehr viel Wertschätzung von verschiedenen Seiten her für ihre Arbeit erhalten zu haben. Und Riolo ist davon überzeugt: «Wir würden es wieder machen, weil dieses Konzept einfach heilend und grossartig ist.»

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